Menschen sind weder Autos noch Fernbedienungen, aber trotzdem haben sie eine Batterie. Das mag dir etwas komisch vorkommen. Vor allem dann, wenn du dich noch nicht so richtig mit den Themen Introversion und Hochsensibilität beschäftigt hast.
Denn dass wir nur begrenzte soziale Energie zur Verfügung haben, ist etwas, was nicht jeder bewusst wahrnimmt. Extrovertierte Menschen lieben Kontakt und können sogar munterer und glücklicher werden, wenn sie länger unter Leute gehen.
Introvertierte, hochsensible oder auch schüchterne Menschen verlieren allerdings Energie. Keine Sorge: Trotzdem wollen sie Kontakte haben, Dinge erleben und Erfahrungen sammeln. Aber sie müssen ihr Leben nun mal auch ein wenig anpassen – denn eine leere soziale Batterie (auch: Social Battery) ist ein echtes Hindernis.
Keine Lust zu lesen? Hier ist die (etwas abgeänderte) Video-Tipp-Version:
Soziale Batterie: Was ist das?
Die Metapher der sozialen Batterie wird schon seit langer Zeit genutzt, um zu beschreiben, wie Sozialkontakte Energie rauben können. So wie eine Autobatterie zum Fahren gebraucht wird, braucht es auch ausreichend Kapazitäten in der sozialen Batterie, um unter Menschen zufrieden und aktiv zu sein.
Alternativ wird auch vom sozialen Akku gesprochen. Ist er leer, fühlen sich Menschen abgeschlagen, gereizt oder einfach unglücklich – ganz unabhängig davon, ob sie gerade unter Freunden sind oder eine tolle Sache erleben.
Introvertierte Menschen müssen besonders darauf achten, wie viel Energie noch im sozialen Tank steckt. Denn Sozialkontakte sind für sie anstrengend. Manche mehr, manche weniger. Das Aufladen der sozialen Batterie ist etwas, was hochsensible und introvertierte Persönlichkeiten dringend lernen müssen.
Sozialer Kater: die Symptome
Zu viele Sozialkontakte führen bei vielen Menschen zum sogenannten sozialen Kater. Wie nach einer durchzechten Nacht fühlen sie sich absolut nicht bereit für den kommenden Tag und wollen ganz gerne unter der Bettdecke verschwinden.
Zu den Symptomen einer leeren sozialen Batterie gehört:
- gereizter auf Geräusche reagieren
- Gespräche vermeiden
- weniger Konzentrationsfähigkeit
- Kopfschmerzen
- Müdigkeit
- in Tagträumen versinken
- Fluchtreflexe
Natürlich solltest du versuchen, eine leere soziale Batterie zu vermeiden – denn wer ist schon gerne verkatert? Ganz besonders tragisch sind die Symptome einer leeren sozialen Batterie, wenn etwas Bedeutsames ansteht. Treffen mit Freunden, ein wichtiges Meeting, eine Hochzeit, ein Event, auf das du dich seit Monaten freust – wenn dein Körper und Geist in diesem Moment nur nach Ruhe schreien, verdirbt dir das die Erfahrung.
Erschöpfung nach sozialen Kontakten: die Ursachen
Die eigene Persönlichkeit und die Umweltbedingungen können gleichermaßen schuld an einem sozialen Kater sein. Was genau das Problem ist, musst du also schon untersuchen. Immer davon auszugehen, dass du einfach zu sensibel bist, ist genauso unsinnig, wie immer zu erwarten, dass die anderen für deine Erschöpfung verantwortlich sind.
Erschöpft durch dauerhafte Belastung
Ein Grund für eine leere soziale Batterie kann sein, dass du ständig unter Menschen bist. Solltest du introvertiert oder hochsensibel sein, dann erledigst du das mit den Gesprächen und Treffen nun mal nicht einfach so nebenbei.
Wenn du also Vollzeit arbeitest, zu Hause noch jemand auf dich wartet und du dann noch versuchst, Freunde und Familie zu treffen, dann fehlen dir komplett die Ruhezeiten, die du brauchst, um deine sozialen Akkus wieder aufzuladen (Tipps dazu folgen gleich).
Es kann schwierig sein, die dauerhafte Belastung zu erkennen. Denn sie erschlägt dich nicht von heute auf morgen, sie schleicht sich ein. Daher musst du lernen, dir Pausen zu nehmen – und zwar sehr konsequent. Sobald du bemerkst, dass du sozial verkatert bist, ist es eigentlich schon zu spät.
Müde nach speziellen Events
Hast du bereits gelernt, dass du deine Ruhephasen brauchst, du bist aber trotzdem öfter Mal völlig erschöpft? Dann kann es sein, dass du eine besonders anspruchsvolle Situation meistern musstest.
Diese Situationen sehen für jeden anders aus. Ein Wochenende mit der Familie, eine lange Partynacht, eine schwierige Phase in der Beziehung – immer dann, wenn du viel reden und zuhören musst und gleichzeitig emotional viel investierst, musst du damit rechnen, dass sich die soziale Batterie extrem schnell entlädt.
(Das Gegenstück dazu sind soziale Situationen, die dir sehr wenig abverlangen. Gemeinsame Abende mit besten Freunden, ein Date mit der richtigen Person oder ein besonders produktiver Arbeitstag sind Beispiele für Szenarien, in denen die Gesellschaft so angenehm ist, dass der Energieverlust verlangsamt wird.)
Körperlich und seelisch nicht auf der Höhe
Deine Widerstandsfähigkeit hängt auch davon ab, wie gut du Körper und Geist pflegst. Geht es dir generell nicht so gut, dann sind auch deine Filter schwächer – mit anderen Worten, der soziale Kater stößt praktisch auf einen leeren Magen.
Es kann gut sein, dass Situationen, die dir früher nichts ausgemacht haben, dich plötzlich jeglicher Energie berauben. Dann gelten die typischen Tipps: Überprüfe deinen Schlaf, deine Ernährung, deine mentale Gesundheit und ob du dein Leben nach deinen eigenen Vorstellungen lebst.
Die soziale Batterie ist leer: Was tun?
Erschöpft nach sozialen Kontakten zu sein, gehört für viele Menschen einfach dazu. Introvertierte kennen das Phänomen nur zu gut – wissen es aber manchmal nicht zu benennen. Das Problem ist, dass dabei schnell negative Gedanken und Selbstvorwürfe entstehen, die die Situation nur noch schlimmer machen.
Außerdem kann schlecht an einer Sache gearbeitet werden, die wir nicht verstehen. Leert sich deine soziale Batterie schnell, du erkennst es aber nicht, dann wirst du logischerweise auch nicht die richtigen Maßnahmen ergreifen. Sowohl kurzfristig als auch langfristig können aber viele Dinge helfen.
Sofortmaßnahmen für den Social Hangover
Merkst du plötzlich, dass die Energie verschwunden ist, muss es meist schnell gehen. Der einfachste Weg ist die Flucht zu ergreifen. Ist Rückzug eine Option, dann mach einen irischen Abgang oder entschuldige dich mit Kopfschmerzen – die meisten Menschen werden es verstehen.
Leider gibt es oftmals nicht die Möglichkeit, einfach zu verschwinden. Eine Pause brauchst du aber trotzdem. Kämpfst du dich durch die Erschöpfung, kann das schlimme Folgen haben. Im besten Fall wirkst du auf andere depressiv oder völlig überdreht. Im schlechtesten Fall macht dein Kreislauf schlapp, du gerätst in Streitigkeiten oder verschlimmerst eine psychische Notlage.
Schon ein kleiner Spaziergang kann helfen. In der Mittagspause mal eben um den Block gehen, gibt dir Zeit, um deine Gedanken zu ordnen und einmal, zweimal, dreimal richtig durchzuatmen. Sind die sozialen Tanks dann wieder voll? Nein, leider nicht. Aber schaden tut die Pause definitiv nicht.
Manchmal helfen Süßigkeiten. Der Blutzuckerspiegel schießt bei großer Anstrengung schon mal in den Keller. Eine Leckerei kann Abhilfe schaffen. Gleiches gilt für Umarmungen: Für manche Menschen wirkt Körperkontakt sehr beruhigend. Andere bekommen den Social Hangover doppelt so schnell, wenn sie viele Berührungen aushalten müssen.
Hast du die Möglichkeit, dich für längere Zeit zurückzuziehen, kannst du es mit einem Powernap versuchen. Ein kurzes Nickerchen von maximal 20 Minuten gibt neue Energie. Allerdings funktioniert das meist erst durch Übung – wenn es blöd läuft, fühlst du dich anschließend kaputter als vorher. Dann lieber 20 Minuten Musik hören oder lesen, um wieder herunterzukommen.
Social Battery schnell aufladen
Nicht sofort und doch kurzfristig kannst du dich auch gut auf soziale Situationen vorbereiten – und sie clever nachbereiten. Stehen mehrere Tage mit vielen Herausforderungen an, dann musst du andere Dinge vernachlässigen, um dir selbst etwas Ruhe zu gönnen. Ein paar Tage später die Wohnung zu putzen, ist nicht das Ende der Welt. Einige Termine zu verschieben, wird die Erde nicht aus der Achse werfen. Alle außer deiner Katze werden dir verzeihen, wenn du mal nicht zu 100 Prozent verfügbar bist.
Nimm dir nach einer großen sozialen Sache nicht noch was vor. Nur noch schnell einkaufen, aufräumen, Freunde anrufen, den Schrank reparieren oder ins Fitnessstudio gehen? „Nur“ gibt es nicht, wenn die sozialen Batterien auf Sparflamme laufen oder schon leer sind.
Schlaf ist dein bester Freund, wenn dir alles zu viel wird. Ist es komisch, schon um 21 Uhr im Bett zu liegen? Ein bisschen vielleicht. Auch den Wecker nach hinten zu stellen, obwohl viel ansteht, ist erst mal eigenartig, doch du gibst deinem Körper und Geist viel mehr Kraft, wenn sie sich erholen können.
Stille ist ebenfalls wichtig. Menschen in der Stadt oder in einer vollen Wohnung glauben oftmals, dass sie Zeit für sich nehmen – während die Welt um sie herum so laut und chaotisch ist wie vorher. Kopfhörer können helfen. Noch besser ist ein Spaziergang in der Natur, da das nachweislich positive Auswirkungen auf deine Stimmung und dein Wohlbefinden hat.
Dauerhaft besser mit sozialer Energie umgehen
Großartige Neuigkeiten: Du kannst sozialen Kater fast vollständig verhindern. Weniger großartige Nachrichten: Es wird eine Weile dauern, bis du den Dreh raus hast. Um nicht ständig unter Erschöpfung zu leiden, muss du nämlich mit deiner Energie cleverer umgehen – und harte Entscheidungen treffen.
Für Menschen mit weniger effektiven sozialen Batterien sind nun mal nicht alle Treffen, Veranstaltungen und Kontakte unter einen Hut zu bringen. Diese Erkenntnis wird (hoffentlich) früher oder später dafür sorgen, dass du auch mal Nein sagst.
Beziehungsweise kannst du versuchen, Dinge zu verschieben oder in Angriff zu nehmen, wenn du dich wohler fühlst. Einen neuen Tisch kaufen, jemanden besuchen oder ein neues Projekt starten hat meist kein Zeitlimit. Also quetsch das nicht noch in eine ohnehin sozial anspruchsvolle Zeit hinein.
Regelmäßige Maßnahmen gegen den sozialen Kater:
- Zeit in der Natur verbringen
- Reizüberflutung minimieren
- Bedürfnisse gegenüber Partner, Freunden und Kollegen kommunizieren
- Meditieren
- Achtsamkeit praktizieren
- Alternativen zu realen sozialen Kontakten nutzen (z.B. online)
- Energiefresser aus dem Leben verbannen
Mehr Pausen für dich, in denen du nur dein Ding machst und keine Eindrücke sammeln musst, sind das A und O, wenn du deine soziale Batterie schonen willst. Ja, das heißt auch mal ein Date mit jemandem abzusagen, den du eigentlich sehr magst. Oder Überstunden zu verweigern, auch wenn du böse angeschaut wirst.
Weitere Tipps und Informationen rund um dieses Thema findest du hier: Introvertiert Erschöpfung.
Fazit: Du bist für deine Energie verantwortlich
Zum Wohle der eigenen Psyche auf soziale Kontakte zu verzichten, kommt in einer extrovertiert geprägten Gesellschaft nicht gut an. Doch kämpfst du häufiger mit sozialer Erschöpfung, wirst du gar keine andere Wahl haben. „Immer weiter“ schafft dich am Ende – mit nicht absehbaren Folgen.
Also musst du selbst zum Schutzgott deiner Energie werden. Andere werden dir kaum sagen, dass du dich zurückziehen sollst, das musst du schon eigenständig entscheiden. Genauso musst du herausfinden, welche Techniken zum Batterien aufladen für dich am besten funktionieren und welche total am Ziel vorbeischießen.
Last but not least wirst du mit der Zeit auch erkennen, welche Menschen dich besonders anstrengen. Warnung: Eine überwiegende Mehrheit introvertierter und hochsensibler Menschen fängt irgendwann an, sehr viel mehr Selbstliebe auszuüben. Das geht auf Kosten derjenigen, die uns herablassend, fordernd oder hinterhältig begegnen. Spielen wir die kleinste Violine der Welt für die Menschen, die plötzlich nicht mehr auf uns herumtrampeln und unsere Energie beanspruchen dürfen.
Der Text trifft den Nagel auf den Kopf. Nur wenn man aus der Überlastung durch Kinder, Job und Lebenssituation nicht raus kommt, weil die Änderungen nicht funktionieren oder die Veränderung nicht zu verantworten ist, hilft alles Aufladen nur kurzfristig.
Da gebe ich dir absolut recht. Deshalb fällt es mir bei Texten wie diesen auch schwer, konkrete Tipps zum Aufladen zu geben. Viele Menschen (vor allem Introvertierte und Hochsensible) sind in einer Situation, in der sie wiederholt ihre Tanks komplett entleeren – und da auch nicht so recht rauskommen. Falls du Tipps hast, schreib sie gerne mit rein. Wir können nur versuchen, möglichst viele Informationen zur Verfügung zu stellen und hoffen, dass mit der Zeit mehr und mehr Menschen Lösungen für sich und ihr Leben finden.
Ich hatte das früher eins-zwei Mal mich wegen meiner social battery alle paar Monate nicht treffen zu können. Jetzt geht aber gar nichts mehr. Ich habe mich seit mind. 5 Monaten das Gefühl erschöpft zu sein ,obwohl ich nur zu Hause rumhocke
Hi, das klingt dann nicht mehr nach gewöhnlicher sozialer Erschöpfung. Hast du mal mit deinem Hausarzt darüber gesprochen? Liebe Grüße
Puh, ich finde mich hier total wieder. Sozialer Kater, bei mir geht das bis zu Kopfschmerzen, tränenden Augen und körperlich richtig ausgeknockt sein.
Meine große Schwierigkeit sind meine Kinder. Mit dem größeren hab ich alles schonmal durch inkl. Familienhilfe. Diese wollte mich ständig in irgendwelche Mutter Kind Gruppen, Kuren etc. bringen und einen Freundeskreis sollte ich mir auch noch aufbauen. Das Problem ist, dass die Kinder beide hyperaktiv sind und im jüngeren Alter deswegen jeden Rahmen mit Fremdbetreuung sprengen. Mehrere Erzieher, Tagespflegepersonen und Kindergärten haben hingeschmissen. Ich bin den ganzen Tag konfrontiert mit Haushalt schaffen, extra Termine für die Kinder wahrnehmen, weil die ja auffällig sind, meine eigenen Erkrankungen in den Griff bekommen (Physiotherapie? Psychotherapie? Wie das denn?) und nicht vor die Hunde gehen, weil ich die Kinder bei Laune halten muss und zugetextet werde. Bei ADHS ist es sehr ausgeprägt damit.
Ich. Kann. Nicht. Mehr!
Familie gibt es nicht in der Nähe. Ich hab jetzt bei der staft/Jugendamt nach Hilfe gefragt. Mir wurde tatsächlich wieder eine Familienhilfe angeboten! Da beißt sich die Katze in den Schwanz! 😆
Hi,
das ist natürlich eine belastende Situation. Ich wünsche dir viel Kraft und hoffe, dass es mit der Zeit besser wird. Immer im roten Bereich der sozialen Batterie zu sein, ist extrem belastend. Du hast meinen größten Respekt für diese Leistung und ich hoffe, dass auch wieder „entspanntere“ Zeiten folgen.
Liebe Grüße Jennifer
Jetzt bekommt das Ganze endlich einen Namen…. seit meine Tochter (12 Jahre) und mein Sohn (10 Jahre) auf der Welt sind, kann ich mich nicht mehr aufraffen mich mit anderen Menschen zu treffen. Das mag komisch klingen, aber es ist mir zu anstrengend. Schon durch meinen Beruf habe ich sehr viel Menschenkontakt, nachmittags bringe ich meine Kids zu ihren Hobbys. Jeden Tag komme ich mit den verschiedensten Menschen in Kontakt, dass ich Abends froh bin, einfach meine Ruhe zu haben. Der Preis dafür – keine Freunde mehr. Mein Mann versteht das nicht, wir haben uns deswegen auch schon gestritten.
Ich bin gerade sehr dankbar auf diesen Artikel gestoßen zu sein, denn er spricht mir aus der Seele. Ich bin immer so frustriert und auch besorgt, wenn ich Treffen oder Feiern oder Veranstaltungen erschöpft verlasse und mich frage, warum das für so viele andere kein Problem ist. Ich brauche nach Tagen, von denen ich weiß, dass sie sozial anstrengend sein werden, immer einen Tag, der mir sehr viel Stille und Zeit für mich gibt. Der soziale Kater zeigt sich bei mir durch starke Erschöpfung, meine Umwelt verändert wahrnehmen, mich nicht mehr konzentrieren können, Herzrasen und Fluchtwunsch. Aber ich finde die Balance zu finden super super schwer. Denn wenn ich zu lange viel Zeit für mich habe, neige ich zu Depressionen und Antriebslosigkeit, Genauso wie in dem Artikel beschrieben. DANKE nochmal für diesen aufschlussreichen Text. Wir sind nicht allein!!!!