Hochsensibel & Alkohol: Gutes Hilfsmittel oder gefährlich?

Alkohol gehört zu Deutschland dazu. Ob wir das nun gutheißen oder nicht, ist für dieses Statement erst einmal völlig irrelevant. Alkohol spielt eine große Rolle in der Gesellschaft und mindestens eine kleine Rolle im Leben jedes Menschen. Selbst diejenigen, die nicht trinken, werden mit Werbung und trinkenden Menschen konfrontiert.

Somit sind auch Hochsensible logischerweise der Frage ausgesetzt, ob und wie viel sie trinken sollen. Und es lassen sich gute Argumente dafür finden, dass sich hochsensible Menschen mit dieser Frage intensiver auseinandersetzen müssen als nicht hochsensible Menschen. Das gilt übrigens nicht nur für Alkohol, sondern für alle Drogen.

Deshalb reagieren Hochsensible anders auf Drogen

Im Kern beschreibt Hochsensibilität den empfindsameren Umgang mit Reizen. Wo andere Filter haben, kommt bei hochsensiblen Menschen fast alles ungebremst durch. Geräusche, Gerüche, Berührungen – die Welt wirkt direkter und unnachgiebiger auf eine hochsensible Person.

Wie sich das äußert, ist sehr unterschiedlich. Doch im Normalfall sind Hochsensible schneller „überfordert“ – das gilt auch bei Drogen. Der hochsensible Körper hat stärkere Reaktionen auf nahezu alles, also auch auf das, was dem Körper zugeführt wird.

Viele Hochsensible berichten daher, dass sie nicht viel Alkohol vertragen. Sie sind schneller beschwipst, ihnen wird schwindelig oder sogar übel. Somit müssen sie sich mäßigen und man sagt ihnen nach, dass sie „nichts abkönnen“. Vermuten könnte man jetzt, dass sie dadurch weniger anfällig für Süchte sind. Immerhin brauchen sie nicht viel, um einen Effekt zu spüren. Leider ist das eine gefährliche Fehlannahme.

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Alkohol als Bewältigungsstrategie: Keine gute Idee

Viele Menschen trinken Alkohol, um besser drauf zu sein. Oftmals liegt im Hintergrund ein etwas konkreterer Grund verborgen: Alkohol lässt Hemmungen verschwinden. Das wirkt besonders verführerisch auf Hochsensible. Denn sie erleben wiederholt, dass sie sich in lauten und unübersichtlichen Umgebungen nicht wirklich wohlfühlen und dadurch schüchterner werden, als sie sein wollen – da kommt der Alkohol ins Spiel.

Kritisch wird es, wenn Alkohol nicht mehr situativ genutzt wird, sondern aus Prinzip. Dann droht ein Alkoholproblem. Das Risiko dafür steigt noch einmal, wenn ein hochsensibler Mensch noch gar nicht richtig versteht, was Hochsensibilität ist. Dann wird die Empfindsamkeit einfach nur als eine nervige Last empfunden, die am besten unterdrückt werden soll. Alkohol soll das erledigen, schafft es auch, aber wird bald zu einer Notwendigkeit. Davor sollten sich hochsensible Menschen in Acht nehmen.

Sucht besser verstehen

Ungünstig ist, dass Süchte so schlecht zu verstehen sind. Du kannst das Wissen darum haben, dass dir eine Substanz – sei es Alkohol, Zucker oder eine Zigarette – nicht guttut. Es kann offensichtlich sein, dass du da eine wackelige Stütze gebaut hast, statt ein Problem wirklich zu lösen. Aber es hält dich nicht davon ab, zu relativieren und am Ende doch wieder zu der Stütze zu greifen.

Oben drauf kommt noch, dass Sucht als schmutzig gilt. Als eine Charakterschwäche, die man besser für sich behält. Hilfe zu bekommen, ist nicht einfach. Verständnis zu finden, in manchen sozialen Kreisen sogar unmöglich. Dadurch werden auch Warnsignale nicht erkannt oder ernst genommen.

Der kritische Punkt

Solltest du hochsensibel sein und deinen Alkoholkonsum hinterfragen, dann musst du schauen, wie viel Kontrolle du noch hast. Achtung: Das hier ist keine Suchtberatung. Im Zweifel musst du dir immer professionelle Hilfe suchen. Es geht hier eher darum, gar nicht erst an diesen Punkt zu kommen.

Dafür musst du schauen, ob du ohne Alkohol in Schwierigkeiten gerätst. Fühlt es sich an, als könntest du bestimmte Treffen oder Situationen ohne Alkohol nicht durchstehen, dann droht Gefahr. Es entsteht für dich wortwörtlich eine Abhängigkeit vom Alkohol. Das ist noch nicht dasselbe wie eine Sucht, aber du befindest dich bereits in kritischen Gewässern.

Ist der Gedanke, etwas ohne Alkohol durchzustehen, eine Belastung, dann sollten die Alarmglocken schrillen. Du musst schauen, warum die Situation dich überfordert. Dann kannst du entweder neue, gesündere Bewältigungsstrategien anwenden (dazu gleich mehr) oder du kannst entscheiden, deine mentale Gesundheit zu priorisieren und die Veranstaltung oder das Treffen ausfallen zu lassen.

PS: Wer dir dafür ein schlechtes Gewissen einredet, hat leider keine Ahnung davon, wie es ist, mit Unsicherheit oder Hochsensibilität zu kämpfen. Du kannst versuchen, dich zu erklären. Aber es wird immer Menschen geben, die deine Sorgen und Bedürfnisse nicht ernst nehmen. Distanziere dich von solchen Leuten, du hast nur ein Leben und du solltest es nach deinen Wünschen leben dürfen.

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Müssen Hochsensible komplett auf Alkohol verzichten?

Du musst nicht grundsätzlich auf Alkohol verzichten, wenn du hochsensibel bist. Aber du musst verstehen, dass die ständige Verfügbarkeit von Alkohol und seine kulturelle Relevanz ein Risiko darstellen. Nur weil so viele Menschen behaupten, dass Alkohol nur eine coole und schöne Sache wäre, darfst du nicht vergessen, dass Abhängigkeiten immer möglich sind und schwere Folgen haben.

Hast du keines der Warnsignale bei dir erkennen können, dann kannst du durchaus durch Alkohol etwas lockerer werden. Gemeinsame Abende mit Freunden, der Familie oder einem Partner können ungehemmter sein, mehr Spaß bedeuten oder einfach länger dauern, wenn Alkohol im Spiel ist. Die Sinneseindrücke werden etwas weniger stark wahrgenommen und dein Körper sagt dir vielleicht nicht so schnell, dass langsam Zeit für Feierabend ist.

Andere Süchte und die Wirkung auf hochsensible Menschen

Bevor es darum geht, wie du auch ohne Alkohol ungehemmter sein kannst, muss noch auf die anderen potentiellen Süchte wie suchtartiges Essverhalten geschaut werden. Denn nicht nur Alkohol ist für Hochsensible ein Mittel zum Zweck. Auch anderes ungesundes Konsumverhalten ist bei HSPs zu entdecken.

So kann Zuckerabhängigkeit entstehen, wenn süße Waren genutzt werden, um die Gefühlslage zu verändern. Klar, Süßes schmeckt gut. Aber sobald der Zucker da ist, um Stress zu überspielen oder Gefühle auszublenden, droht auch hier eine Abhängigkeit oder gar eine Sucht.

Das liegt auch daran, dass Hochsensible stärker auf Reize reagieren – somit kann auch die Befriedigung durch Essen intensiver erlebt werden. Ein nicht suchtanfälliger und nicht hochsensibler Mensch wird nicht verstehen können, wie so etwas Einfaches wie Schokolade die Gedanken eines Menschen bestimmen kann. Doch im Körper einer abhängigen Person geht die Post ab. Auch hier gilt: Je früher du erkennst, dass du dich mit Stoffen therapierst und ein gefährliches Essverhalten zeigst, umso schneller kannst du es stoppen und größere Probleme verhindern.

Die Augen offenhalten sollten Hochsensible auch beim Zocken, beim Wetten, bei illegalen Drogen, bei Sex und selbst bei Beziehungen. Immer dann, wenn die Welt nicht ohne eine Sache oder eine Aktivität zu ertragen ist, die gleichzeitig negative Folgen haben kann, müssen wir uns hinsetzen und hinterfragen, was wir besser machen können – ohne Scham oder Schuldgefühle.

Alternativen zum Alkohol, die helfen können

Obwohl genetische Faktoren eine große Rolle spielen, kann Sucht trotzdem auch meist auf konkrete Umweltprobleme zurückgeführt werden. Für hochsensible Menschen ist es meist so, dass sie die Welt besser vertragen, wenn sie sich ablenken, betäuben oder enthemmen. Die Ursache liegt also oft in der Reizüberflutung und in den fehlenden Bewältigungsstrategien. Die gute Nachricht: Es gibt viele gesunde Alternativen zu Alkohol als Hilfsmittel.

Verständnis für die eigenen Bedürfnisse

Ohne das Wissen darüber, was Hochsensibilität ist und dass du davon betroffen bist, wird es schwer werden, ein zufriedenes Leben zu führen. Somit ist der erste Schritt, dass du dich informierst und Veränderungen einleitest, die für dich passen.

Ein Hochsensibler braucht mehr Ruhe, ein anderer braucht dunklere Umgebungen, noch ein anderer kann mit lauten und hellen Umgebungen klarkommen, wenn sie nur begrenzt betreten werden. Je besser du auf deinen Körper hörst, umso mehr kleine Entscheidungen kannst du treffen, die genau die Situationen einfacher machen, in denen du vielleicht gerne ein Bierchen hättest, um entspannter zu sein.

Mehr zu Hochsensibilität: Symptome von Überreizung.

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Achtsamkeit

Die reine Erkenntnis, dass du hochsensibel bist, reicht noch nicht. Niemand lernt, dass er hochsensibel ist und weiß von da an immer perfekt, was er braucht und was nicht. Das ist ein Prozess. Und um diesen wiederholt zu bewältigen, musst du achtsam sein.

Damit ist gemeint, dass du Fragen stellst. Manchmal tun uns Dinge mit 20 gut, die uns mit 30 belasten. Oder aber wir meiden bestimmte Situationen, die uns nach einer Weile aber eigentlich guttun können. Bleibe neugierig und höre nicht auf, deine Bedürfnisse kennenzulernen.

Körperliche Gesundheit

Das gilt zwar für alle Menschen, aber Hochsensible sollten hier besonders drauf achten: Ein gesunder Körper erleichtert das ganze Leben. Ob dich ein Streit mit deinem Partner zum Weinen bringt oder nur traurig macht, kann davon beeinflusst werden, wie gesund du bist. Nach einer Woche mit viel Fast Food gehst du anders mit Herausforderungen um, als wenn du dich eine Woche gesund ernährst und ausreichend bewegst.

Leider fühlt sich das aber nicht immer so an. Denn eine grundlegende Gesundheit ins Leben zu bringen, macht zwar alles besser, aber nur schrittweise und leise. Dadurch unterschätzen wir die Effekte oftmals. Und Achtung: Extreme Diäten oder zu harter Sport sind nichts für Hochsensible.

Mentale Vorbereitung

Ist Alkohol für dich wichtig, um eine Veranstaltung genießen zu können, weißt du scheinbar vorher schon, was auf dich zukommt – nämlich „zu viel“. Mit viel Übung kannst du lernen, dich davon weniger belasten zu lassen.

Unter anderem musst du Reize reduzieren und Entspannung priorisieren. Das sollte generell Teil deines Lebens sein. Aber wenn du schon weißt, dass du reizintensive Kontakte haben wirst, ist es noch mal wichtiger, einen Ausgleich zu finden. Tipps dazu gibt es hier: Hochsensibel und Erschöpfung.

Fazit: Alkohol ist nicht dein Feind, aber auch nicht dein Retter

Es gibt kein Alkoholverbot für Hochsensible, nur einige Warnungen. Wer sich gut kennt, seine Verhaltensweisen immer mal hinterfragt und alternative Bewältigungsstrategien für Stress nutzt, der ist auf einem guten Weg. Das Bierchen mit Freunden oder das Glas Wein beim Abendessen sind also zum Glück kein Problem.

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