Introvertierte Erschöpfung: Energiereserven besser nutzen (Tipps+Tricks)

Introvertierte verlieren Energie, wenn sie unter Menschen gehen. Dafür laden sie die Energiereserven wieder auf, wenn sie alleine sind. Da Extraversion und soziale Aktivitäten in westlichen Gesellschaften idealisiert werden, ergibt sich daraus ein Problem: Introvertierte kämpfen täglich mit Erschöpfung.

In diesem Beitrag wird geklärt, was Introvertierten die meiste Energie entzieht, wo der Unterschied zu extravertierten Menschen liegt und vor allem, wie Introvertierte am besten mit ihren Energiereserven umgehen können.


Tipp: Warum Introvertierte andere Introvertierte brauchen


Erschöpfung bei Introvertierten: Ursachen und Quellen

Um zu verstehen, wie man durch Introversion bedingte Erschöpfung beziehungsweise Müdigkeit in den Griff kriegt, muss zunächst geklärt werden, was eigentlich so anstrengend ist. Nur wenn man weiß, wo die Energie verloren geht, kann man versuchen, sie zu sparen.

Aktuelle und anstehende soziale Events

Soziale Events aller Art – Partys, Hochzeiten, Beerdigungen, Seminare, Zusammenkunft aller Superhelden eines Universums um selbiges zu retten – können introvertierten Personen das Leben schwer machen.

Achtung: Das heißt nicht, dass Introvertierte diese Veranstaltungen nicht mögen. Das kann der Fall sein, muss es aber nicht. Doch selbst angenehme Unternehmungen beanspruchen die ruhigeren Menschen.

Und das manchmal bereits, bevor das Event überhaupt stattgefunden hat. Vor Ort sein, reden müssen, gesehen werden, Erwartungen erfüllen…all diese Dinge nehmen Kraft, wenn sie passieren. Doch bereits die Aussicht auf eine solche Anstrengung kann Introvertierte in Unruhe versetzen und somit energieraubend sein.

soziale kontakte sind anstrengend

Introvertierte hassen Smalltalk

Passend zu den sozialen Events kommt das Thema Smalltalk daher. Introvertierte hassen Smalltalk. Er ist sinnlos, ziellos und alles in allem überflüssig. In einer sozialen Situation, die ohnehin schon Kraft kostet, auch noch über das Wetter zu sprechen, als wäre es ein Mysterium oder überlebenswichtig? Absolut nicht einzusehen.

Telefonieren

Ein Telefongespräch verlangt mehr Leistung als ein persönliches. Denn wenn man den Anderen nicht sieht, erkennt man auch nicht seine Reaktion. Man muss sich vorstellen, wo derjenige ist und wie er auf Dinge reagiert.

Der Introvertierte selbst muss wiederum unter Spannung stehen, damit keine zu langen Pausen entstehen. Nur mit ganz (ganz, ganz) vertrauten Personen kann ein Telefonat in Ordnung sein.

Introvertierte in großen Gruppen

Neben den sozialen Veranstaltungen gibt es ja auch noch den Alltag. Freunde treffen, öffentliche Verkehrsmittel nutzen oder einkaufen gehen. Je größer dabei die Gruppe wird, umso unwohler fühlen sich (die meisten) Introvertierten.

Somit geht hier ebenfalls viel Energie verloren. So gut wie jeder Introvertierte bevorzugt kleine Gruppen, in denen er oder sie den Überblick behalten kann. Treffen zu viele Menschen aufeinander, entsteht schnell Überforderung.

Jeder menschliche Kontakt führt zu Erschöpfung

Was viele Freunde und Familienmitglieder auf gar keinen Fall hören wollen, ist trotzdem wahr: Für Introvertierte ist absolut jeglicher Menschenkontakt auf gewisse Weise anstrengend. Selbst die besten Freunde oder Eltern nehmen ihnen ein klein bisschen Energie ab.

Natürlich nimmt man das gerne in Kauf. Diese kleine Erschöpfung ist auch gar nichts Schlimmes. Doch der Vollständigkeit halber, muss es an dieser Stelle nun mal erwähnt werden: Ein introvertierter Mensch wird sich auch nach einem schönen (sozialen) Erlebnis ausgelaugt fühlen.

erschöpfung durch menschen

Unterschied extravertiert und introvertiert

Alle Introvertierten, die bis hierher gelesen haben, werden sich bereits mit einigen Punkten identifizieren. Für ambivertierte oder extravertierte Menschen könnte es aber etwas unklar sein, woher diese enormen Unterschiede zwischen den Persönlichkeiten kommen. Daher ein kurzer Einschub zu diesem Thema.

Der Wesentliche Unterschied zwischen Introversion und Extraversion ist, woraus der Mensch Energie zieht. Extravertierte Menschen lieben es, mit anderen zu reden, unterwegs zu sein und unter Strom zu stehen. Das gibt ihnen Kraft und viele würden wohl behaupten, dass es sie glücklich macht.

Introvertierte Menschen können ebenfalls unterwegs sein und auch viele Freunde haben, für sie ist es jedoch eine Anstrengung, mit anderen im Kontakt zu sein. Häufig sind sie ruhiger und nachdenklicher. Glück kann für sie bedeuten, alleine vor dem Kamin zu sitzen, ein Buch zu lesen oder auch einfach mal tagelang alleine zu sein.

Wichtig ist natürlich, dass niemand 100% introvertiert oder extravertiert ist. Wie bereits erwähnt, können auch Introvertierte in Gruppen richtig aufgehen, wenn sie sich wohlfühlen. Genauso brauchen auch Extravertierte mal ein paar Tage ihre Ruhe, wenn sie viel Stress haben. Viele Menschen lassen sich eher als ambivertiert einordnen.

Doch generell lässt sich sagen, dass beide Gruppen unterschiedlich ihre Energiereserven leeren und auch wieder auffüllen. Es kann nur vorteilhaft sein, zu wissen, zu welcher Gruppe man gehört.

Verwandter Beitrag:  Ich bin lieber allein als unter Menschen. 

Tipps gegen Erschöpfung und Müdigkeit

Wer erkennt, dass er seine Zeit alleine braucht, um richtig zu funktionieren, der kann lernen, besser mit seinen Energiereserven umzugehen. Dafür gibt es zwei Möglichkeiten: Weniger Energie verlieren oder mehr tanken.

Bis 3 zählen und einfach anrufen

Der erste Tipp ist für das ach so verhasste Telefonieren gedacht. Je länger man den Anruf hinaus zögert, umso schlimmer wird es. Also Smartphone in die Hand, Kontakt oder Nummer wählen und 1,2,3 los.

Sonst kostet jede aufgeschobene Minute Energie. Die Gedanken kreisen um das anstehende Gespräch. Was könnte alles schiefgehen? Reicht es nicht auch morgen? Letztlich kann man immer noch hoffen, dass niemand abnimmt.

Freunde lieber einzeln oder in kleinen Gruppen treffen

Es ist überhaupt nichts Falsches daran, eine Veranstaltung mit vielen Menschen zu meiden. In kleinen Gruppen oder zu zweit sind Introvertierte viel lebendiger und fühlen sich besser. Somit geht weniger Energie verloren und man genießt seine Zeit unter Menschen.

Sich in eine Situation zu zwingen, nur weil andere es erwarten, ist nur sehr selten sinnvoll. Ausnahmen bilden natürlich Hochzeiten und Co., bei denen es sich einfach gehört, anwesend zu sein. Hierfür können einige der anderen Tipps helfen.

Ehrlich sein und sagen, wenn man zu erschöpft ist

Freunden und der Familie kann man ruhig mit der Wahrheit begegnen. Wird der Abend zu lang, dann sagt man dem Gastgeber oder den Freunden Bescheid, dass man müde ist. Was soll passieren? Müdigkeit ist keine Schande.

Ehrlichkeit mit den nahestehenden Personen kann sogar das Leben verändern. Wissen diese Menschen nämlich, dass man lieber zu zweit unterwegs ist, dann sorgen sie unter Umständen dafür, dass man sich häufiger alleine trifft. Oder sie bieten an, dass man eine Party jederzeit verlassen kann. Außerdem erkennen sie den ruhigen Teil der Persönlichkeit an, statt sich möglicherweise vor den Kopf gestoßen zu fühlen.

Wieder andere geben vielleicht zu, dass es ihnen ähnlich geht. Vielen introvertierten Menschen sieht man ihre Introversion nämlich gar nicht an. Sowas kann Freundschaften und Familienbande stärken. Außerdem kann man so nach und nach das Gefühl verbannen, dass es falsch wäre, wenn man mehr Ruhe braucht als andere.

introvertiert kraft tanken

Kurz aus der Situation nehmen

Was ist nun aber mit Arbeit oder Pflichtveranstaltungen? Da möchte man nicht ehrlich sein oder wird sogar als komisch angesehen, wenn man nicht laut und aufgeregt ist. Also müssen ein paar Methoden her, um diese stressigen Phasen zu überstehen.

Wenn es besonders anstrengend wird, dann verlässt man die Situation. Ein Spaziergang, kurz meditieren oder auch einfach mal lange und gut durchatmen können helfen. Sogar das Internet, das uns ja so abhängig macht, ist eine Option. Wenn alles laut und hell und anstrengend ist, dann können süße Katzenvideos für einen Moment der Ablenkung sorgen. Das hilft, um nicht völlig überfordert zu sein.

Diesen Tipp gibt übrigens auch Sarah Newman, die außerdem glaubt, dass Introvertierte hervorragende Kandidaten für Mars-Missionen sein werden: Social Exhaustion in PsychCentral.  

Auf zu Hause freuen

Jeder Introvertierte hat schon mal die Minuten gezählt, bis der Tag vorbei ist oder bis es zumindest nicht mehr unhöflich ist, vorzeitig zu gehen. Wenn man das ohnehin tut, nutzt man das am besten gleich aus.

Wie wird die Zeit alleine aussehen? Ein guter Film? Ein Glas Wein? Vielleicht einfach nur Musik? Egal! Wer sich darauf freut, übersteht die Zeit bis dahin etwas leichter. Hierfür eignen sich übrigens besonders sogenannte Regenerationsnischen.

Unwichtige soziale Kontakte streichen

Wer liegt schon auf seinem Totenbett und sagt: Gott sei Dank hatte ich so viele Kontakte und flüchtige Bekanntschaften in meinem Leben.

Was in Erinnerung bleibt und somit zählt, sind die wichtigen Menschen. Früher oder später muss jeder Introvertierte ausmisten, wenn er Energiefresser loswerden möchte. Das klingt ziemlich hart. Doch was bringt es wirklich, an der Schulfreundschaft festzuhalten, wenn man bei jedem Treffen nur über das Wetter spricht?

Weniger wichtige Kontakte zu streichen, bedeutet, dass für die anderen mehr Zeit und Energie bleibt. Oder eben für einen selbst. Beides ist legitim und führt viel eher zu einem glücklichen Leben, als zwanghafte Sozialkontakte, die mehr Stress bringen als alles andere.

Erholungsphasen einplanen

Trotz aller Tipps und Tricks lässt es sich für Introvertierte kaum vermeiden, dass ihnen andere Menschen etwas Energie abnehmen. Der letzte und vielleicht wichtigste Tipp ist daher, aus den Ruhephasen das Beste zu machen.

Hat man einen sozialen Kater, sollte genau wie beim Alkoholkater Ruhe und viel Wasser verschrieben werden (Letzteres hat nichts mit Introversion zu tun, doch Wasser trinken ist wichtig, lieber Leser!). Freie Wochenenden, Ausflüge in die Natur, ein ruhiger Abend vor dem Fernseher – all diese Dinge helfen beim Auffüllen der Energiereserven.

Erschöpfung lässt sich vielleicht nicht verhindern, doch Krafttanken kann beschleunigt werden. Also kein schlechtes Gewissen haben, wenn man gerne alleine ist. Und auch wirklich alleine sein und nicht etwa alle fünf Minuten das Smartphone checken – einfach mal Pause machen.

sozialer burn out

Die Liste der Tipps kann natürlich jederzeit erweitert werden. Damit das gelingt, ist Deine Mithilfe gefragt. Schreibe einfach in die Kommentare, wie Du mit sozialer Erschöpfung umgehst. So können alle von Deinen Erfahrungen profitieren. Neu ist der Beitrag zum Thema: Sozialer Kater!

4 Kommentare

  1. Liebe Jennifer,
    Danke aus ganzem Herzen für diesen wunderbaren Artikel zur Introversion 🙏 ich habe jede Zeile genossen und es ging mir schon beim Lesen viel besser 🙂
    Alles Liebe
    Anna

  2. Hallo Jennifer,

    danke für diese wirklich treffende Beschreibung.

    Ich war im November 2019 wegen Erschöpfungszuständen in einer Rehaklinik (Vollzeittätigkeit, Pflege der Mutter).

    Soziale Kontakte zu pflegen ist ja sehr wichtig für Menschen mit Depressionen. Das hat meine Psychologin auch deutlich gemacht. Meinen Hinweis, dass ich aber ein introvertierter Mensch bin und es genieße, endlich einmal wieder stundenlang allein sein zu dürfen, hat sie aber nicht wirklich verstanden.

    Ich habe dort lange einsame Spaziergänge am Meer genossen. Bei den Mahlzeiten und den Gruppenanwendungen habe ich nette Menschen kennengelernt. Angebote, abends oder am Wochenende gemeinsam etwas zu unternehmen, habe ich aber nur sehr spärlich angenommen. Ich habe mich sehr gut erholt.

    Ich wünsche mir, dass Psychologen mehr darüber wissen. Denn dann hätte ich früher gewusst, was mir gut tut und wie ich einer Überforderung begegnen kann.

    Liebe Grüße
    Karin

    • Hi Karin,

      danke für deinen Kommentar. Es tut mir natürlich leid, dass du da nicht auf ein offenes Ohr gestoßen bist. Leider ist Rückzug für viele Menschen – selbst mit entsprechender Ausbildung – sofort ein riesiges Warnsignal. Die Unterscheidung zwischen „gutem“ und „schlechtem“ Rückzug ist aber extrem wichtig. Introvertierte und hochsensible Menschen können durch den Druck, sozial zu sein, sogar erst psychische Probleme bekommen. Dass du deine Bedürfnisse heute besser verstehst, freut mich natürlich 🙂

      Liebe Grüße
      Jennifer

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