Warum haben Introvertierte Angst, den Mund aufzumachen?

Vorurteil Nummer eins wenn es um Introvertierte geht: Sie sind viel zu ruhig. Das geht so weit, dass viele den Begriff „introvertiert“ als Synonym für „ruhig“ oder „schüchtern“ verwenden. Was nicht richtig ist.

Aber irgendwie muss dieses Gerücht ja entstanden sein. Darum geht es heute: Wieso denken andere, wir wären ruhig und wieso sind wir es häufig tatsächlich?

Woher kommt die Idee, dass Introvertierte nichts sagen?

Da Introvertierte eine „innere Ausrichtung“ haben, verbringen sie viel Zeit mit ihren eigenen Gedanken und damit, ihre Umwelt zu analysieren oder einzuordnen. Da bleibt weniger Zeit für’s Reden.

Ganz besonders, wenn es um unwichtige Themen geht. Smalltalk über das Wetter, den Verkehr oder Klamotten ist relativ wertlos und macht Introvertierten daher keinen Spaß, sondern raubt ihnen hauptsächlich Zeit und Energie.

Wenn es allerdings um Dinge geht, die sie interessieren oder für die sie eine Leidenschaft haben, dann können auch Introvertierte stundenlang reden und diskutieren. Aber: Wann ist dafür in der modernen Welt schon mal der richtige Moment?

Selten. Auf Arbeit, auf Partys, im Alltag geht es meist nicht um die großen Fragen des Lebens oder die Nischenhobbys. Also tragen Introvertierte seltener etwas bei. Wenn andere das bemerken, stufen sie sie als „ruhig“ oder „still“ ein und diese Einordnung scheint häufig permanent zu sein.

Mehr dazu: Extrovertierte nerven!

introvertierte sagen nichts

Vorurteil: Introvertierte sind schüchtern

Wer wenig sagt, ist nicht automatisch schüchtern. Schüchternheit ist mit einer Angst oder zumindest einem Unbehagen beim Gedanken an die Reaktion anderer verbunden. Dadurch kommt es zu der Zurückhaltung.

Introvertierte können schüchtern sein, müssen sie aber nicht. Denn manchmal wollen sie einfach nichts sagen, weil sie nicht glauben, etwas Sinnvolles beitragen zu können. Oder weil sie bereits zu erschöpft sind und lieber zuhören. Unwohl fühlen sie sich dann nicht – es sei denn, ihnen wird eingeredet, sie wären „nicht richtig“.

Wahrheit: Introvertierte fühlen sich oft unwohl

Introvertierte, die mit sich im Reinen sind, haben weder Angst vor einer Reaktion noch fühlen sie Druck, etwas sagen oder tun zu müssen – und diese Introvertierten sind die absolute Ausnahme. Denn eigentlich wird dieser Druck permanent ausgeübt und führt dazu, dass Introvertierte sich stets ein wenig unwohl fühlen.

Ein Teufelskreis. Der Zwang, etwas beitragen zu müssen, erzeugt Unbehagen und somit Schüchternheit oder Angst.

In der Schule ist Mitarbeit so wichtig, dass Noten in den Hintergrund rücken können. Auf Arbeit wird befördert, wer die richtigen Kontakte hat. Im Freundeskreis werden diejenigen in den Mittelpunkt gestellt, die Aufregung und Abenteuer versprechen.

Das sehen und erleben Introvertierte und fühlen sich in ihrer Haut unwohl. Dann sagen sie etwas und werden entweder belächelt oder gar mit Sätzen wie „Wow, du sagst auch endlich mal was“ oder „Ich wusste gar nicht, dass du reden kannst“ konfrontiert. Manchmal führt das dazu, dass sie anschließend gar nichts mehr sagen wollen.

introvertierte angst

Warum Introvertierte wirklich weniger sagen

Neben diesem sehr negativen Szenario gibt es aber auch den eingangs schon angedeuteten Grund, dass Introvertierte einfach nur dann sprechen, wenn sie etwas beizutragen haben. Sehr, sehr häufig haben sie damit auch überhaupt kein Problem – es sind die anderen, die sie zum Reden bringen wollen. 

Schnelle Konversationen, die von Thema zu Thema springen, sind für Introvertierte nicht geeignet, da sie tiefgründige Gespräche bevorzugen.

In Gruppen voller Extrovertierter kommen sie gar nicht zu Wort, da es oftmals darum geht, abwechselnd zu reden und nicht etwa abwechselnd zu reden und zuzuhören.

Bevor introvertierte Menschen etwas sagen, denken sie bereits an die Konsequenzen der Aussagen – Ablehnung, Relativierung, mögliche Fehler im Denken, Folgen. Wer sich diese Mühe macht, braucht einfach länger, um einen Gedanken zu Ende zu bringen und zu äußern.

Last but not least fehlt häufig die Energie, um sich auf ein Gespräch einzulassen. Lange Tage, aufregende Umgebungen, soziale Kontakte – alles raubt nach und nach Energie. Dann fühlen sie sich nicht in der Lage, sich auch noch in ein Gespräch verwickeln zu lassen.

Falls dir das mit der Energie noch Spanisch vorkommt, ist es hier ganz einfach und anschaulich dargestellt: Introversion einfach erklärt.

sind introvertierte still


Es ist also nicht immer Angst, die Introvertierte zu ruhigeren Zeitgenossen macht. Wer wirklich wissen möchte, warum jemand weniger spricht als andere, kann diesen einzigartigen und bisher unentdeckten Wundertrick anwenden: Nachfragen!

Mit einer einfachen Frage lässt sich herausfinden, ob ein Freund, Kollege oder Partner sich unwohl fühlt und deshalb nichts sagt oder einfach keine Lust oder Energie hat, sich am Gespräch zu beteiligen.

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