Hochsensibel: 15 körperliche Symptome der Überreizung

Jeder Mensch reagiert anders auf Stress. Das zeigt sich allein schon dadurch, dass jeder andere Dinge als Stress benennt. Viele Menschen erleben Stress erst, wenn sie mehr zu tun haben, als sie schaffen können. In Wahrheit ist Stress aber auch zu wenig Schlaf, zu viele Geräusche, zu wenig Ruhe, zu viele Emotionen.

Stress entsteht durch Reize. Und manche Menschen nehmen Reize direkter wahr als andere. Ergo: Was den einen kalt lässt, stresst den anderen schon. Hochsensible Menschen sind von Natur aus viel reizbarer als andere Menschen. Somit leiden sie auch schneller an der sogenannten Überreizung. Die Symptome reichen von ein wenig Kopfschmerzen über Schwitzen bis hin zu einer handfesten Depression.

Reizüberflutung verstehen

Eltern kennen das Problem: Ihr Kind malt etwas auf einem Blatt Papier und der Tisch oder Boden darunter bekommt gleich noch etwas Farbe ab. Ob die Farbe durchdrückt, hängt von der Dicke des Papiers ab. Hochsensible Menschen arbeiten mit dünnen Blättern, andere mit Karton. Ist die Stiftfarbe der Reiz, muss also lange und wiederholt auf den Karton gedrückt werden, damit die Farbe sich durcharbeitet. Ein einzelner Strich durchbricht allerdings das dünne Blatt.

Das ist nur eine von vielen Metaphern, die Hochsensibilität beschreiben können. Bei einem dünnen Blatt wird nahezu jeder Stift Spuren hinterlassen – und genauso wird jeder Reiz die hochsensible Persönlichkeit beeinflussen. Reize können sein: Geräusche, Emotionen, Erfahrungen, Licht, Druck, …

Die gleiche Anzahl und Intensität an Reizen wirkt also unterschiedlich auf hochsensible und nicht-hochsensible Menschen. Eine wichtige Erkenntnis, denn körperliche Folgen von Stress treten bei Hochsensiblen schneller auf, weil sie tatsächlich stärker wirken. Ironischerweise wird HSPs gerne vorgeworfen, sie seien zu empfindlich – sind sie auch und zwar nachweislich. Ein Nicht-Hochsensibler reagiert auf einen Monat Dauerstress körperlich also vielleicht ähnlich, wie ein Hochsensibler nach einer Woche Dauerstress.

hochsensible menschen und Überreizung
Hochsensible Persönlichkeiten brauchen eine gute Grundlage, um sich entfalten zu können

Die 15 wichtigsten Symptome von Überreizung

Überreizung ist nicht eingebildet, Überreizung ist körperlich nachweisbar. Diese Erkenntnis ist wichtig für Hochsensible, um ihrer Gesundheit Priorität zu geben. Und für alle anderen ist es wichtig zu verstehen, dass hochsensible Menschen nicht schwierig sein wollen oder Sensibelchen sind – ihre Körper reagieren wortwörtlich anders und es ist eine Schande, sich darüber lustig zu machen oder wissenschaftsfeindlich die Symptome zu leugnen.

  1. Reizbarkeit

Das erste körperliche Symptom von Überreizung ist … Reizbarkeit. Klingt erst einmal komisch und eher nach der Ursache und nicht nach dem Symptom. Doch es kann beides sein. Wenn jemand an Überreizung leidet, können die Reizfilter noch einmal an Wirksamkeit verlieren.

Somit wird jemand, der ohnehin schon sensibler reagiert, praktisch überempfindlich. Situationen, die sonst kein Problem sind, belasten noch mehr. Körperliche Folgen wie Schweißausbrüche, Brain Fog oder Erschöpfung entstehen schneller und intensiver. Oftmals kann man einige Zeit später zurückschauen und denkt: Warum hat mich das so getroffen? Die Antwort: Weil der Körper sich nicht mehr zu helfen wusste.

  1. Kopfschmerzen

Ein typisches Symptom der Reizüberflutung sind die guten, alten Kopfschmerzen. Sie machen jede Bewegung und jeden Gedanken zur Anstrengung. Letztlich sind sie ein klares Signal: Wir brauchen eine Pause.

Wovon die Pause benötigt wird, hängt von der Situation ab. Zu viel Krach, zu viele Aufgaben, zu viele Gedanken – alles kann überfordern. Extreme Einzelsituationen können die Kopfschmerzen auslösen (z.B. ein Streit) oder aber die Ursache ist längere Belastung (z.B. ein Tag neben einer Baustelle).

  1. Brain Fog

Eng mit Kopfschmerzen verbunden ist der sogenannte Brain Fog. Im Deutschen spricht man auch von einer Bewusstseinstrübung oder eben dem Gehirnnebel. Dieses Symptom äußert sich durch Konzentrationsschwierigkeiten, Vergesslichkeit und allgemeiner Überforderung mit mentalen Aufgaben.

Genau wie Nebel eine Fahrt von Punkt A nach Punkt B erschwert, können auch Gedanken getrübt werden. Es erfordert mehr Anstrengung, durch die Unklarheit hindurch Entscheidungen zu treffen. Brain Fog ist typischerweise eine Folge von Dauerbelastung.

  1. Zittern

Ein sehr sichtbares körperliches Symptom von Überreizung ist das Zittern. Es tritt beispielsweise in sehr emotionalen Situationen auf. Diese treffen Hochsensible ehr als andere Menschen. Zittern vor Wut, Angst oder Glück ist somit bei HSPs häufiger zu sehen.

Tritt das Zittern häufiger auf, sollte allerdings geschaut werden, ob es andere Ursachen gibt (z.B. verlangsamter Kreislauf oder Magnesiummangel). Ein situatives Zittern bei großer Aufregung ist nicht bedenklich, aber sollte das Zittern stärker werden oder häufiger auftreten, dann liegt eine Reizüberflutung vor und es sollten Gegenmaßnahmen in den Alltag integriert werden.

  1. Unruhe

Zittern ist praktisch eine Form von Unruhe. Aber generell neigen Hochsensible bei Überforderung dazu, sich viel zu bewegen oder rasende Gedanken zu haben. Das kann leider die Situation nur noch schlimmer machen.

Tippen mit dem Stift, Schlaflosigkeit und überhaste Entscheidungen sind die Folge. Es fühlt sich ein wenig an, als würde der Körper die ganze Zeit Vollgas fahren – ganz unabhängig davon, ob die Situation das verlangt oder nicht.

  1. Schwitzen

Schweiß ist zwar notwendig, um den Körper zu kühlen, doch heutzutage nervt er uns meist nur. Das gilt besonders, wenn er nicht mal die Folge von Sport ist. Dann wäre er wenigstens ein Zeichen von getaner Arbeit.

Für Hochsensible heißt schwitzen aber meist, dass sie überreizt sind. Nasse Handflächen, ein feuchter Rücken oder warme Wangen sind typisch. Da die Ursache keine Hitze ist, hilft Kleidung ausziehen meist nicht. Die einzige Lösung ist die Beruhigung – und die ist je nach Situation sehr schwierig zu erreichen.

  1. Aggressivität

Ein Symptom, über das unter Hochsensiblen seltener gesprochen wird, ist die Aggressivität. Das liegt sicherlich daran, dass aggressiv zu sein kein schöner Zustand ist. Aber erhöhte Aggressivität kann nun mal eine Gegenreaktion sein, wenn der Körper überfordert ist.

Menschen, die sonst als ruhig gelten, schlagen bei Überreizung schneller zu, brüllen herum oder werfen mit Dingen um sich. An sich selbst beobachten kann man das unter anderem im Straßenverkehr: Wie reagiert man auf einen Stau? Ist man sonst genervt, will nun aber am liebsten aussteigen und die lahmarschigen Fahrer zusammenschreien, dann liegt möglicherweise Überreizung vor.

  1. Weinen

Wenn du nicht weißt, wohin mit deinen Gefühlen, dann endet das vielleicht tränenreich. Denn das Weinen gehört ebenfalls zu den körperlichen Symptomen von Reizüberflutung. Gerade diejenigen, die partout nicht aggressiv werden, fangen oft umso schneller an zu weinen.

Das kann nach einer Provokation geschehen (z.B. Kritik auf Arbeit), nach einem zusätzlichen Reiz (z.B. jemand schreit) oder auch gefühlt aus dem Nichts. Der Klassiker unter den Weinkrampf-Auslösern ist der Ärmel, der in der Türklinke festhängt. Eine Kleinigkeit, die im falschen Moment aber alle Dämme brechen lässt.

  1. Panikattacken

Noch eine Stufe über dem Heulkrampf steht die Panikattacke. Es handelt sich dabei um ein ernsthaftes Problem – solltest du wiederholt betroffen sein, suche dir bitte professionelle Hilfe. Viele Menschen verstehen Panikattacken falsch und denken an einen Fluchtreflex oder eben ans Weinen.

In Wahrheit sind Panikattacken so verschieden wie die Menschen, die sie haben. Einige Personen können sich nicht mehr bewegen. Anderen wird Schwarz vor Augen. Manche hyperventilieren und andere übergeben sich. Alles davon ist körperlicher Natur, denn eine Panikattacke entsteht, wenn der Körper glaubt, in einer extremen Gefahrensituation zu sein.

(Aus persönlicher Erfahrung kann ich sagen, dass Panikattacken die absolute Hölle sind. Im Nachhinein und theoretisch lassen sich eine Million Gründe erkennen, warum die Situation nicht so schlimm war. Doch im Moment der Attacke ist das völlig egal. Kein Mensch, der schon mal eine Panikattacke hatte, würde sie als klein oder unwichtig abtun. Umso wichtiger ist es, rechtzeitig Vorboten zu erkennen und auf sich Acht zu geben.)

  1. Fluchtgedanken

Neben der Depression gehören die Panikattacken zu den schlimmsten körperlichen Symptomen der Überreizung. Aber auch die Fluchtgedanken können ernsthafte Probleme verursachen. Dabei fühlt es sich unmöglich an, auch nur eine weitere Minute an Ort und Stelle zu bleiben.

Ein emotionales Gespräch kann den Fluchtreflex auslösen. Aber auch Menschenmassen sind Auslöser. Wer sich in Gruppen unwohl fühlt, kann durch ein Zusammenspiel von Reizen Panik bekommen oder sich übergeben.

  1. Depression

Hochsensible Menschen neigen zu depressiven Phasen. Obwohl viele Menschen Depressionen ausschließlich psychisch verordnen wollen, sind die Ursachen aber durchaus im Körper nachzuweisen. Das ist eine wichtige Erkenntnis, denn daraus folgt auch, dass sensiblere Menschen besonders auf ihr körperliches Wohlbefinden achten müssen.

Eine unterschwellige Dauerreizung kann Depressionen auslösen. Oftmals kämpfen sich Menschen durch lange Stressphasen hindurch oder tun so, als würden ihnen stressige Dinge nichts anhaben können. HSPs in lauten Wohnungen, in toxischen Beziehungen oder in unübersichtlichen und wettkampfgeprägten Arbeitsumgebungen sind besonders anfällig.

  1. Krankheitsanfälligkeit

Hochsensible Menschen können unter Umständen öfter krankwerden als andere. Denn das Immunsystem kann nur optimal arbeiten, wenn es dem Körper gut geht. HSPs, die nicht auf ihre Bedürfnisse achten, haben aber meist überreizte Körper.

Somit entsteht ein Teufelskreis, denn ein geschwächtes Immunsystem kann sich schlechter gegen Bakterien und Viren wehren – und wenn man krank ist, fühlt man sich nicht gut. Wer auf Arbeit viel nachholen muss, weil er oft krank ist, kann aus dieser Abwärtsspirale gar nicht herauskommen, ohne echte Veränderungen im Leben durchzuführen (besser mit Erschöpfung umgehen).

  1. Schlaflosigkeit

Ebenfalls teuflisch ist die Schlaflosigkeit. Hochsensible Menschen haben ohnehin schon ein erhöhtes Ruhebedürfnis. Kommen dann noch Schlafprobleme hinzu, kann sich der Körper nie richtig erholen. Erschöpfung ist dann gleichzeitig Ursache und Folge der Probleme.

An dieser Stelle kann nur betont werden, dass die Ursachenforschung wichtig ist und so schnell wie möglich angegangen werden sollte. Alle auf dieser Liste beschriebenen Symptome können nämlich durch Schlafmangel noch mal erheblich verschlimmert werden.

  1. Appetitveränderung

Ebenfalls typisch für Menschen, die unter Reizüberflutung leiden, ist ein veränderter Appetit. In welche Richtung dies ausschlägt, ist ganz unterschiedlich. Einige Menschen bekommen Fressattacken oder haben einfach ständig Appetit.

Das Gegenstück sind diejenigen, die ihren Appetit komplett verlieren. Beides ist gefährlich. Für Menschen, die temporär mit Appetitveränderungen umgehen müssen, gilt die Regel, dass eine optimale Nährstoffversorgung Pflicht ist, um körperliche Schäden zu verhindern oder immerhin zu minimieren. Bei dauerhafter Appetitlosigkeit oder ständigen Fressattacken hilft nur professionelle Hilfe.

  1. Verändertes Nähebedürfnis

Ähnlich wie beim Appetit gibt es auch bei dem Bedürfnis nach körperlicher Nähe zwei Extreme. Manche Menschen, die unter Reizüberflutung leiden, stoßen alle von sich. Schon Umarmungen sind eine Last und an Sex oder Kuscheln ist gar nicht zu denken. Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die sich wie ein Koala-Baby an andere hängen. Beides ist auf Dauer nicht gesund und klar ein Versuch des Körpers, ein Ungleichgewicht auszugleichen.

die symptome von reizüberflutung
Reize sind von Natur aus nichts Schlechtes, doch wir müssen lernen, mit ihnen umzugehen

Fazit: Der Körper zeigt, dass er leidet

Überreizung ist kein Witz. In der hektischen und lauten Moderne ist sie sogar für viele Menschen ein ständiger Begleiter – übrigens nicht nur für hochsensible Menschen. Auch nicht-hochsensible Personen können unter Reizüberflutung leiden. Es dauert zwar meist länger, bis die körperlichen Folgen zu erkennen sind, doch Menschen sind nun mal keine Maschinen.

Wenn du bei dir oder anderen körperliche Symptome wie die auf dieser Liste beobachtest, dann ist Handeln gefragt. Leider schieben viele von uns die Probleme vor sich her, so dass sie sich sammeln und größer werden. Je früher Reize reduziert und Ruhephasen priorisiert werden, umso besser stehen die Chancen, dass die körperlichen Symptome verringert werden oder gar nicht erst entstehen.

1 Kommentar

  1. Gute, weil nicht pathologisierende Näherung an das Thema. Müde ist nicht gleich krank! Krank ist vielleicht das was derart müde macht…

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