Verklemmte Menschen: Ursachen, Verhalten und Umgang

Unflexibel, zurückhaltend, lustlos oder gar stimmungsdrückend – so werden verklemmte Menschen beschrieben. Ihr soziales Umfeld wünscht sich oft nichts sehnlicher als ein wenig mehr Lockerheit. Meist werden sehr einfache Ursachen hinter der Verklemmtheit vermutet: Da ist jemand einfach schüchtern oder eine Spaßbremse.

Aber ist es wirklich so leicht? Eher nicht. Denn es gibt große Unterschiede zwischen tatsächlicher und wahrgenommener Verklemmtheit. Hinzu kommt, dass die Fehleinschätzung Folgen haben kann. Und wir müssen uns auch fragen, ob Zurückhaltung und ein Bedürfnis nach Kontrolle wirklich so schlimm sind, dass wir Menschen zwanghaft ändern wollen.

Was sind verklemmte Menschen überhaupt?

Dem Begriff Verklemmtheit wohnt eine gewisse Wertung inne. Verklemmte Personen sind unflexibler, gehemmter und verkrampfter als ihre Mitmenschen. Sie fallen also dadurch auf, dass sie sich nicht auf die gleiche Art öffnen oder beteiligen wie andere.

Oftmals wird Verklemmtheit auch mit Schüchternheit gleichgesetzt. Das funktioniert nur bedingt. Denn schüchterne Menschen sind zwar ebenfalls zurückhaltender, aber sie sind nicht zwangsläufig in ihren Bewegungen und Aussagen so eingeschränkt, dass sie unflexibel oder verkrampft wirken. Viele Schüchterne gelten trotzdem als empathisch, freundlich und liebevoll. Diese Beschreibungen gehen seltener mit Verklemmtheit einher.

Somit gehört zur Verklemmtheit meist eine gewisse Wertung. Verklemmte Personen würden zum Beispiel die Stimmung stören. Auch wenn schüchterne Menschen oftmals dazu getrieben werden sollen, mehr aus sich herauszukommen, sind verklemmte Menschen doch häufiger das Ziel von Ablehnung.

Deshalb ist der Begriff „verklemmt“ problematisch

Jemanden verklemmt zu nennen, bringt eigentlich nichts. Denn da der Begriff fast ausschließlich von oben herab verwendet wird, geht es eigentlich nur darum, jemandem ein schlechteres Gefühl oder sich selbst ein besseres Gefühl zu geben. Ich kann jemanden als schüchtern oder zurückhaltend beschreiben, ohne dabei zu meinen, dass ich etwas an ihm ändern wollen würde. Ruhe und Zurückhaltung kann man schätzen – aber Verklemmtheit impliziert automatisch ein Problem.

Jemanden als verklemmt zu beschreiben, ist nur dann wirklich sinnvoll, wenn derjenige dies ebenfalls anerkennt und ändern möchte. Dann haben wir die Information, dass jemand unfreiwillig gehemmt ist. Doch wenn wir dies nicht wissen – weil es um einen Kollegen, einen Fremden oder eine Bekanntschaft geht –, dann erhöhen wir durch den Begriff verklemmt nur die Chance, dass sich jemand schlecht fühlt.

Der Unterschied zwischen Selbst- und Fremdbeschreibung als verklemmt

Wenn sich jemand selbst als verklemmt sieht, möchte er wahrscheinlich etwas daran ändern. Aber es kann auch sein, dass die Umwelt den Begriff verklemmt nutzt, während die Person selbst überhaupt nicht so über sich denkt. Denn wir benutzen Sprache oft leichtfertig. Viele Menschen wissen nicht, was für einen Unterschied es macht, ob sie jemanden „ruhig“ oder „verklemmt“ nennen.

Ob es sich um eine Selbst- oder Fremdbeschreibung handelt, bestimmt aber auch, ob sich etwas ändern muss. Weiter unten gibt es Tipps, um weniger verklemmt zu sein und zu wirken. Diese sind ganz einfach nicht für die Menschen gedacht, die mit sich zufrieden sind. Und niemand sollte daherkommen und ihnen erzählen, dass das nicht richtig wäre.

was heißt verklemmt sein

So leiden verklemmte Männer und Frauen

Verklemmtheit wird sehr häufig im romantischen Kontext verstanden. Zurückhaltung oder gar Ablehnung bestimmter romantischer Gepflogenheiten und erotischer Praktiken gilt für viele als unattraktiv. Verklemmte Männer werden von ihrem Umfeld oft ausgelacht. Bei Frauen wird Verklemmtheit im Zweifel eher noch akzeptiert, weil Frauen in einem klassischen Rollenbild ohnehin ruhiger und anständiger sein sollen.

Zum Glück weichen viele veraltete Vorstellungen langsam auf. Männer dürfen zunehmend auch Grenzen definieren oder Zurückhaltung zeigen, ohne als schwächlich zu gelten. Frauen können wiederum ihre Bedürfnisse kommunizieren, ohne direkt als frigide oder verklemmt zu gelten. Aber: Leider ist diese positive Entwicklung nicht überall zu sehen und noch immer ist die Datingwelt ein typischer Ort für Verurteilungen aufgrund von Grenzen oder Zurückhaltung. Leider.

Ursachen für Verklemmtheit

Es sollte nun klar sein, warum das Label „verklemmt“ nicht gerade Freudenschreie hervorruft. Aber es wird ja nun mal trotzdem fleißig verteilt. Und viele Menschen nehmen sich oder andere einfach so wahr. Woher kommt also verklemmtes Verhalten?

Falsche Wahrnehmung

Zum einen kann das nun schon mehrfach angedeutete Missverständnis vorliegen. Jemand wird als verklemmt wahrgenommen, obwohl er nur ruhiger, schüchterner oder zurückhaltender ist. Wenn aber keine echte Hemmung, Gefühlskälte oder aktive Zurückhaltung vorliegen, ist wahrscheinlich ein Vergleich die Ursache.

In einem Raum voller introvertierter Menschen wird jemand sehr, sehr zurückhaltend, abweisend und spaßablehnend sein müssen, um als verklemmt zu gelten. Jemand müsste sich nicht an Gesprächen beteiligen, eine angespannte Körperhaltung haben und keinerlei Gefühle oder tiefgründige Gedanken teilen – dann vielleicht würde er als verklemmt gelten. In einem Raum voller extrovertierter Menschen gilt jemand schon als verklemmt, wenn er keinen Alkohol trinkt und nicht ohne Aufforderung von sich erzählt.

Tatsächliche Verklemmtheit ist ein Mangelzustand. Jemand schafft es nicht, sich wohlzufühlen. Wahrgenommene Verklemmtheit hängt davon ab, wer die sozialen Kontakte sind. Und es gibt viele Stufen dazwischen. Es kommt manchmal sogar vor, dass jemand in Wahrheit verklemmt ist, aber so gut schauspielert, dass es kaum jemand bemerkt.

Angst und Schüchternheit

Ist jemand verklemmt, spiegelt das Verhalten die Erfahrung wider. Mit anderen Worten: Weil sich in einer Situation beziehungsweise in einem sozialen Umfeld nicht wohlgefühlt wird, kommt es zu einer Verhaltensänderung.

Somit sind hier die Ursachen Schüchternheit, soziale Ängste oder Trauma. Erwartete Ablehnung oder Angst vor neuen Dingen sorgen dafür, dass jemand lieber nichts macht, als etwas falsch zu machen. Also wird Nein zu einer Aktivität gesagt, es wird kein Einblick in die wahren Gefühle und Gedanken gegeben und die Körperhaltung drückt meist Anspannung aus.

Wer aus Schüchternheit oder Angst verklemmt ist, unterdrückt oftmals viele Gedanken und Emotionen. Gerade empathische Menschen spüren das wiederum. Es kann abschreckend wirken, wenn wir sehen, dass jemand nicht er selbst zu sein scheint. Ein Teufelskreis entsteht: Die verklemmte Person erwartet Ablehnung, andere wissen nicht mit ihr umzugehen und geben daher ablehnende Signale.

Persönlichkeitstyp: verklemmt

Manche Menschen sind von Natur aus zurückhaltend oder skeptisch und sehen nicht ein, sich anderen einfach so offen und nett zu zeigen. Verklemmt zu sein, ist für Menschen mit dieser Persönlichkeit überhaupt nichts Schlechtes. Sie sehen sich als seriös und anständig.

Die „von Natur aus“-Idee gilt natürlich nur so lange, wie man mit sich im Reinen ist. Abzuwarten, Körperkontakt zu meiden, von anderen komisch beäugt zu werden – wer damit kein Problem hat, nimmt vielleicht auch das Label verklemmt an. Oder würde das Wort nicht nutzen, aber lässt andere mal machen. Sollen sie doch …

Wer allerdings unter diesem Zustand leidet, muss dringend schauen, ob er wirklich so ein Persönlichkeitstyp ist oder nicht eher mit Ängsten zu kämpfen hat (dazu gleich mehr).

Es kann sein, dass sich Ursachen für diese Form der Persönlichkeit in der Reizverarbeitung oder Hirnchemie finden lassen. Hochsensible Menschen können ganz nebenbei lernen, in sozialen Situationen starke Zurückhaltung zu zeigen, um sich zu schützen. Menschen mit Autismus kämpfen wiederum häufig mit „sozialen Hinweisen“. Gesichtsausdrücke, Gesten und Konventionen sind eine Herausforderung – Zurückhaltung scheint einfach zunächst logisch zu sein.

Ein letzter relativ fester Grund für Verklemmtheit ist, dass manche Menschen unter Spaß und Freude etwas völlig anderes verstehen als der Rest. Alkohol, Party, soziale Kontakte und Aufregung geben ihnen nichts. Sofern sie sich nicht verstellen wollen, wird man sie von außen also als verklemmt wahrnehmen.

verklemmte person

Weniger verklemmt wirken: So gelingt es

An dieser Stelle geht es hauptsächlich darum, wie du weniger verklemmt wirken kannst. Die meisten Artikel würden dir hier an dieser Stelle eine vorgefertigte Antwort in 10 Schritten liefern, wie du auf jeden Fall weniger verklemmt wirst. Doch da die Wahrnehmungen und Ursachen von Verklemmtheit so unglaublich komplex sind, wäre das nicht sonderlich zielführend.

Ob du Schüchternheit überwinden musst, therapeutische Hilfe für Angst brauchst, einfach von Natur aus ruhiger bist und somit Akzeptanz lernen musst oder einfach die falschen Freunde hast – ich weiß das nicht. Aber darin liegen dann auch deine Lösungsansätze, damit du dich wohler fühlen kannst. Lockerheit ist sehr häufig die Folge von Wohlbefinden.

Weniger verklemmt wirken, ist hingegen einfach:

  • Lächeln (aus Prinzip)
  • an Gesprächen beteiligen (unabhängig davon, ob du sie interessant findest)
  • Arme nicht vor der Brust verschränken (so gut sich das auch anfühlt)
  • über Witze lachen (selbst, wenn sie ziemlich plump sind)
  • negative Gedanken nicht äußern (auch, wenn du damit Recht hast)
  • häufiger Ja zu Aktivitäten sagen (und dabei lächeln)

Wenn dir diese Liste sofort Übelkeit bereitet, dann empfehle ich dir, sie nicht komplett abzuarbeiten. Um weniger verklemmt zu wirken, reicht es oft schon, nur ein paar Kleinigkeiten umzusetzen. Lächeln und ein paar mehr Gesten beim Reden verwenden und nicht auf die Logikfehler in einer Erzählung hinweisen, ist ein Anfang.

Ich persönlich würde hoffen, dass du aber nicht um jeden Preis das Verklemmtheits-Label ablegst. Wenn du am Ende permanent schauspielern musst, ist es das wahrscheinlich nicht wert. Und so verletzend der Begriff auch sein kann, es gibt schlimmere Beschreibungen als verklemmt. Gemein, hinterhältig, rücksichtslos, beratungsresistent oder herablassend sind eher Dinge, die eine Veränderung fordern.

verklemmt wirken

Mit verklemmten Menschen umgehen: Sei kein Idiot!

Du hast kein Recht darauf, dass jemand deinen Vorstellungen von Offenheit, Spaß und Nettigkeit entspricht. Wenn du dich an der verklemmten Art eines Menschen störst, kannst du also nicht einfordern, dass er sich ändert.

Davon irritiert zu sein, kann dir aber auch keiner absprechen. Wie gesagt: Wenn sich jemand nicht an die Normen und Gepflogenheiten des sozialen Miteinanders hält, stößt uns das fast automatisch komisch auf. Du musst verklemmte Menschen also nicht mögen.

Aber du musst sie auch nicht retten. Zu häufig glauben aufgeschlossene Menschen, dass ruhigere Zeitgenossen nur darauf warten, dass sie jemand an die Hand nimmt und in eine glorreiche, extrovertierte Zukunft führt. Aber auf jede schüchterne Person, die sich über die Initiative freut, kommen doppelt und dreimal so viele, die du damit vor den Kopf stößt. Wenn du also auf eine verklemmte Person triffst, dann lass sie entweder in Ruhe oder begegne ihr mit ein wenig Bescheidenheit.

Fazit: Hemmungen sind komplizierter, als wir glauben wollen

Verklemmt wird als Beschreibung super schnell in den Raum geworfen und doch super unterschiedlich verstanden. Somit ist das wieder mal so ein Wort, das wir vielleicht lieber erst nach etwas längerem Nachdenken nutzen sollten. Sonst tun wir jemandem weh, der einfach zurückhaltender ist und damit niemandem schadet. Oder wir versuchen zwanghaft, unsere Verklemmtheit abzulegen – bis wir uns nicht wiedererkennen.

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