Ich bin gerne zu Hause: das Stubenhocker-Manifest

Ja, ich bin gerne zu Hause und nein, ich sehe damit kein Problem. Manche Menschen möchten mich nach so einer Aussage retten, heilen, ins Licht führen. Also das Licht ist die Sonne, nicht der Tod. Denke ich zumindest.

Seine Wohnung zu mögen und es zu lieben, auch mal alleine zu Hause zu sein, gilt nicht als cool. Das sieht ja keiner. Da passiert ja nichts Aufregendes. Deshalb wird jemand, der gerne zu Hause ist (und wagt, das zuzugeben), auch schief angeguckt.

Schnell wird das Wort Stubenhocker in den Raum geworfen. Selten bis nie als Kompliment. Das Problem ist, dass dieser Begriff für die Menschen genutzt wird, die wirklich fast nur zu Hause sind und für diejenigen, die gelegentlich gerne mal zu Hause sind. Dass „gerne zu Hause sein“ in unterschiedlichsten Formen und Arten kommt, vergessen dabei viele.

Aber nicht hier. Die ruhigen, introvertierten und zurückgezogenen Menschen kommen hier zu Wort – also zum geschriebenen Wort, man muss das mit dem Menschenkontakt ja jetzt nicht übertreiben.

Am liebsten zu Hause sein: Gründe

Die Gründe dafür, dass jemand zum Stubenhocker wird, sind so vielfältig, wie die Stuben, in denen gehockt wird. Man kann gerne zu Hause sein, weil besagtes Zuhause wunderschön ist, individuell, perfekt. Oder weil man sich in einer ruhigen Umgebung einfach am besten ausleben kann. Aber auch, weil die Außenwelt manchmal einfach keine echte Option ist.

Teenager

Beginnen wir mit einem Klischee, das nun mal dazugehört, wenn wir über Stubenhocker sprechen: der Teenager. Er zieht sich auf sein Zimmer zurück, will mit den Eltern nichts zu tun haben, spielt Videospiele oder glotzt fern.

Teenager sein, ist anstrengend. Wer etwas anderes behauptet, hat schon vergessen, wie es wirklich war. Das heißt nicht, dass die Jugendjahre nicht gut und aufregend sein können. Doch es geht so dermaßen viel in unseren Körpern und speziell unseren Köpfen vor, dass ein Teenager, der sich zurückzieht, beim besten Willen nichts Außergewöhnliches ist.

Bücher, Videospiele oder andere Hobbys sind für manch einen Heranwachsenden einfach der notwendige Ausgleich zu dem Chaos, das mit neuen Erfahrungen einhergeht.

Gelegenheitshocker und Missverstandene

Manchmal werden wir fälschlicherweise als Stubenhocker klassifiziert. Denn wer zugibt, den Abend lieber alleine zu Hause zu verbringen, anstatt feiern zu gehen und dann in naher Zukunft noch einmal absagt, den sehen die Mitmenschen sofort als komisch an.

Selbst Extrovertierte können plötzlich als ulkig oder einsiedlerisch gelten, nur weil sie gelegentlich mal Termine absagen. In Wahrheit sind diese Menschen nicht super gerne zu Hause oder alleine, sie können erschöpft sein oder Verpflichtungen haben. Gelegentlich mal zu Hause zu bleiben, macht noch keinen Stubenhocker!

Homeoffice

Mittlerweile ist Homeoffice ja nichts allzu Außergewöhnliches mehr. Trotzdem können Menschen gerne zu Hause sein, weil sie ein schönes Arbeitszimmer haben, in dem sie in Ruhe arbeiten können und sehr viel mehr schaffen als in einem Büro.

Nur verbringen sie dann natürlich automatisch viel Zeit zu Hause. Bieten sich auch noch wenige Chancen, mal rauszukommen, klingt das auch hier sofort nach Stubenhockerei. Dass viele Leute, die im Homeoffice arbeiten, zum Ausgleich ein Hobby haben oder viel spazieren gehen, ist gut und wichtig, wird aber nicht von allen gesehen.

Sozialphobien

Ein nicht allzu schöner Grund dafür, dass jemand lieber zu Hause ist als unterwegs, sind sogenannte Sozialphobien. Hierbei haben die Betroffenen aus verschiedenen Gründen Angst vor sozialen Interaktionen.

Sie ziehen sich also nicht in ihre Wohnung zurück, weil sie sie besonders mögen, dort arbeiten oder ein stilles Hobby haben, sondern weil ihnen die Welt vor der Tür unangenehm ist. Das ist sehr schade und einer der Gründe für das Zuhausebleiben, die weiter unten behoben werden können.

Introversion

Introvertierte Menschen können alleine oder in ruhiger Umgebung besser denken, arbeiten, leben. Wo ist es meist ruhig? Richtig, zu Hause. Für Introvertierte kann das eigene Zuhause einer der wenigen Orte sein, an dem sie sich richtig zurückziehen und ihre Energiereserven wieder auftanken können.

Es ist höchst unwahrscheinlich, dass ein introvertierter Mensch sich zu Hause langweilt oder unwohl fühlt. Einem Intro brauchst du nicht erzählen, es wäre komisch, dass er oder sie so viel zu Hause ist, ihm oder ihr geht es gut, vielen Dank auch.

ich bin am liebsten alleine zu hause
Ist es schlecht, wenn man Stubenhocker ist?

Stubenhocker sein: ein Problem oder eine Kunst?

Jetzt zur großen Debatte: Ist es komisch, problematisch oder total normal, wenn man gerne zu Hause ist und das auch noch alleine? Heißt Stubenhocker sein, nicht richtig zu sein?

Nein. Grundsätzlich ist die Liebe zur eigenen Wohnung überhaupt nichts Schlimmes. Wer sich in den eigenen vier Wänden ernsthaft wohlfühlt, der sollte sich auch nichts anderes einreden lassen. Es ist ehrlich gesagt auch ziemlich eklig, dass manche Menschen das versuchen.

Wer ist Hans Peter denn, dass er denkt, er wüsste, was gut für mich ist? Oder Luisa Katharina, die mir erzählen will, dass ich krank bin, weil ich mich alleine gut beschäftigen kann?

Wir alle müssen selbst entscheiden, was für uns gut ist. Wer sich wohler fühlt, wenn er zu Hause ist, der sollte sich dafür nicht schämen müssen. Zumal „Ich bin gerne zu Hause“ nicht bedeutet, dass wir nie rausgehen oder keine Sozialkontakte hätten. Wir müssen nur nicht ständig draußen sein oder unter Menschen gehen.

Jeder kennt diese Personen, die ständig nur auf Achse sind und scheinbar nie Pause machen. Die haben es auch nicht gerade leicht, da sie nie Zeit für sich haben oder mal nur mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt sind. Ohne Stimulation wissen sie gar nicht, was sie machen sollen.

Da haben die vermeintlichen Stubenhocker doch einen Vorteil – sie können jederzeit unter Menschen gehen, kommen aber auch problemlos eine Weile ohne sie aus. Sie haben Hobbys, Fantasie, eine tolle Umgebung, Haustiere, eine Familie, … Zuhause ist kein Schimpfwort.

ich bin stubenhocker geworden
Nicht jeder ist dafür gemacht, ständig unterwegs zu sein

Wenn Du etwas ändern möchtest…

Da wir hier auch über Klischees und Vorurteile sprechen, wäre es nicht fair, diese Thematik nur von einer Seite zu beleuchten. Es gibt durchaus Situationen, in denen es problematisch werden kann, wenn man zu viel oder zu gerne zu Hause ist.

Wer sich zu häufig zurückzieht, könnte dadurch den Anschluss verlieren. Soziale Kontakte halten sich nicht von alleine. Manchmal müssen wir uns schon ins Zeug legen, damit Freunde und Familienmitglieder sich wertgeschätzt fühlen. Ziehen wir uns zu sehr zurück, weil wir doch eigentlich total zufrieden mit unserer Ruhe sind, werden wir es später vielleicht bereuen.

Manchmal belügen wir uns auch. Wir denken, wir würden es besser finden, zu Hause zu sein, doch in Wahrheit fürchten wir uns vor etwas oder gehen einem Problem aus dem Weg. Auch das ist keine wahre Liebe zum Stubenhockertum, das ist Selbstbetrug.

Und wie bereits angesprochen, können soziale Phobien hier eine Rolle spielen. Diese sollten – möglichst mit professioneller Unterstützung – unbedingt angegangen werden. Sonst besteht erhöhte Gefahr für Stress, Isolation und Depression. 

Fühlst du dich zu Hause zwar wohl, würdest aber gerne auch etwas ändern, dann gilt wie immer: Schritt für Schritt. Viele Menschen haben einen Moment, in dem sie plötzlich denken, verdammt, ich muss was ändern. Dann übertreiben sie es und sind ein paar Wochen später am selben Punkt.

Wer gerne zu Hause ist, muss das wie gesagt nicht unterdrücken. Wer aber gleichzeitig mehr raus möchte und mehr Sozialkontakte haben will, der muss sich schon aufrappeln. Mein Tipp: Schreibe dir mal für eine Woche auf, wann du zu Hause und wann du unterwegs bist beziehungsweise wie viele Menschen du getroffen hast (Freunde, Familie, Partner). Dann erhöhe in der kommenden Woche die Zeit außerhalb der Wohnung um eine Stunde und treffe eine Person zusätzlich (oder dieselbe mehrfach).

Schau, wie es dir damit geht und erhöhe gegebenenfalls noch mal die Zeit außer Haus. Wird es dir irgendwann zu viel und du vermisst deine Wohnung und Zeit alleine, dann gehe wieder einen Schritt zurück. Hauptsache du versuchst es nicht von 0 auf 100 und bist so erschöpft, dass du erst einmal zwei Wochen im Bett liegen musst. Das wäre kontraproduktiv.

am liebsten zu hause
Das eigene Zuhause kann ein wundervoller Rückzugsort sein

Wenn du am liebsten zu Hause bist…

Bist du gerne zu Hause, leidest nicht an Phobien oder Isolation, tja, dann bleib auch zu Hause. Wenn dir das jemand ausreden will, dann kann er das gerne versuchen – wie auch immer er das anstellen will, wenn er draußen bleiben muss, während du zu Hause bist.

Nur du kannst entscheiden, wie wohl du dich fühlst. Wenn du gerne zu Hause bist, dich beschäftigen kannst, keine Langeweile aufkommt, du trotzdem genug Vitamin D bekommst und dich ausreichend bewegst, na, was ist denn so schlimm? Nichts. Jeder schafft sich seine eigenen idealen Lebensbedingungen.

Fast immer kommt das schlechte Gefühl durch die negative Meinung der anderen. Weil sie nicht gerne alleine zu Hause sind (weil sie nichts mit Ruhe oder sich selbst anzufangen wissen), darfst du es auch nicht genießen. Weil sie viele soziale Interaktion zum Leben brauchen, wirst du das doch wohl auch so empfinden müssen. Weil sie keine Ahnung haben, geben sie ungefragt ihre Meinung ab.

Selbst wenn wir mal für einen Absatz so tun, als wäre es wirklich falsch oder unnormal, gerne zu Hause zu sein, dann bleibt immer noch die Frage, wem damit eigentlich geschadet wird und ob wir nicht größere Probleme haben? Es gibt Menschen, die lügen und betrügen, die nutzen andere aus, die ändern ihren Charakter dreimal täglich. Die scheinen mir deutlich geeigneter für Kritik zu sein, als jemand, der oftmals kein Bock auf Menschen hat.

stubenhocker sein
Auf der Couch ist es ruhig und kuschelig und das darf man genießen

Ich bin gerne Stubenhocker

Für Stubenhocker gibt es hier noch einen weiteren Artikel, der runtergehen sollte wie Öl: Wie sage ich jemandem, dass er die Klappe halten soll?


Wie definierst du einen Stubenhocker? Muss derjenige wirklich ständig zu Hause sein oder reicht es auch, wenn jemand nur nicht gerne auf Partys, in Cafés oder zu Veranstaltungen geht? Verwechselst du vielleicht sogar die Stubenhocker mit den Menschen, die einfach lieber alleine sind?

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