Still und unberechenbar: Sind ruhige Menschen gefährlich?

Ruhige Menschen bringen viele Fragen mit sich. Daher werden sie als komisch, eigenartig oder gar gefährlich eingestuft. Denn wir fürchten das Unbekannte. Doch stimmt es wirklich, dass ruhige Menschen bedrohlicher sind oder ist das ein Vorurteil?

Zunächst werden die Ursachen für diese Wahrnehmung erläutert, dann wird klargestellt, wann man ruhige Menschen fürchten sollte und wann nicht.

Warum denken wir, dass ruhige Menschen gefährlich sind?

Bevor wir ein Vorurteil überwinden können, sollten wir dessen Herkunft beziehungsweise Ursache kennen. Dass stille Menschen gefährlicher sein sollen, kann auf verschiedene Probleme in der Wahrnehmung zurückgeführt werden. Einige sind durch unsere Gesellschaft bedingt, andere durch den persönlichen Umgang mit dem Unbekannten.

  1. Böse Menschen sind still

Wenn nach einem Terroranschlag, Massenmord oder der Enthüllung eines Serien-/Familenmörders Interviews geführt werden, hört man selten, dass es offensichtlich war, dass diese Person durchdrehen würde. Viel häufiger beschreiben Angehörige oder Nachbarn diese Menschen als „zurückhaltend“, „blieb für sich“ oder „sehr unauffällig“.

Das verstärkt das Misstrauen gegenüber Menschen, die nicht viel von sich preisgeben (dazu mehr unter Punkt 3). Wenn man nur oft genug von ruhigen Personen hört, die etwas Schlimmes getan haben, wird man irgendwann erwarten, dass sie gefährlicher sind.

  1. Leise Menschen in den Medien

In der Serien-, Film- und Dokumentationslandschaft werden gerne Mörder in den Mittelpunkt gestellt. Zuschauer wollen einen kleinen Einblick in den Kopf von Verrückten und Kranken werfen. Und diese sind fast alle Einzelgänger.

In fiktionalen Geschichten sind die ruhigen Menschen oft für Wutausbrüche oder Racheakte bekannt. Ausnahmen existieren, wenn die Person attraktiv ist (1), lernt offener zu sein (2) oder in einem Format dargestellt wird, das Klischees und Oberflächlichkeit vermeidet (3).

Da wir mehr Zugang denn je zu Serien und Filmen haben, ist es also kein Wunder, dass wir geprägt werden. Auch in der Literatur werden stille Menschen gerne als problematisch dargestellt, weil wir ihre Perspektive nicht kennen. Dabei spielen die Geschichtenerzähler mit dem nächsten Punkt, der zu Misstrauen führt.

  1. Ohne Einblick fühlen wir uns unsicher

Um einen Menschen einschätzen zu können, brauchen wir Informationen. Stille Personen, die sich eher zurückhalten, teilen jedoch weniger mit ihrem Umfeld. Dadurch werden sie automatisch unberechenbarer. Was den einen nur leicht stört, kann bei anderen zu echter Nervosität und somit Ablehnung führen.

Denn auch wenn wir uns für höchstentwickelt und der Natur überlegen halten, wir haben noch immer Urinstinkte, die unsere Leben bestimmen. Dazu gehört, dass wir Unbekanntes als bedrohlich wahrnehmen.

Es ist schlicht und ergreifend schwieriger, jemanden einzuschätzen, der nicht auf Anhieb von sich erzählt. Häufig ist es uns sogar lieber, jemand erzählt irgendetwas über sich als gar nichts. Hauptsache wir müssen uns nicht mit Unsicherheit auseinandersetzen.

  1. Ablehnung von allem, was nicht ins Bild passt

Wer nicht „ins Bild passt“ wird leider nicht nur komisch beäugt, sondern oftmals auch aktiv ausgeschlossen oder angegriffen. In der Schule werden eher die Zurückhaltenden gemobbt und weniger die Klassenclowns.

Nicht nach den Regeln des sozialen Umfelds zu spielen, heißt, anders zu sein. Leider wird das, was anders ist, schon immer als gefährlich oder falsch empfunden. Nicht von allen, aber von genug Menschen, um zu Vorurteilen und Ablehnung zu führen.

Hinzu kommt, dass soziale Faktoren das Bild eines Einzelnen prägen: Ein ruhiger Mensch, der nach wiederholtem Mobbing einmal richtig zuschlägt, wird als gefährlicher wahrgenommen, als derjenige, der jedes Wochenende in Kneipenschlägereien verwickelt ist. Ein soziales Umfeld prägt Wahrnehmung – wer viele Freunde hat, eine gute Ausstrahlung oder sich einfach gut verkaufen kann, dem wird mehr erlaubt, als demjenigen, der alleine ist.

Es ist ein Teufelskreis, wenn ruhige Menschen von anderen als komisch oder gefährlich beschrieben werden, erwartet jeder, dass sie sich komisch oder gefährlich verhalten. Hier kommt der Bestätigungsfehler ins Spiel, der uns veranlasst, alle Informationen so zu interpretieren, dass sie in das Bild passen, dass wir bereits haben (mehr über den „confirmation bias“).

eigenbrötler gefahr

Gibt es gefährlich ruhige Menschen?

Ja, ruhige Menschen können gefährlich sein. Denn es gibt zwei Arten, Dinge zu verstecken: Indem man sie vor aller Augen zeigt und als normal darstellt oder indem man sie versteckt. Narzissten und Selbstdarsteller schaffen es, ihre gewalttätigen oder schädlichen Verhaltensweisen als charmant, speziell oder besonders zu präsentieren. Ruhige Menschen behalten ihre schlechten Gedanken einfach für sich.

Auch die Ablehnung, die hier ergründet wird, kann dazu führen, dass Menschen gefährlich werden. Indem ruhige Menschen ausgestoßen, beleidigt oder gar angegriffen werden, entsteht eine selbsterfüllende Prophezeiung: Wenn sie sich letztlich wehren, bestätigen sie, was angeblich von Anfang an klar war.

Wer mit der sozialen Isolation nicht klarkommt, kann einen Hass auf andere entwickeln. Dann werden ruhige Menschen wirklich gefährlich. Doch das kann auch aufgeschlossenen Menschen passieren. Wie mit allen Unterteilungen, wird es Negativbeispiele geben, die unter Umständen das Gesamtbild prägen – dabei gibt es kleine, große, alte, junge, mutige, ängstliche und gute Menschen, die gefährlich sind.

stille menschen vorurteile

Sind stille Menschen wirklich gefährlich?

Ruhige Menschen sind grundsätzlich nicht gefährlicher als andere. Die Wahrnehmung und der Umgang mit ihnen führt letztlich dazu, dass sie stigmatisiert werden.

Viele der hier aufgeführten Vorurteile sind irrational. Ein einfaches Gespräch mit einer ruhigen Person könnte das bereits aufklären. Im Beitrag „Warum werden ruhige Menschen abgelehnt“ gibt es dazu weitere Informationen.

Am Ende steht ein einfacher Aufruf: Man sollte den Charakter eines Menschen nicht nach seinem Mitteilungsbedürfnis einschätzen. Ruhige Menschen haben genauso Stärken und Schwächen wie jeder andere. Manche sind schlecht, manche sind gut. Doch sie dürfen nicht darüber definiert werden, wie viel sie sagen oder wie gerne sie sich in den Mittelpunkt drängen.

So entstehen nur problematische Vorurteile. Wir sollten nach Taten beurteilen. Gefährlich sind Menschen, die beleidigen, lügen oder attackieren. Manche tun das vor aller Augen und kommen damit durch. Einfach, weil sie ja nicht die ruhigen Typen sind. Auf der anderen Seite erfahren die Ruhigen Misstrauen und ihnen wird die Chance verwehrt, sich über all die anderen Dinge zu definieren, die sie ausmachen.

Mehr zum Thema: Ich will alleine sein und meine Ruhe haben.

1 Kommentar

  1. Was ich als ruhiger Mensch gemerkt habe ist das ruhige Menschen, durch ihre Beobachtungen von Verhalten, Mimik und Gestik genau wissen wo Sie / ich ansetzen müssen um anderen Menschen „weh zu tun“. Ruhige Menschen,sind meist impulsiv wenn sie in Bedrängnis kommen , besonders wenn Emotionen ins Spiel kommen die man selbst schon nicht wirklich handhaben kann und die Gegenseite einen weiter drängt. Bei extrovertierten Menschen habe ich die Erfahrung gemacht dass sie einfach „wild“ um sich feuern mit Worten und dabei selten etwas treffen was weh tut.

    Ein Beispiel dafür habe ich vor 4 Wochen erlebt, bei der Trennung von meiner Freundin.
    Sie hat mich über Wochen beleidigt, angeschrien,belogen aber ich bin freundlich und sachlich geblieben… und als Sie ihre Sachen abgeholt hat, hat sie nochmals eine Scene gemacht von ca 1 1/2 Stunden… Was für mich absolut unangenehm war und ich sie mehrmals gebeten habe mich nicht so anzugehen. Hat sie nicht interessiert, ich habe aber an ihrer Wortwahl und ihrer Auswahl an Kleidung schnell gemerkt das sie schon nen neuen hat und als Sie gehen wollte habe ich einen bissigen Kommentar abgegeben (wirklich nur einen Satz, auf Grund der Beobachtung) und Sie ist auf einmal in Tränen ausgebrochen und hat gesagt das sie es hasst das ich sie so lesen kann.

    Wegen solchen Sachen denke ich das viele Angst haben, weil die meisten ruhigen Menschen die extrovertierten meistens mit nur wenigen Argumenten komplett aus ihrer Welt holen können oder dem extrovertierten schnell klar wird das man eine Bedrohung für den sozialen Status in der Arbeit werden könnte wenn man nur etwas mehr sozialer wäre.

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