Es gibt unzählige Ratgeber, Videos, Seminare und Experten, die uns vermitteln sollen, wie wir attraktiver, aufregender, präsentierbarer werden. Im Umkehrschluss werden wir nicht gerade mit Nachrichten bombardiert, die uns sagen, wir sollen mal einen Gang zurückschalten, nur für uns sein, nicht so einen Aufriss machen. Besonnenheit und Ruhe verlieren (gefühlt) an Bedeutung.
Zurückhaltende Menschen gibt es in verschiedenen Formen und Farben und sie sind nicht als gesamte Gruppe zu betrachten – sie können schüchtern, introvertiert oder „bewusst“ ruhiger sein. Trotzdem eint alle Zurückhaltenden, dass sie früher oder später dazu gedrängt werden, weniger zurückhaltend zu sein – was fast immer bleibende Schäden hinterlässt.
Daher geht es heute darum, zu erklären, was einen Menschen zurückhaltend macht und welche Konsequenzen daraus erwachsen. Dazu gehört, dass ein zurückhaltender Mensch meist anders kommuniziert als ein sehr offener und kommunikativer und dass du vielleicht nicht der Retter bist, für den du dich hältst.
Wieso sind Menschen zurückhaltend?
Es gibt etliche Gründe dafür, dass jemand zurückhaltend ist oder zumindest von anderen Menschen als zurückhaltend wahrgenommen wird. Grundsätzlich heißt Zurückhaltung eigentlich nur, dass jemand als beherrscht und ruhig gilt und selten den ersten Schritt macht.
Zurückhaltung als Ideal
Bedacht, ruhig und unvoreingenommen zu sein, ist für viele Menschen ein Ideal. Wer nicht nachdenkt, macht meist Fehler. Wer erst handelt und dann nachdenkt ebenso. Sich anderen aufzudrängen, gilt als unhöflich.
Somit entscheiden sich Menschen bewusst dazu, sich nicht jedem Impuls hinzugeben und nicht jeden Gedanken laut auszusprechen. So wie andere danach streben, als cool, clever oder erfolgreich zu gelten, streben einige Menschen an, eine ruhige und zurückhaltende Person zu sein. Gerade die Philosophie der Stoiker ist dafür bekannt, dass Zurückhaltung idealisiert wird. Prunk, Protz und unnötiges Aufplustern galt und gilt bei den Stoikern als Gegenteil eines löblichen Lebens.
Angst bei zurückhaltenden Menschen
Zurückhaltung kann auch eine Folge negativer Erfahrungen sein. Manche Menschen lernen in ihrer Kindheit, dass sie besser durch das Leben kommen, wenn sie still sind. In Situationen, in denen sie lauter oder auffälliger waren, haben sie negatives Feedback erhalten.
Somit entwickelt sich Schüchternheit oder sogar Ängste. Diese Art der Zurückhaltung hat negative Folgen für betroffene Personen, da sie nicht aus freien Stücken ruhiger sind, sondern weil sie Ablehnung oder Bestrafung erwarten, wenn sie vollständig sie selbst sind. Diese Menschen müssen sich mit den negativen Erfahrungen auseinandersetzen, wenn sie dazu bereit sind.
PS: Auch diese Menschen können von Natur aus zurückhaltender sein, doch es führt kein Weg daran vorbei, dass sie zunächst mit ihren negativen Erfahrungen und Gedankengängen ins Reine kommen müssen.
Introvertierte sind zurückhaltend
Introvertierte Menschen haben ein reiches Innenleben und brauchen Pausen von sozialen Interaktionen. Sie sind (meist) gerne in ihrem eigenen Kopf unterwegs. Im Mittelpunkt zu stehen, ist nur in Ausnahmefällen ihr Ding.
Ergo? Halten sich Introvertierte in Gruppen eher zurück. Das ist nicht krankhaft oder problematisch, das ist einfach eine andere Art mit sozialen Interaktionen und den eigenen Gedanken umzugehen. Introvertierte Menschen kämpfen häufig damit, dass sie als schüchtern beschrieben werden, obwohl sie es nicht sind. Von Natur aus eher zum Nachdenken und zu Zurückhaltung zu neigen, heißt nicht, dass man nicht auch die Führung übernehmen könnte, wenn es nötig ist. Gerade unter Freunden und geliebten Menschen blühen Introvertierte oftmals auf. Da würde sie plötzlich keiner mehr als übermäßig zurückhaltend beschreiben.
Zurückhaltende Menschen verstehen
Es gibt also verschiedene Ursachen für Zurückhaltung. Aber wie geht man eigentlich damit um, wenn man einen zurückhaltenden Freund, Kollegen oder Partner im Leben hat?
Was du nicht zu zurückhaltenden Menschen sagen solltest
Viele haben den Reflex, einen zurückhaltenden Menschen retten zu wollen. Sie setzen Zurückhaltung und Unglück gleich, was, wie oben gezeigt, jedoch selten der Fall ist. Damit treten sie ganz schön auf die Füße derjenigen, die eigentlich nicht um Hilfe gebeten haben.
Daher solltest du niemals behaupten, jemand wäre unglücklich, weil er nicht so viel redet, seltener unter Menschen ist oder sich auf andere Art nicht verhält wie du. Das ist nicht nur unhöflich, das kann sogar dazu führen, dass du diesem Menschen Unsicherheiten einredest, die er vorher noch gar nicht hatte.
„Hab dich mal nicht so“, ist eine der schlimmsten Sätze, den jemand hören kann, der ruhig, introvertiert oder zurückhaltend ist. Denke immer daran, dass du nicht zu entscheiden hast, was für andere gut und richtig ist oder was sie glücklich macht. Indem du so tust, als wäre dein offener Ansatz der einzig wahre, beweist du eigentlich nur mangelnde Empathie und mangelndes Verständnis.
Vermutest du allerdings, dass jemand nicht aus freien Stücken so ruhig ist, sondern sich in seiner Haut unwohl fühlt, dann ist es dir nicht zu verdenken, dass du gerne helfen möchtest. Schritt eins ist jedoch nicht, dieses Urteil bereits zu fällen. Suche das Gespräch mit der Person und frage sie, ob es ihr in deiner Gegenwart gut geht – dränge sie aber nicht dazu, unter Menschen zu gehen oder vor anderen zu sprechen. Das richtet meist mehr Schaden an.
Deine Hilfe anzubieten, heißt nicht, dass dein Gegenüber verpflichtet ist, diese auch anzunehmen. Solltest du jedoch positives Feedback bekommen, dann kannst du einem zurückhaltenden Menschen selbstverständlich Tipps geben, wie man offener ist, wo man Leute trifft oder wie man sich in Gesellschaft wohler fühlt.
Wie zurückhaltende Menschen behandelt werden wollen
Zurückhaltende Menschen wollen von dir einfach akzeptiert und respektiert werden. Indem du ihnen nicht von oben herab sagst, was du für den richtigen Weg zu leben hältst, machst du schon mal einen wichtigen Schritt.
Ruhige Menschen brauchen für gewöhnlich etwas länger, um sich dir zu öffnen. Wenn du genug Ausdauer mitbringst, wirst du in ihnen jedoch immer einen tollen Menschen finden, der dein Leben bereichert.
Daher lohnt sich die „Mühe“, die du dir machen musst, um einen zurückhaltenden Menschen zu verstehen. Frag nach, versetz dich in ihre Situation. Wer weiß, vielleicht entdeckst du an dir selbst auch Seiten, die du bisher nicht kanntest, weil du für dein Verhalten stets positives Feedback erhalten hast. Schweigen ist keine leichte Sache, auch Nicht-Handeln ist eine Herausforderung.
Warum zurückhaltende Menschen so wichtig sind
Wenn alle immer nur machen und keiner aufpasst oder Pause drückt, dann gehen Sachen schief. So einfach ist das – es braucht die Macher und die Denker. Ja, Zurückhaltung kann dazu führen, dass wir die eine oder andere Chance im Leben verpassen. Zurückhaltung bewahrt uns aber auch davor, Dinge zu tun oder zu sagen, die schwerwiegende Folgen haben.
In der Arbeitswelt sehen zurückhaltende Mitarbeiter potentielle Probleme und verhindern Fehler, bevor sie passieren. Außerdem arbeiten sie meist gewissenhaft und effektiver als diejenigen, die viel Zeit mit Small Talk verbringen. Sie sind selten die Gesichter von Kampagnen oder Erfolg. Gute Chefs werden ihre Arbeit aber immer zu schätzen wissen und geben ihnen meist die Aufgaben, die besonders viel Verantwortungsbewusstsein verlangen. Hinter den Kulissen arbeiten zurückhaltende Menschen oft härter und gewissenhafter als ihre lauteren Kollegen.
In Freundschaften sind die ruhigeren Menschen meist diejenigen, die die besten Ratschläge geben, weil sie viel zuhören und beobachten. Im Umkehrschluss werden sie von ihren offeneren und extrovertierteren Freunden auch mal aus dem Schneckenhaus gelockt. Gleiches gilt für romantische Beziehung: Hier können die ruhigeren Charaktere und die Extrovertierten oft an ihren Gegensätzen Gefallen finden und sich somit unterstützen.
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Wie laut und chaotisch wäre die Welt, wenn wir alle ständig reden und handeln würden? Sehr, sehr chaotisch. Das sollte jeder verstehen, der zurückhaltende Menschen kennt oder selbst einer ist. Wir haben unseren Platz in der Welt und es ist ziemlich kurzsichtig, uns ändern zu wollen. Die Welt wäre ohne uns ein weniger abwechslungsreicher und kreativer Ort – das kann doch niemand wollen, oder? ODER?
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