Wie werden introvertierte Menschen eigentlich in Film und Fernsehen dargestellt? Als schüchtern, nett oder gar problematisch? Die Antwort ist: Ja.
Es gibt nicht die eine Art, wie Introvertierte in den Medien Aufmerksamkeit bekommen. Man muss Drehbuchautoren, Regisseuren und Produzenten aber auch zugestehen, dass Introvertierte nicht gerade einfach darzustellen sind – immerhin wollen viele Menschen schnell und „doll“ unterhalten werden.
Die innere Ausrichtung von Intros darzustellen, ist nicht einfach. Die wenigsten Filme und Serien lassen uns einen Blick in die Gedanken der Charaktere werfen. Aus gutem Grund, oftmals wirkt das einfach nicht „gut“ (oder profitabel, wenn es um Blockbuster geht).
Trotzdem gibt es sie, die Introvertierten in Film und Fernsehen, und sie sind gar nicht so selten. Seltener als aufgedrehte und überselbstbewusste Supermänner und -frauen, aber sie existieren! Und hier bekommen einige von ihnen endlich mal die Aufmerksamkeit, die sie verdienen.
Wie sind introvertierte Charaktere?
Bevor ich meine Unterteilung vorstellen kann, sollte ich erst einmal klarmachen, wen ich als introvertiert definiere. Das ist nämlich etwas kompliziert, weil ich die Leute schlecht fragen kann.
Introvertierte können in dieser Liste auftauchen, wenn sie a) deutlich ruhiger sind als andere Charaktere in der Story, b) als introvertiert bezeichnet werden, c) als zurückhaltend beschrieben werden, d) sozial unbeholfen sind.
Gerade die soziale Unbeholfenheit ist natürlich diskussionswürdig – denn nicht jeder, dem soziale Kompetenzen fehlen, ist auch introvertiert. Daher ist diese ganze Liste auch gerne zu kritisieren. Wie gesagt, es ist nicht einwandfrei zu bestimmen, ob diese Charaktere aus Film und Fernsehen wirklich introvertiert sind, sie stammen aus der Feder von Autoren, die ich mit meinem kleinen Blog jetzt nicht belästigen wollte.
Introvertierte Verbrecher
Stille Menschen gelten bis heute als gefährlich. Nein wirklich, mein Beitrag darüber, ob ruhige Menschen gefährlich sind, ist sehr beliebt. Wer ruhig ist, gibt nicht viel von sich preis und ist somit schwer einzuschätzen – das nutzen Autoren gerne, um jemanden zum Psychopathen, Killer oder Freak zu machen.
Joe aus YOU
Netflix hat mit YOU – Du wirst mich lieben mal wieder einen Hit gelandet. Der Protagonist Joe ist ein widerlicher Stalker, der ein hervorragendes Beispiel für die Nice Guy Epidemie ist, also Männer, die sich für nett halten (oder es in Teilen auch sind) und glauben, dass sie dafür Anerkennung von Frauen verdienen.
Joe ist meist Einzelgänger, beobachtet für sein Leben gerne und wir bekommen einen intensiven Einblick in seine Gedanken. Ein Großteil der Serie findet praktisch „in“ seinem Kopf statt. Er ist nicht nur introvertiert, sondern auch ein Narzisst.
Tom Riddle aus Harry Potter
In den Filmen sehen wir nur sehr wenig von Tom Riddle alias Voldemort (und ja, ich schreibe seinen Namen aus!). Durch die Bücher wissen wir noch etwas mehr: Er war ein Beobachter, wissensdurstig und unglaublich charmant.
Tom Riddle gilt daher für mich als gutes Beispiel für jemanden, den sowohl Zuschauer als auch seine fiktionale Umwelt nicht als introvertiert beschreiben würde – oft verstecken Introvertierte ihre ruhige Art, wenn sie sozial kompetent sind.
Introvertierte Nerds
Nach diesem brutalen Einstieg in die Welt der Film- und Seriencharaktere mit introvertierter Art, gehen wir nun zu den Nerds über. Die sind nämlich gerne mal etwas unbeholfen oder haben nur wenige Freunde. Das macht sie nicht automatisch zu Introvertierten, doch die folgenden Charaktere befassen sich zumindest meist häufiger mit ihren privaten Leidenschaften als mit dem Ausbau ihrer sozialen Kontakte.
Belle aus Die Schöne und das Biest
Also wenn Belle aus Die Schöne und das Biest nicht ein verdammt introvertierter Nerd ist, dann weiß ich auch nicht. Die liest viel, lässt sich in ein Schloss ohne einen weiteren (echten) Menschen sperren und der Gedanke, Zeit mit einem extrovertierten Selbstdarsteller (Gaston) zu verbringen, widert sie an.
Aber wirklich, diese Disney Prinzessin ist ruhig und schätzt Schönheit in ihrer Umwelt und echten Charakter in „Menschen“. Sie mag zwar beim Schlosspersonal beliebt sein, doch wenn Belle nicht regelmäßig in der Bibliothek verschwindet, um ihre Energie wieder aufzutanken, dann fresse ich einen (hoffentlich nicht lebendigen) Besen.
Newt Scamander aus Phantastische Tierwesen
Newt Scamander verbringt seine Zeit am liebsten mit seinen Tierwesen, versteht Menschen nicht und hat nur sehr wenige enge soziale Kontakte. Er ist außerdem sensibel und denkt stets an die Konsequenzen seiner Handlungen.
Sein Nerdstatus wird dadurch erlangt, dass er eine spezielle Leidenschaft hat, über die er alles weiß und gerne spricht – für Außenstehende etwas gewöhnungsbedürftig. Er ist absolut einer meiner Lieblingsintrovertierten und ein echter Held noch dazu. Rührt wohl auch daher, dass er uns dieses wundervolle Zitat gegeben hat:
„They’re currently in an alien terrain surrounded by millions of the most vicious creatures on the planet. Humans.“
Beatrice aus Warrior Nun
Die Kriegernonnen von Netflix haben auch einen introvertierten Nerd zu bieten: Beatrice. Diese junge Dame spricht mehrere Sprachen, ist reserviert und trotzdem (Zitat) „a badass“. Da wir hier nur eine Staffel haben, ist es schwer, eine vollständig überzeugende Argumentation vorzulegen, doch widerlegen lässt sich das Ganze auch nicht.
Sie hält sich im Hintergrund, beobachtet, gibt gute Ratschläge und öffnet sich erst, wenn sie jemandem vertraut. Hoffentlich bietet die zweite Staffel noch etwas mehr Material, das meinen Punkt unterstreicht.
Introvertierte Typen
Diese Kategorie hätte auch introvertierte Männer heißen können, doch als ich dann drei Stück ausgewählt hatte, fand ich Typen schon ganz richtig. Das sind nämlich die dunklen und grübelnden Charaktere.
Edward Cullen aus Twilight
Dafür gibt es bestimmt ein bisschen Gegenwind, denn Twilight polarisiert bis heute. Doch Edward Cullen ist ein ziemlich gutes Beispiel für den ruhigen Typen, der dadurch charismatisch wirkt (oder wirken soll).
Von sozialen Kontakten hält er nicht viel, Menschen strengen ihn eher an, er sucht sich ziemlich genau aus, wer seine Aufmerksamkeit bekommt, seine eigenen Gedanken teilt er selten. Stattdessen liest er, hört klassische Musik und stalkt seine Traumfrau. Klingt zumindest nicht extrovertiert, oder?
Bruce Wayne aus Batman
Eines der beliebtesten Beispiele für Introvertierte in den Medien: Bruce Wayne alias Batman (sorry, wenn du nicht wusstest, dass er Batman ist). Zurückgezogen, Einzelgänger, ständiger Beobachter – es kann sogar argumentiert werden, dass erst seine empathische Beobachtungsgabe dafür sorgt, dass er zu Batman wird.
Dagegenhalten könnte man, dass er sich für die Öffentlichkeit weiter als partybegeisterter Bachelor zeigt. Das lässt sich schnell entkräften: Immerhin ist es für Introvertierte sehr typisch, sich extrovertierter zu geben, als sie in Wahrheit sind.
Gregory House aus Dr. House
Dr. House hat einen begrenzten sozialen Kreis, will diesen eigentlich auch nicht erweitern, ist selbstbezogen und grüblerisch. Sein Auftreten ist rabiat und kompromisslos, was man vielleicht erst einmal nicht mit Introvertierten verbindet, doch letztlich ist das ein Schutz gegen die Außenwelt.
Introvertierte Mauerblümchen
Manche Filme und Serien drehen sich ja praktisch darum, dass jemand nicht besonders beliebt oder auffällig ist. Dann fällt schnell der Begriff: Mauerblümchen. Viele von ihnen können zumindest in die Kategorie potentiell introvertiert fallen. Manchmal wird ihnen jedoch auch die Rolle zugeteilt, bei der sie eigentlich total wunderschön und beliebt sind, wenn sie nur ihre Brille absetzen würde. Um die geht es hier nicht.
Bella Swan aus Twilight
Wer Edward sagt, muss auch Bella sagen. Ihre gesamte Persönlichkeit entspricht praktisch dem Klischee des „Sie ist nicht wie andere Mädchen“. Dazu gehört, dass sie für sich bleibt, keine Aufmerksamkeit sucht, gerne liest und klassische Musik hört.
Sie braucht außerdem lange, um sich in der Gegenwart anderer Menschen wohlzufühlen – mit Ausnahme dieser einen Sache, bei der ihre gesamten natürlichen Instinkte auf Kreuzfahrt gehen, damit sie sich auf Vampire und Werwölfe einlassen kann.
Charlie Kelmeckis aus The Perks of Being a Wallflower
Über Introvertierte in Filmen lässt sich nicht sprechen, ohne The Perks of Being a Wallflower zu erwähnen (in Deutschland leider: Vielleicht lieber morgen). Der Protagonist Charlie ist allerdings nicht in erster Linie introvertiert, das sollte klargestellt werden. Seine Hintergrundgeschichte verrät mehr darüber, warum er sozial so gehemmt ist (hier sage ich nicht mehr, um Spoiler zu vermeiden).
Trotzdem sind seine Erfahrungen damit, sich in seiner Umgebung nicht wohlzufühlen und endlich Freunde zu finden für viele (vor allem junge) Introvertierte sicherlich sehr vertraut.
Introvertierte, die komplex und gut dargestellt sind
Die letzte Kategorie möchte ich Charakteren widmen, die entweder besonders gut dargestellt sind oder die zumindest so viel Zeit in ihren jeweiligen Geschichten erhalten, dass man sie auf verschiedensten Ebenen auf Introversion untersuchen kann.
Rue aus Euphoria
HBOs Euphoria erlangte zunächst weltweit Aufsehen, als eine rekordverdächtige Anzahl an männlichen Organen gezeigt wurden, die sonst eher selten auf Bildschirmen zu sehen sind. Es dauerte jedoch nicht lange und die Serie wurde dafür gefeiert, dass sie einfach verdammt gut ist.
Umso schöner, dass die Protagonistin als hervorragendes Beispiel für unsere Liste der Introvertierten dient. Rue Bennett ist nicht unbeliebt unter ihren Gleichaltrigen, doch sie sucht weder viel Anschluss noch positive Aufmerksamkeit. Genial visualisiert erleben wir sehr viel von ihrem Innenleben was, wie eingangs erwähnt, gar nicht so leicht ist.
Zu ihrer introvertierten Art gesellt sich noch selbstzerstörerisches Verhalten. Dass Zendaya für ihre Performance einen Emmy erhielt, ist eines der wenigen guten Dinge, die im Jahr 2020 passiert sind.
Katniss Everdeen aus Die Tribute von Panem
Katniss Everdeen ist eine Introvertierte, die sich gezwungen sieht, ihre introvertierte Art zu verstecken. Wenn das nicht dazu führt, dass sie als Ehrengast auf diese Liste kommt, dann schafft es wohl niemand.
Sowohl in den Büchern als auch in den Filmen sehen wir immer wieder, dass Katniss nicht berühmt oder überhaupt beliebt sein möchte. Sie verbringt sehr viel Zeit alleine oder mit den wenigen Menschen, die sie zu ihrer Familie zählt.
Gerade im Kontrast zum charismatischen (und zumindest in Teilen extrovertierten) Peeta wirkt die Introvertiertheit und soziale Unbeholfenheit von Katniss noch stärker. Fast jeder Introvertierte kann sich mit dem Gefühl identifizieren, sich zu verstellen, um dazuzugehören oder um ein Ziel zu erreichen. Auch wenn es sich falsch anfühlt, ist es manchmal ein Mittel zum Zweck. Entweder um die Schulzeit zu überstehen oder um die Hungerspiele zu gewinnen.
Thaddäus Tentakel
Spongebob Schwammkopf als Nachbarn oder Kollegen zu haben, ist der Albtraum eines jeden Introvertierten. Daher können wir an dieser Stelle Thaddäus Tentakel nur unser Beileid aussprechen. Gleichzeitig erfüllt er jedoch auch das Klischee eines introvertierten Narzissten.
Es geht jedoch nicht darum, die nettesten Introvertierten in Film und Fernsehen zu finden, sondern an dieser Stelle die, die sehr gut dargestellt sind. Thaddäus passt da hervorragend rein. Er ist kreativ, kennt seine eigenen Fähigkeiten sehr gut, wird jedoch von der Welt nicht ernstgenommen.
In einem Servicejob mit Menschen (naja…) zu arbeiten, findet er furchtbar und die laute und überschwängliche Art von Spongebob und Patrick verstört ihn. Gleichzeitig ist da immer diese leichte Eifersucht auf die Unbeschwertheit seiner Mitmenschen. Wenn das nicht nach etlichen Introvertierten klingt, die sich mal gewünscht haben, etwas kompetenter und leichter mit Menschen und der Welt klarzukommen, dann weiß ich auch nicht.
Weitere Introvertierte Charaktere in den Medien
Nun folgt noch eine weitere Liste, die nach Belieben ergänzt werden kann. Nicht jedem kann ich einen eigenen Absatz widmen, dafür möchte ich mich bei den Charakteren entschuldigen. Gleichzeitig kannst du als Leser mir gerne sagen, wenn ich mal einen ganzen und detaillierten Beitrag über einen bestimmten introvertierten Charakter schreiben soll.
Introvertierte Charaktere in Film und Fernsehen:
- Bucky Barnes (Marvel)
- Sheldon Cooper (The Big Bang Theory)
- Arya Stark (Game of Thrones)
- Rory Gilmore (Gilmore Girls)
- Ron Swanson (The Office)
- Rosa Diaz (Brooklyn Nine Nine)
- Geralt of Rivia (The Witcher)
- …
Lesetipp: Introvertierte in den Medien.
Trau dich gerne in die Kommentare, da kann fleißig ergänzt werden. Oder findest du vielleicht, dass einige Charaktere nicht auf die Liste gehören?
Vor einiger Zeit bestand unser sonntägliches Mittags-Ritual aus diversen Barbie-Filmen im Kinderfernsehen. Und so manches Mal habe ich doch sehr gestaunt, dass Barbie in den Filmen für gewöhnlich sehr sensibel und eher introvertiert dargestellt wird. Meist im Gegenspiel zu eher rüpeligen, frechen, teils verlogenen Widersacher*innen, mutig, weise, belesen, zart und zurückhaltend (und natürlich sehr hüsch!).
Ich habe mich oft gewundert und gefreut, dass hier (im Rahmen der Möglichkeiten…) „wahre Werte“ gezeigt und idealisiert werden, wo es doch in der Realität oft so ganz anders ist. Das Gute gewinnt.