Niemand gibt gerne zu, dass er überfordert ist. Denn als Gesellschaft scheinen wir irgendwann mal entschieden zu haben, dass das Leben voll einfach ist – und wer nicht klarkommt, muss selber schuld sein. Überforderung ist also ein Zeichen von Schwäche.
So zumindest die Theorie – und die erlebte Praxis für viele von uns. Wirklich sinnvoll ist das nicht, wenn man bedenkt, wie viele Menschen bereits jetzt sichtbar überfordert sind. Dazu müssen wir noch diejenigen rechnen, die heimlich überfordert sind. Plötzlich stellt sich heraus, dass sehr viele von uns nicht so richtig klarkommen.
Das ist eine ganz nette Erkenntnis, um sich nicht allein zu fühlen. Aber es beantwortet auch noch nicht die Frage, wieso alles zu viel wird. Also schauen wir doch mal, woher Überforderung kommt und was du dagegen tun kannst.
Wenn alles zu viel wird
Leider tendieren viele von uns dazu, bei Problemen nur noch mehr aufs Gas zu drücken. Durch Müdigkeit wird sich durchgekämpft. Eine Sache zusätzlich auf der To-Do-Liste macht den Kohl auch nicht fett. Das wird schon alles von allein wieder gut.
Wenn du nur eine Sache aus diesem Text mitnimmst, dann bitte, dass du dir selbst gegenüber Verständnis für Überforderung zeigen musst. Das Ignorieren von Warnsignalen oder Herunterspielen von Problemen ist nicht sinnvoll.
Dabei ist es unerheblich, ob alles zu viel wird, weil tatsächlich viel passiert. Schicksalsschläge, Stress auf Arbeit, Krankheit – ja, das sind alles mögliche Ursachen für deine Überforderung. Aber auch dann, wenn theoretisch keine konkrete Ursache vorliegt, darfst du überfordert sein. Und du darfst nicht nur, du musst dir selbst auch erlauben, zu scheitern und suboptimal zu funktionieren.
Einige Symptome von Überlastung:
- Schlafstörungen
- Unkonzentriertheit
- Reizbarkeit
- Weinen
- Rückzug
- Panikattacken
- Krankheitsanfälligkeit
Ursachen für Überforderung im Alltag
Schritt eins war also, anzuerkennen, dass gerade einfach alles zu viel wird. Das ist unglaublich wichtig. Aber leider hilft das auch nur bis zu einem gewissen Punkt. Denn ohne die Gründe für die Überlastung zu kennen, kannst du nur raten. Stattdessen willst du sicherlich konkret versuchen, wieder etwas mehr Ruhe, Entspannung und Kontrolle in dein Leben zurückzubringen.
Körperliche Ursachen
Wenn dich nicht eine konkrete Situation überfordert, sondern scheinbar alles, dann kann es sein, dass dir dein Körper im Wege steht. Das ist gemeinhin nicht der erste Punkt, an dem man ansetzt. Weniger Überforderung und Stress zu wollen, heißt meist, Arbeit zu reduzieren oder tief durchzuatmen.
Aber körperliche Ursachen sollten am Anfang der Ursachenforschung stehen. So kann es sein, dass du neurodivergent bist. Schon „leichte“ Formen von ADHS und Autismus sorgen dafür, dass der Alltag eine unnötig große Herausforderung darstellt. Auch Hochsensibilität ist eine typische Ursache für Überforderung, da hier Reize schlechter gefiltert werden – es wirkt nicht nur alles anstrengend, alles IST anstrengend.
Auch psychische Erkrankungen, Schlafmangel oder Hormonschwankungen sind Gift für ein entspanntes Leben. Du musst unbedingt feststellen (oder von einem Arzt/Therapeuten feststellen lassen), ob dein Körper dir zusätzlichen Stress macht. Für Teenager sind die verrücktspielenden Hormone zum Beispiel immer ein Faktor, der bei Überlastung eine Rolle spielt.
Akute Überforderung
Die Welt kann plötzlich und mit voller Wucht zu viel werden. Somit liegt eine akute Überlastung vor. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn viele Dinge auf einmal geschehen. Ein Jobverlust ist nicht das Ende der Welt. Ein Jobverlust plus der Tod eines Haustiers? Schon deutlich schwerer zu verarbeiten.
Wenn konkrete Ursachen für aktuelle Überforderung vorliegen, ist das gut und schlecht zugleich. Es ist schlecht, weil diese Dinge meist nicht in deiner Hand liegen und du nur reagieren kannst. Gut ist hingegen, dass solche Zustände nicht ewig anhalten und Entspannung häufig mit der Zeit (manchmal mit viel Zeit) von allein zurückkehrt.
Ständig überfordert
Deine Psyche kann eine Marathonbelastung empfinden, wenn deine Überforderung nicht temporär und konkret ist, sondern einfach zum ständigen Begleiter im Leben wird. Wenn dich einfach ALLES fertigmacht und du schon einiges erfolglos versucht hast, um das zu ändern, steht jetzt eine Menge Arbeit an.
Denn zum einen liegen wahrscheinlich mehrere Ursachen für deine Überforderung vor. Nur Schicksalsschläge, nur ADHS, nur eine Sozialphobie – obwohl das große Dinge sind, sollten sie nicht für ständige Überlastung sorgen. Wahrscheinlich liegt eine Kombination aus körperlichen, psychischen und akuten Ursachen vor. Eine Diagnose kann ich dir an dieser Stelle nicht geben. Stattdessen solltest du mit Menschen sprechen, denen du vertraust, oder mit einem Therapeuten, der weiß, was er tut.
Tipps, wenn du überfordert bist
Professionelle Hilfe verspricht im Normalfall gute Erfolge. Aber nicht jeder hat Zugang zu dieser Art von Unterstützung. Leider hat auch nicht jeder ausreichend empathische und ehrliche Freunde, um sich helfen zu lassen. Also musst du wohl oder übel erst einmal versuchen, dir selbst zu helfen.
Tipps für Überforderung im Leben:
- Überprüfe, ob dein Körper dir im Wege steht.
- Mach eine Bestandsaufnahme (über längere Zeit).
- Setze Prioritäten.
- Hör auf, Dinge aus Pflichtgefühl zu tun.
- Verstehe, dass viele von uns überfordert sind.
- Heul dich mal richtig aus.
- Finde Regenerationsnischen.
- Vereinfache dein Leben.
- Suche dir Hilfe (privat oder online).
Bestimmt hast du schon den einen oder anderen Tipp ausprobiert. Allerdings haben wir ja bereits festgestellt, dass es viele Ursachen, Symptome und Varianten von Überforderung gibt. Also liegt nahe, dass auch die Lösung etwas komplexer ist und Zeit in Anspruch nehmen wird.
Überprüfe, ob dein Körper dir im Wege steht
Bei den Ursachen wurde es ja bereits angesprochen: Nicht immer sind externe Faktoren der Hauptgrund für deine Überlastung. Einmal durchchecken beim Hausarzt ist also nicht die schlechteste Idee. Nährstoffmangel, Entzündungen oder Krankheiten können dich antriebslos machen. Die Grundlage für Verbesserungen ist, dass du weißt, was du deinem Körper zumuten kannst und was nicht.
Mach eine Bestandsaufnahme (über längere Zeit)
Wenn du überfordert bist, gehen wahrscheinlich gerade viele Dinge in deinem Leben vor. Den Überblick zu behalten, ist schwer bis unmöglich. Also Zettel und Stift nehmen (oder eine App öffnen, aber ich bevorzuge Zettel und Stift) und aufschreiben, was gerade alles so passiert und von dir erwartet wird.
Erst wenn du einmal siehst, was du jeden Tag, jede Woche und jeden Monat so bewältigen sollst, kannst du richtig einschätzen, woher die Überlastung kommt. Ein Aufgaben-und-Gefühle-Tagebuch solltest du mindestens einen Monat lang führen. Darin hältst du fest, was du jeden Tag erledigst – von Wäsche machen über Freunden zur Seite stehen bis hin zu Arbeitsprojekten – und wie du dich dabei fühlst. Du solltest schnell erkennen, dass einige Dinge wie von Zauberhand erledigt werden und andere immer und immer wieder Frustration hervorrufen.
Setze Prioritäten
Nach der Bestandsaufnahme musst du entscheiden, was für dich besonders wichtig ist und was nicht. Die Chancen stehen gut, dass du Zeit mit Freunden und Familie nicht aufgeben würdest, selbst wenn sie dich etwas erschöpft. Dann hat das für dich Priorität. Nur hier die bittere Nachricht: Nicht alles kann Priorität haben, denn dann hat nichts Priorität. Ist das Leben gerade „zu viel“ dann kann es auch sein, dass du knallhart deine Gesundheit priorisieren musst.
Hör auf, Dinge aus Pflichtgefühl zu tun
Der vorherige Tipp wird vor allem aus einem Grund nicht umgesetzt: Es sei doch alles irgendwie wichtig. Ist es das? Wirklich? Dich aus Prinzip mit Leuten auf einen Kaffee zu treffen, obwohl du dabei eigentlich keinen Spaß hast, ist also so unglaublich wichtig? Nicht als unhöflich gelten zu wollen und deshalb noch mehr Arbeit zu übernehmen, ist so unglaublich wichtig?
Wir machen viel zu viele Dinge, weil wir glauben, dass man das halt so macht. Aber du hast jedes Recht, gegen den Strom zu schwimmen. Wenn du nicht kochen willst, dann gib halt die zusätzlichen Euros für einen Lieferdienst aus. Magst du nicht ins Fitnessstudio gehen, dann mach halt Übungen zu Hause. Ist aus einer guten Freundschaft eher eine lockere Bekanntschaft geworden, dann steck doch nicht noch Energie rein. „Aus Prinzip“ ist ein ganz schlechter Grund, um dein Leben noch voller zu machen.
Verstehe, dass viele von uns überfordert sind
Manchmal ist die Überforderung Nährboden für noch mehr Überforderung. Denn wir sind sauer oder enttäuscht, dass wir nicht besser funktionieren. Alle anderen schaffen es doch auch! Tun sie das? Hin und wieder mit dem Leben überfordert zu sein, ist eigentlich ziemlich normal. Gerade heutzutage, wo wir alle Freiheiten haben, wissen wir manchmal nicht, wie wir mit ihnen umgehen sollen. Erlaube dir, nicht klarzukommen. Klar musst du da irgendwas ändern – aber Selbsthass ist nun wirklich nicht der richtige Weg, um wieder entspannter zu leben oder Kontrolle zurückzugewinnen.
Heul dich mal richtig aus
Eng verbunden mit der Anerkennung des Stresses ist das Rauslassen von Gefühlen. Für die meisten von uns heißt das: Einmal richtig ausheulen. Wahrscheinlich ist dir eh schon zum Heulen zumute. Überforderung richtet da ziemlich schnell Schaden an. Aber genauso wahrscheinlich ist, dass du nicht heulen willst. Je länger du die negativen Emotionen unterdrückst, umso mehr staut sich an.
Wenn dir das Leben heute also einfach zu viel ist und dich das schreien, weinen oder fluchen lässt, dann lass es bloß raus. Erstens, weil du das Recht dazu hast. Zweitens, weil du sonst Gefahr läufst, dass es im ungünstigsten Moment geschieht. (Wer schon einmal auf Arbeit in einem öffentlichen Gebäude die Toilettenräume aufgesucht hat, um sich auszuheulen, wird wissen, was ich meine.)
Regenerationsnischen finden
Bestandsaufnahmen, Akzeptanz und dauerhafte Veränderungen brauchen leider Zeit. Eine relativ schnell wirkende Maßnahme ist das Suchen von Regenerationsnischen. Der Begriff wurde von Professor Little geprägt, der als Introvertierter den Alltag nur bewältigen kann, indem er Pausen macht.
Regeneration sieht aber für jeden anders aus. Ein Spaziergang in der Mittagspause, eine Runde Zocken vor dem Abendessen, durch die Wohnung tanzen, nach der Arbeit einen Umweg durch den Park nehmen, mit dem Haustier spielen oder ein wenig lesen – all das sind Optionen und es gibt noch so viele weitere. Aber, ABER!, bitte nicht optimieren. Deine kleine Auszeit ist nicht dazu da, alles perfekt zu machen oder viel zu leisten. Du sollst einfach nur genießen. Dafür musst du deine Regenerationsnische unter Umständen auch verteidigen. Keine Begleitung beim Spaziergang, keine Anrufe während des Zockens, keine Störungen beim Lesen – deine Zeit ist deine Zeit.
Vereinfache dein Leben
Du kannst dein Leben immer noch simpler gestalten. Dafür würde ich dir empfehlen, dich in die Themen Minimalismus und Stoizismus einzulesen. Nein, du musst nicht alles wegwerfen und auch nicht Emotionen auf ein Minimum reduzieren – wie viele fälschlicherweise glauben. Aber du musst schon schauen, was essentiell für deine Zufriedenheit ist und was nicht.
Brauchst du wirklich ständig neue Dinge oder könntest du auch auf Materielles verzichten – dann kannst du vielleicht Arbeitszeit reduzieren. Musst du jedem Menschen deine Zeit widmen, der darum bittet, oder kannst du auch einige Menschen abweisen – das spart emotionale Energie. Ist dein Kleiderschrank so voll, weil du dich für Fashion begeisterst oder wirfst du einfach nur nichts weg – weniger Auswahl kann dir Entscheidungen erleichtern.
Hier die Sache, die dir wahrscheinlich zu selten gesagt wird: Du darfst ausprobieren und du darfst scheitern. Oftmals glauben wir, wir können bestimmte Dinge auf keinen Fall aufgeben – wenn wir es ausprobieren, geht es dann doch. Oder eben auch nicht. Aber ohne es zu probieren, halten wir garantiert (!) an Dingen fest, die wir eigentlich nicht bräuchten. Es geht nicht darum, von heute auf morgen eine perfekte Lösung zu finden. Aber gar nicht erst danach zu suchen, ist auch Quatsch.
Hilfe suchen (privat oder online)
Du bist nicht allein mit deiner Überforderung. Sie zu unterdrücken oder zu verstecken, wird auf Dauer nur neue Probleme schaffen. Leider wird es immer Menschen geben, die dir deine Überforderung absprechen wollen – dann hörst du: Hab dich mal nicht so. Aber es gibt auch genauso Menschen, die dich verstehen werden und die dir beistehen können. Für Introvertierte gibt es einige Anlaufstellen. Aber auch für Mütter, Väter, Lehrer, Rentner und Teenager finden sich online wie offline Personen, die ein offenes Ohr haben. Sie können dir allerdings nur zuhören und helfen, wenn du ihnen sagst, was los ist.
Fazit: Das Leben wird manchmal einfach zu viel
Niemand kann deine Psyche beschützen außer du selbst. Für Kinder und Jugendliche übernehmen das idealerweise noch die Eltern und andere Erwachsene. Aber irgendwann wird erwartet, dass wir selbstständig werden. Somit müssen wir die Symptome von Überforderung selbst erkennen, Ursachen finden und ausprobieren, was helfen kann. Ja, das Leben überfordert uns manchmal – oder ständig. Aber die Welt ist auch laut, anstrengend und irgendwie aus den Fugen geraten. Ich finde, das kann schon ganz schön schlauchen.
Die beiden letzten Beiträge auf dem Blog ergänzen sich gut und liefern mir, der sich gerade überfordert fühlt und mit sich und der Welt mal wieder hadert, wichtige Anregungen. Ganz besonders das Zugestehen des Gefühls und das Überprüfen der Prioritäten brauche ich gerade, wenn gut gemeinte Ratschläge auf mich einprasseln(„Du willst doch sicher nicht beim Gesellenbrief stehen bleiben? Mach doch neben dem Job noch die Meisterschule!“ „Vergeude doch nicht dein Potential, hol dein Abi neben der Ausbildung nach und fann studier etwas Anständiges! “ Und so weiter und so fort….
Verdammt, ich will aber keine Karriere machen. Ich will kein Haus haben, kein dickes Auto und heiraten mag ich auch nicht. Ich will beruflich einfach etwas Sinnvolles, dem Gemeinwohl dienendes im Freien machen und daneben noch Kraft und Zeit zum Lesen, Seele baumeln lassen und mich um das Management meiner Psyche kümmern können. Ich will ein Leben führen, das diesen Planeten möglichst wenig belastet…warum wird das belächelt, verdammte Axt!
Okay, Rant over. Der Beitrag hat mich zum Nachdenken gebracht und mich dazu motiviert, mich in nächster Zeit intensiver mit Minimalismus zu beschäftigen…sobald ich diese nervige Prüfung hinter mir hab🙃
Hi Logan,
hier ist immer Platz für nen guten Rant 😀 Viel Erfolg bei deiner Prüfung, danke für dein Feedback und auf jeden Fall viel Spaß mit dem Thema Minimalismus. Ich persönlich war wirklich überrascht, dass weniger tatsächlich mehr sein kann.
Liebe Grüße
Ich find’s super, dass Du so genau weißt, was Du willst, das ist überhaupt keine Selbstverständlichkeit!
Ich habe „the highly sensitive person“ gelesen und beim Lesen krasse Erlebnisse von „genau so war das immer“ etc., als Jugendlicher wurde mir gesagt, ich sei hoch- oder höchstbegabt, ich scheitere aber seit Mitte meiner 20er eigentlich nur noch. Mein Umfeld sieht gute Abschlüsse und denkt weiterhin, ich wäre leistungsstark, aber ich fühle mich im Beruf die allermeiste Zeit wirklich so, dass zu viele unsortierte Dinge auf mich einprasseln. Weiß jemand, womit dieses Filter-Unvermögen (oder was es ist?) am ehesten zu tun haben könnte?
Unkonzentriertheit, fehlender Fokus, ich merke manchmal, dass ich auch einfach gar nicht zuhöre, weil ich denke, es gibt sowieso keinen richtigen „Anfang“ in diesem riesigen Wirrwarr von Wollknäueln oder eben weil ich über Zwischenmenschliches statt Inhalt nachdenke. Ich merke auch immer, wenn Menschen mich beobachten und habe oft das Gefühl, an Blicken genau zu erkennen, was jemand denkt, natürlich lässt sich das schwer beweisen. Mehr und mehr merke ich aber, dass „man mich komisch finde“, und je mehr ich das merke, umso mehr bestätigt es sich natürlich.
In einem neuen Job wird man ins Schwimmbecken geworfen, bekommt vorher rudimentär ein paar Dinge gesagt, und dann soll man das können, man ist ja angeblich intelligent. Ständiges Springen zwischen Meetings und verschiedenen Themen kommt noch hinzu.
Dann noch das ganze Socializing. Oft habe ich das Gefühl, 60% meiner Energie geht bei der Arbeit für Nicht-Inhaltliches drauf.
Wen ich mal wieder in der Mittagspause nur missverstanden wurde, in jedes Fettnäpfchen trat, tollpatschig rüberkam, unaufmerksam oder jedenfalls total auf anderer Wellenlänge war, dann bin ich einfach nur noch traurig, und oft brauche ich einen ganzen Tag der Apathie, um mich überhaupt halbwegs wiederzufinden.
Manchmal suche ich auch einfach nach einem „Inhalt“, was „Interessantem“ oder „Neuem“ im „Smalltalk“ oder Geplauder, das in einer lockeren Runde gesagt wird. Oder ich will ablenken von Themen, die mir zu gefährlich werden? Ich will nicht so viel preisgeben von mir, meinem Privatleben, es ist nicht so „aufgeräumt“ und normal wie bei vielen anderen, daher fühle ich mich nicht zugehörig, mir wäre es also am liebsten, das Persönlich-Private bliebe absolute Freiwilligkeit.
Die anderen denken dann, wenn ich also verkrampft an irgendwas Sachlichem nachhake in der vergeblichen Hoffnung, ein „Thema“ zu finden, über das ich kognitiv nachdenken könnte, also weg von all zu Persönlichen, also die denken dann oft, ich würde Dinge nicht verstehen, Humor nicht erkennen, was aber glaube ich nicht stimmt, ich versuche nur, da nachzubohren oder so, verzweifelt auf der Suche nach etwas Halt und Linie im Geplaudere. Gleichzeitig bin ich in anderen Situationen oft aber selbst oberflächlich und rede „einfach nur so“, wenn ich mich halt sicher fühle in Gesellschaft. Insofern denke ich, dass ich leider nicht wirklich einfach introvertiert bin.
Oder ich kann nicht verbergen, was in meinem Innersten ist. Das ist auch typisch. Wenn ich rede, erzähle ich schnell zu Persönliches, mache mich auch angreifbar gegenüber eher Unbekannten. Ich beherrsche diese „Maske“ nicht. Zu oder auf, aber so tun als wäre ich offen, insgeheim aber alles Wichtige für mich behalten, … ich kriege das partout ncht hin.
Kennt das oder Teile davon wer?
Hi,
leider kann ich dir keinen guten Rat geben. Aber ich kann deine Worte nachvollziehen. „Dann noch das ganze Socializing. Oft habe ich das Gefühl, 60% meiner Energie geht bei der Arbeit für Nicht-Inhaltliches drauf.“ Das kennen viele introvertierte und/oder hochsensible Menschen. Viele von uns wollen einfach ihre Arbeit machen und sich nicht ständig im Bezug zu anderen positionieren müssen beziehungsweise wollen wir nicht ständig ausloten, wie wir zu anderen stehen, was wir sagen können und was nicht. „Einfach machen“ oder „Nicht so viel nachdenken“ gibt es leider nicht. Das macht fast alle sozialen Situationen super anstrengend.
Auf dem Niveau, auf dem du das hier beschreibst, könnte man fast vermuten, dass du vielleicht nicht neurotypisch bist? Viele Menschen mit Autismus haben nie das Gefühl, soziale Situationen einfach so mitmachen zu können. Das ist natürlich überhaupt kein Diagnose-Versuch von mir, aber vielleicht kannst du dich da auch mal reinlesen? Selbst wenn du nicht auf dem Spektrum bist, kann es schon angenehm sein, mal zu sehen, wie andere Menschen ihre Abweichung von der sozialen Norm bewältigen. Gerade der Umgang mit einer „Maske“ ist etwas, was bei neurodivergenten Personen ein großes Thema ist. Da mir mehr Informationen und Erfahrungen immer helfen, hoffe ich, dass du in dieser Richtung vielleicht auch etwas mehr Verständnis erfahren kannst.
Liebe Grüße
Jennifer