Introvertierte finden ihren Weg zu Artikeln über Introversion recht regelmäßig. Sie wollen etwas über sich selbst erfahren, greifen zu Google oder YouTube und bekommen (mittlerweile) viele gute Informationen und Erfahrungsberichte darüber, wie es ist, introvertiert zu sein.
Allerdings suchen nicht nur Introvertierte nach introvertierten Themen. Viele Ambivertierte und Extrovertierte wollen auch verstehen, wie sich ihre Mitmenschen verhalten und was eine introvertierte Persönlichkeit ausmacht. Dabei stellt sich oft wie Frage: Was sind die Anzeichen dafür, dass jemand introvertiert ist?
Introvertierte Persönlichkeit
Wenn man eine introvertierte Person als solche erkennen möchte, muss man zunächst verstehen, was Introversion eigentlich ist. Die Kurzfassung: Nach Carl Jung gibt es ein Persönlichkeitsspektrum, das von extremer Extraversion (auch: Extroversion) bis zur extremen Introversion reicht. Am extremen Ende der Extraversion stehen Menschen, die für ihr Wohlbefinden viel äußere Stimulation brauchen, am anderen Ende warten Introvertierte, die schnell überstimuliert sind. Nur sehr wenige Menschen haben eine extreme Persönlichkeitsausprägung, die meisten befinden sich irgendwo dazwischen.
Situationen, in denen Extrovertierte sich wohlfühlen:
- Partys
- Hochzeiten
- Gruppenarbeiten
- Teamsportarten
- Einkaufspassagen
Situationen, in denen Introvertierte sich wohlfühlen:
- Vier-Augen-Gespräche
- In den eigenen vier Wänden
- Im engsten Familienkreis
- Mit einem Partner
Daraus ergibt sich, dass extrovertierte Menschen gerne mit Anderen Zeit verbringen, viel kommunizieren und gerne aktiv neue Erfahrungen machen – es hilft ihnen dabei, ihren „Idealzustand“ zu erreichen. Introvertierte Persönlichkeiten brauchen hingegen mehr Ruhe und Zeit für sich, da sie die gleichen Aktivitäten, Personen oder Erfahrungen nicht näher an den Idealzustand bringen, sondern sie viel Energie kosten.
Ein etwas abstraktes Beispiel: Für die neue Staffel einer TV-Serie wird ein neuer Schauspieler zum Cast hinzustoßen. Während er in seinen ersten Tagen und Wochen am Set neue Leute trifft, die Abläufe kennenlernen muss, neue Freunde findet, sich vielleicht auch Feinde macht, unter Druck steht und kaum Zeit zum Verschnaufen hat, ist sein Kollege, der von Anfang an dabei ist, schon längst routiniert.
Extrovertierte fühlen sich in Gesellschaft schnell oder gar von Anfang an, als würden sie das Set und die Leute schon kennen – Introvertierte kommen meist über Jahre oder gar für immer an neue Sets und sind somit ständig unter Strom.
PS: Und wenn der alte Hase am Set (der Extrovertierte) dann sagt „Hab dich mal nicht so, ich arbeite genauso viel wie du“, dann fühlt sich der Neuling (der Introvertierte) ziemlich schlecht, weil er nicht mithalten kann, obwohl sie völlig unterschiedliche Erfahrungen machen. Klingt nicht fair, oder?
Es gibt bereits einige Studien, die das auch untersucht haben und herausfanden, dass dieses unterschiedliche Stimulationsniveau auch im Körper nachweisbar ist. Man könnte also sagen, dass einer der wesentlichen Unterschiede zwischen Extrovertierten und Introvertierten ist, dass ihre „Filter“ unterschiedlich eingestellt sind.
Wie verhalten sich introvertierte Menschen im Alltag?
Aus dem unterschiedlichen Bedürfnis nach Stimulation entstehen typisch introvertierte Verhaltensweisen. Achtung, das kleine Wort typisch ist hier sehr wichtig. Denn nicht jeder Introvertierte hat die gleichen Erfahrungen gemacht oder ist am extremen Ende des Spektrums angesiedelt – also sind auch nicht alle Introvertierten gleich.
Typisch ist es trotzdem, dass Introvertierte in Gesellschaft weniger reden als Extrovertierte. Das gilt vor allem für Situationen, in denen eine große Gruppe anwesend ist oder aber viele unbekannte Menschen. Daher stammt auch das Klischee, dass Introvertierte schüchtern oder ängstlich wären – Gruppenveranstaltungen sind einfach eine Herausforderung, die sie meist lieber still angehen.
Anzeichen, dass jemand introvertiert ist, können aber auch sein, dass derjenige nicht gerne Smalltalk macht und sich nur an bestimmten Gesprächen beteiligen möchte. Das liegt daran, dass Smalltalk für Introvertierte eine sinnlose Verschwendung von begrenzter Energie ist – immer dran denken, Extrovertierte profitieren von vielen Reizen und dazu gehören auch Gespräche. Introvertierte verlieren durch sie eher Energie.
Tiefgründige Gespräche mit einem Erkenntnisgewinn oder aber mit einer Person, die ihnen nahesteht, liegen Introvertierten eher. Dann gehen sie auf und unterscheiden sich äußerlich praktisch kaum noch von gesprächigen Extrovertierten.
Typische Beschreibungen introvertierter Persönlichkeiten sind daher:
- Eine tolle Person, um mal über die wichtigen Dinge zu sprechen.
- Kann gut zuhören.
- Redet nicht viel, außer wir sind alleine.
- Weiß unglaublich viel, zeigt das aber nicht.
- Man kann stundenlang mit ihr/ihm reden.
Im Alltag fallen Introvertierte weniger auf, weil sie nun mal keine geborenen Selbstdarsteller sind. Das heißt nicht, dass sie niemals Aufmerksamkeit wollen – wenn sie etwas zu sagen oder zu zeigen haben, dann können sie unglaublich charismatisch sein, aber auch mal lauter werden. Doch Aufmerksamkeit nur zu bekommen, weil sich Aufmerksamkeit gut anfühlt? Das gibt es bei introvertierten Persönlichkeiten eher nicht.
Anzeichen, dass ein Partner introvertiert ist
Viele Menschen sind mit Dating überfordert, wenn sie jemanden treffen, der auf der anderen Seite des Persönlichkeitsspektrums angesiedelt ist. Introvertierte kommen nicht damit klar, dass ihr extrovertierter Partner so viele Aktivitäten plant und ständig unter Menschen gehen möchte. Extrovertierte verzweifeln oftmals an der Zurückhaltung ihrer introvertierten Partner.
Es gibt einen ganzen Artikel darüber, wie Introvertierte Gefühle zeigen. Aber auch hier lässt sich gut eine kurze Zusammenfassung erstellen: Introvertierte brauchen länger, um ihre Gefühle zu zeigen und sie zeigen ihre Gefühle in kleineren Gesten.
Typische Anzeichen, dass ein Introvertierter verliebt ist:
- Sucht aktiv körperliche Nähe zum Partner.
- Verbringt viele Stunden mit tiefgründigen Gesprächen.
- Sagt, dass er/sie sich wohlfühlt.
- Macht kleine Gesten wie Geschenke, Gedichte oder auch Ausflüge zu zweit.
Das Problem dabei ist, dass Extrovertierte diese Liste schon anders lesen als Introvertierte. Denn für Extrovertierte bedeutet – „sucht aktiv körperliche Nähe“ – ständiges Händchenhalten, viel Schlafzimmer-Rambazamba und Küsschen in der Öffentlichkeit. Für Introvertierte kann es schon bedeuten, sich auf der Couch anzukuscheln oder sich auch in der Öffentlichkeit mal einen Kuss zu geben.
Auch der Punkt zum Thema „Wohlfühlen“ ist schwierig. Denn die meisten Introvertierten sprechen nicht ständig aus, dass sie mit einem Partner glücklich sind – denn dass sie weiterhin Zeit miteinander verbringen, ist doch schon ein Zeichen dafür! Hier kommt es besonders häufig zu Unsicherheiten und Missverständnissen. Wenn Introvertierte nicht lernen, besser zu kommunizieren, stoßen sie ihre Partner damit schon mal vor dem Kopf – allerdings hilft meist auch einfaches Nachfragen, um die Sache zu klären.
„Ich dachte, du wärst nicht mehr glücklich“ und „Wieso denn, ist doch alles gut“ kommt zwischen Extrovertierten und Introvertierten in verschiedenen Abwandlungen doch recht häufig vor. Kommunikation ist hier extrem wichtig – dafür müssen Extrovertierte aber auch erst einmal verstehen, dass der Intro ihrer Wahl einfach etwas anders tickt.
Was sind introvertierte Menschen nicht?
Ein kurzer Einschub muss sein: Introversion ist kein Synonym für Schüchternheit. Leider wird dies noch immer verwechselt. Selbst Introvertierten passiert das, wenn sie sich noch nicht ausreichend mit ihrer Persönlichkeit auseinandergesetzt haben.
So wie sich tiefgründige Gespräche und eine innere Ausrichtung aus der Persönlichkeit ableiten lassen, ist es auch möglich, dass Introversion Schüchternheit bedingt. Viele negative Erfahrungen mit der Umwelt treffen introvertierte Menschen einfach härter, was sie zurückhaltender macht und Ängste entstehen lässt – das kann passieren, muss es aber nicht.
Die Unterscheidung ist extrem wichtig. Schüchternheit, Ängste, Phobien oder andere Besonderheiten* wie Autismus oder ADHS sind Dinge, die aus wissenschaftlicher Sicht behandelt werden können und teilweise müssen. Das Bedürfnis nach Ruhe an sich, ist nichts, was gestoppt werden muss. Eine innere Ausrichtung auch nicht. Viele Menschen, die sich verzweifelt an das Internet wenden und fragen, wie sie aufhören können, introvertiert zu sein, haben oftmals eher Probleme mit ihrem Selbstbewusstsein, Ängsten oder werden in ihrem direkten Umfeld abgelehnt – Introversion ist nichts, was geheilt werden müsste.
*Besonderheiten ist hier das Wort der Wahl, da alternative Begriffe automatisch ein Urteil über Menschen fällen, die neurodivergent sind und das geht mir gegen den Strich.
Was zeichnet introvertierte Menschen aus?
Aus den unterschiedlichen Ansprüchen von introvertierten und extrovertierten Menschen entstehen auch unterschiedliche Verhaltensweisen. Oftmals führt das dazu, dass Introvertierte besondere Herausstellungsmerkmale und Fähigkeiten haben. Zum Abschluss soll daher noch einmal aufgezeigt werden, warum introvertierte Freunde, Partner, Kollegen und Familienmitglieder so wichtig sind.
Introvertierte zeichnen sich dadurch aus, dass sie nichts überstürzen. Ihre Gedanken und Gefühle richten sich zunächst einmal nach innen – die Außendarstellung ist zweitrangig. Daher denken sie mehr nach und können häufig Zusammenhänge besser erkennen und Flüchtigkeitsfehler vermeiden.
So oder so ähnlich würde man es wohl einem potentiellen Arbeitgeber beschreiben. Aber diese Fähigkeiten sind auch in persönlichen Beziehungen wertvoll. Denn Introvertierte hören sich gerne erst einmal an, was Sache ist, bevor sie urteilen. Daher kommt auch der Ruf als gute Zuhörer.
Außerdem zeichnet Introvertierte aus, dass sie einen anderen Blick auf die Welt haben, eben weil sie sich selbst oft als Außenseiter sehen. Es würde jetzt zu weit gehen, an dieser Stelle genauer darauf einzugehen, wie die Gesellschaft introvertierte Menschen benachteiligt, doch so viel sei gesagt: Introvertierte erhalten von klein auf immer wieder negatives Feedback für ihre ruhige Art.
Sie müssten im Unterricht mehr reden, sollten doch mal mit mehr Kindern spielen und nicht ständig mit dem Kopf in den Wolken hängen – das führt dazu, dass eine gewisse Distanz zu anderen Menschen gespürt wird. Was eigentlich tragisch ist, stattet Introvertierte aber auch mit einem sehr klaren und differenzierten Blick auf ihre Umwelt aus.
Hoffentlich konnte dieser Beitrag dem einen oder anderen Leser dabei helfen, Introvertierte in Zukunft leichter zu erkennen. Das ist schon mal ein erster wichtiger Schritt, um sie besser zu verstehen und nicht etwa vor den Kopf zu stoßen, indem man von ihnen erwartet, sich exakt so zu verhalten wie Extrovertierte.
Liebe Jennifer,
ein herzliches DANKE für diesen grandiosen Beitrag! Es ist bewundernswert, wie Du Deine Gedanken in durchdachte Worte einfließen lässt. Ich für meinen Teil, kann die Herzblutenergie in den Zeilen förmlich spüren. Des Weiteren möchte ich auch mal ausdrücklich betonen, dass Du dies alles in Deiner freien Zeit absolvierst und uns Lesern die Blog-Beiträge völlig kostenfrei zur Verfügung stellst.
Was Du in diesem Beitrag exakt ansprichst, war für mich das letzte Herausstellungsmerkmal in meinem eigenen Gedanken-Puzzle zu Introversion-Extraversion-Ambiversion. Genau, zu diesem Thema habe ich mich in den letzten Monaten einer Selbstreflexion unterzogen und Dein Beitrag untermauert dies. Das Ergebnis, steht für mich eindeutig fest: „Ich bin eine Ambivertierte“. Hierdurch ist mir auch völlig bewusst geworden, weshalb meine Partnerschaft zu meinem introvertierten Mann von so tiefen Wurzeln geprägt ist, da ein gegenseitiges Ur-Verständnis gegeben ist.
Es grüßt Dich herzlich Deine
AMBIVERTIERTE-KRITISCHE-KRITIKERIN 🙂
Vielen Dank für die lieben Worte, das motiviert!!!
Interessanter Artikel – und er führt auch dazu, dass man die jeweils andere Seite besser versteht. 😀 Man erkennt, dass Introvertiert und Extrovertierte in einigen Situationen grundlegend andere Bedürfnisse haben. Vielen Dank dafür. Noch fällt es mir aber schwer, mich selbst einzuschätzen. Ich brauche beispielsweise viel Zeit für mich, tagträume viel, hasse Snalltalk und liebe tiefgründie Gespräche. Auf der anderen Seite war ich in der Schule im Mündlichen fast immer besser als im Schriftlichen und ich habe schonmal das Feedback bekommen, zu locker auf fremde Menschen zuzugehen. Vielleicht auch ein Ambivert… 😉
Hi Marvlu,
manche Menschen wollen auch gar keine eindeutige Beschreibung haben. Letztlich sind „introvertiert“, „extrovertiert“ und „ambivertiert“ für viele einfach eine Hilfe, um mehr über sich zu erfahren. Viel hängt aber auch mit sozialen Kompetenzen zusammen: Ein selbstbewusster Introvertierter wirkt zum Beispiel gar nicht introvertiert, ein schüchterner Extrovertierter nicht extrovertiert. Es spielen so viele Faktoren mit rein, dass man sich auf keinen Fall auf eine Kategorie beschränken sollte. Passiert einigen Menschen leider, wenn sie erstmals von diesen Begriffen erfahren. Schön, dass du den Fehler nicht machst, sondern auch siehst, dass die Antwort sehr viel komplexer ist.
Liebe Grüße
Hallo Marvlu,
hiermit werde auch ich kurz auf Deinen Kommentar antworten:
Es braucht einfach seine Zeit, bis man dies ALLES richtig für sich selbst einschätzen kann,
da es ein tiefgreifendes und komplexes Thema ist.
Jennifer hat dies in ihrem Kommentar an Dich bereits super angesprochen!
Gib Dir den Raum und die nötige Zeit, damit Du für Dich herausfinden kannst, wo genau
die Faktoren bei Dir persönlich liegen.
Ich wünsche Dir hierbei tolle Erkenntnisse, sowie gute Eindrücke über Dich selbst!
Viele Grüße
AMBIVERTIERTE-KRITISCHE-KRITIKERIN