Manchmal bin ich schlecht drauf. Weil etwas Schlechtes passiert ist oder weil absolut gar nichts passiert ist. Schlechte Laune gehört zu meinem Leben dazu. Und das ist … völlig okay?
Irgendwie, irgendwo, irgendwann haben wir angefangen, uns einzureden, es ginge im Leben immer nur darum, glücklich und gut drauf zu sein.
Schlecht drauf sein
Wenn etwas passiert ist, habe ich das Recht, nicht gut drauf zu sein. Jemand nimmt mir die Vorfahrt, das darf mich ankotzen. Ein Auftrag läuft nicht so, wie ich es wollte, das darf mich stören. Jemand ist gemein zu mir, das darf mich zum Weinen bringen.
Schlechte Laune zu haben, weil irgendetwas nicht so läuft, wie wir es uns erhoffen, ist einfach nur normal. Wir sollten uns selbstverständlich nicht reinsteigern oder deshalb dauerhaft betrübt sein – das Leben geht wirklich weiter. Aber im ersten Moment einfach mal zu sagen: „Das verhagelt mir jetzt aber die Stimmung“, ist total okay. Wieso auch nicht?
Plötzlich schlechte Laune ohne Grund
Auch grundlose schlechte Laune gehört dazu. Nicht für jeden, denn es gibt diese Menschen, die scheinbar immer gute Laune haben. Aber für die meisten Menschen fühlen sich manche Tage einfach weniger gut an als andere.
Theoretisch gibt es auch dafür immer eine Erklärung. Im Körper kann etwas nicht rund laufen, unsere Hormone machen diese Sache, bei der sie uns kontrollieren, oder wir haben irgendein Trauma (groß oder klein ist egal) noch nicht verarbeitet und lassen uns davon beeinflussen.
Praktisch denken wir aber nicht so weit. Und wir können auch nicht ständig alles in uns entschlüsseln. Sofern sie kein Dauerzustand ist, müssen wir nicht jede Laune analysieren und heilen. Von Zeit zu Zeit wachen wir morgens auf und der Tag stellt sich als ungebetener Besucher heraus, den wir aber nicht abwimmeln können.
Ohne erkennbaren Grund schlecht drauf zu sein, ist keine Schande. Wir machen es nur schlimmer, wenn wir uns dafür schämen, schlecht drauf zu sein. Dagegen anzukämpfen, anstatt einfach mal zuzulassen, dass ein Tag kein Ritt auf dem Einhorn wird, ist kontraproduktiv. Manchmal bessert sich die Laune genauso grundlos wie sie aufgetreten ist. Und manchmal auch nicht. Dann gehen wir abends ins Bett und denken uns: Gott sei Dank ist dieser Tag vorbei.
Ich bin heute nicht gut drauf: Lass mich doch!
Wir sind nicht gemacht worden, um immer glücklich und gut drauf zu sein. Allerdings leben wir in einer Welt, die etwas anderes behauptet. Werbung zum Beispiel verspricht uns immer wieder, dass die Lösung schon auf uns wartet – in Form von Keksen, einem neuen Auto oder einem 8-Wochen-Fitness-Kurs!
Schlechte Laune soll ausgemerzt werden, denn es fehlt uns ja einfach nur etwas, oder? Nein. Es gibt 1000 gute Gründe, schlecht drauf zu sein. Und wir sollten das einfach mal zulassen. Die ständige Suche nach Glück und Begeisterung schadet uns mehr, als sie hilft.
Was außerdem schadet, ist, dass andere Menschen uns nicht in Ruhe lassen. Gesprochen wie eine wahre Introvertierte, ich weiß. Doch damit meine ich einfach nur, dass es schon schwer genug ist, seine eigenen Launen zu verarbeiten, wenn niemand reinredet. Doch wenn Freunde, Familie oder Kollegen (manchmal auch Wildfremde) uns dann auch noch ein schlechtes Gewissen machen, ist sowieso alles zu spät.
- Guck doch nicht so böse.
- Hab dich mal nicht so.
- So schlimm ist das gar nicht.
- Du musst deine Einstellung ändern.
- Niemand muss traurig sein.
Diese und weitere Hits von vermeintlich hilfreichen Mitmenschen kennt wohl jeder. Manchmal steckt da wirklich das Bedürfnis hinter, uns zu helfen. Das gehört zum Beispiel zu Freundschaften dazu: Hat jemand einen miesen Tag gehabt, kümmert man sich um ihn und lenkt ihn ab. Doch es gibt einen Unterschied zwischen für jemanden da sein und ihm seine Gefühle absprechen.
Ich sage es hier klar und deutlich: Wenn ich mal nicht gut drauf bin, ist es nicht meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass du dich besser fühlst, indem ich so tue, als sei alles perfekt.
Natürlich darf ich meine Laune auch nicht an dir auslassen und im Zweifel sollte ich selbst lieber im Hintergrund bleiben und meine Laune meine Laune sein lassen. Aber wenn ich dir nur gefalle, wenn ich lächle und gut drauf bin, dann ist das deine Sache. Mich gibt es nicht nur im Optimismus-Prime-Modus.
Mal abgesehen davon, dass du meine Situation nicht kennst. Du weißt nicht, ob es einen guten Grund für meine schlechte Laune gibt. Und es geht dich, wenn ich es nicht erzähle, auch nichts an. Wir sind keine Maschinen und wenn wir mal nicht so gute Laune haben, dann liegt keine Fehlermeldung vor.
Das Recht auf schlechte Laune
Es ist unglaublich arrogant, zu glauben, dass wir uns das Recht herausnehmen könnten, einem anderen Menschen seine Traurigkeit, Gereiztheit und sein Unbehagen abzusprechen. Wir müssen nicht verstehen, warum jemand schlecht drauf ist, doch wir müssen es respektieren.
Einen Versuch zu starten, die Laune eines Anderen zu heben, ist okay:
- Wollen wir was unternehmen?
- Wo wohnen Katzen? Im Mietzhaus.
- Willst du darüber reden?
- Warum machen blinde Menschen kein Bungee-Jumping? Den Hunden gefällt’s nicht.
- Kann ich dir was bringen: Tee? Schokolade? Eine Umarmung?
- Ich habe meiner Freundin gesagt, sie hätte ihre Augenbrauen zu hoch aufgemalt. Sie sah überrascht aus.
Aber manchmal bist du nicht da, um jemandem gute Laune zu machen. Dann sollst du die Situation nur nicht verschlimmern und der Person einfach ihren Freiraum geben. Immer weiter zu sticheln und zu gucken, ob du nicht doch die Lösung des Problems bist, ist nicht fair. Die schlechte Laune einer anderen Person sollte dein Ego nicht bedrohen.
Also lasst mich – oder lasst uns – einfach mal schlechte Laune haben, okay? Dahinter steckt oftmals keine große Tragik. Das ist auch kein Dauerzustand. Launen kommen und gehen. So zu tun, als wäre alles tutti frutti, wenn es nicht so ist, bringt nichts. Zwanghaft dagegen anzukämpfen, dass sich an manchen Tagen alles etwas anstrengender anfühlt, macht es nur schlimmer.
Ich bin heute nicht gut drauf, verlangt als Gegenreaktion nicht: Oh mein Gott, wir müssen sofort etwas tun, schnell, ruft die Avengers! Oftmals müssen wir schlechte Laune einfach schlechte Laune sein lassen und schauen, dass wir später, am nächsten Tag oder auch ein paar Tage später wieder etwas mehr Elan und bessere Laune haben. Die Welt wird sich weiterdrehen.
Ich bin nicht gut drauf (und das ist okay) – SO WAS VON !!!!
stop smiling – start kvetching
Was mich persönlich ankotzt sind folgende Phrasen, die man zu hören bekommt, wenn man sich erlaubt schlecht drauf zu sein:
Hey, Du kannst alles schaffen was Du willst!
Nur eins kann Dich stoppen – Du selbst und Deine Launen!
Du bist einzigartig! Lebe es und zeige es!
Krebs? Nichts als eine Herausforderung für die, die innerlich stark sind!
Trauer? Schmerz? Angst? Einsamkeit? Verzweiflung? schlechte Laune?
Gefühle für die, die einfach zu schwach sind – nichts für Sieger, die triumphierend aus jeder Situation hervorgehen.
Schönes Leben Ihr Gutgelaunten – werdet erfolgreich oder nicht, es ist mir egal. Ich bin dann lieber bei den schlecht gelaunt Verrückten und Leidgeplagten. Von denen kann ich eine Menge lernen, stop smiling –
start kvetching zum Beispiel. Dies kann ich verdammt gut gebrauchen – so ein bisschen kvetching steht mir wirklich gut…
Fake News gibt es aber auch fake gute Laune. Besser dass ich real bin.
Sehr gute Einsichten in diesem Article.
Tom
Danke an Tina und Tom für Eure Kommentare! 🙂 Ironischerweise macht es gute Laune, zu lesen, dass gute Laune nicht immer sein muss 😉
Liebe Grüße
Hallo Jennifer,
an dieser Stelle ergeht ein herzlicher Dank zurück an Dich.
Mal wieder ein sehr durchdachter Artikel Deinerseits!!!
Es freut mich immer ganz besonders zwischen den Zeilen lesen und
im Anschluss kommentieren zu dürfen 🙂
Liebe Grüße
Dein „Oldie“ Tina aus Franken
Ich habe auf der Arbeit mehrere Kollegen die es nicht aushalten können wenn ich da sitze und einfach nicht gut drauf bin. Ich lasse das nicht raus, ich zieh mich zurück und existiere einfach. Ich krieg trotzdem ständig Kommentare wie: warum bist du so genervt? Ey lächel doch mal. Mich kotzt das so an weil es alles nur noch schlimmer wird. Oftmals fühle ich mich auch provoziert weil manche Leute so wirken als würden sie dann extra gut gelaunt sein um mich abzufucken und auch um zu symbolisieren: ich geb mich nicht mit dir ab, im Gegensatz zu dir bin ich fröhlich. Aber das kann auch projiziertes sein. Im jeden Fall nervt es, nicht einfach mal sein zu können.. die Gesellschaft wird so darauf getrimmt gut gelaunt & perfekt zu sein.
Ich weiß glaube ich, was du meinst. Manche Menschen sind so penetrant gut drauf, dass sie dir ihre Laune aufdrängen wollen. Dabei verstehen sie aber nicht, dass das extrem respektlos ist. Und ich verstehe nicht, warum man andere Leute nicht einfach in Ruhe lassen kann 😛
Liebe Grüße
Moin,
ich bin einer dieser gut Gelaunten. Früher Ständig und viel, heute 40 Jahre alt, merke ich immer deutlicher dass ich unsicher und provokant war, mich nach aussen gut verkaufen wollte. Seit ein paar jahren bemerke ich dass ich zwar den gut Gelaunten spielen kann, ich aber keinen bock mehr drauf habe. Meine Gute Laune ist dazu oft abhängig von den Menschen die mich umgeben. Ich fühl mich bei lieben und Verständnisvollen Menschen, oft auch aussenseiter und Freaks, viel freier und authentischer. Ich bin mega empfänglich durch andere Menschen, (ja und leider sag ich meiner freundinn oft: lach doch mal, komm wir haben so ein glück blabla usw.) Is mir gerade beim Lesen dieses Artikels aufgefallen und mir ein bischen peinlich wie doof sowas eigentlich ist! Also Danke dafür, weitermachen!