Bin ich ein echter Introvertierter? (Klischees!)

Du bist auf einem Blog für Introvertierte, doch hast du hier überhaupt etwas zu suchen? Ich bin mir da gar nicht so sicher. Es könnte ja sein, dass du gar kein echter Introvertierter bist.

Telefonierst du vielleicht gerne, redest oft vor Leuten oder gehst gerne feiern – dann hinfort mit dir, du extrovertiertes Wesen!

Nein, Unsinn. Bevor du davonläufst, das war nur ein Scherz. In diesem Beitrag wird es nämlich darum gehen, was eigentlich ein „wahrer“ Introvertierter ist. Denn obwohl ich unter Introvertierten selten echten Stress erlebe, wird auch hier das sogenannte Gatekeeping von Zeit zu Zeit durchgeführt.

Soll heißen, manchmal wird Menschen erzählt, sie seien nicht introvertiert, weil sie ja gar nicht den Klischees entsprechen. Oder noch beliebter: In Memes und schnell dahingeschriebenen Texten behaupten, dass alle Introvertierten eine bestimmte Sache tun, mögen oder hassen.

Warum nicht alle Introvertierten gleich sind

Wieso sollten sie? Nein wirklich, es ist absolut absurd, zu glauben, dass Introvertierte alle gleich wären, nach den gleichen Regeln spielen oder gar gleich aussehen. Introversion beschreibt keinen kompletten Charakter, sondern einen Teil der Persönlichkeit.

Jemand, der introvertiert ist, kann mutig sein oder auch ängstlich. Freiheitsliebend oder strikt. Konservativ oder liberal. Aggressiv oder sanft. Humorvoll oder humorlos. Redegewandt oder still.

Introvertiert zu sein, heißt, die Welt ein wenig anders wahrzunehmen und zu verarbeiten. Das hat Einfluss auf alles Mögliche, aber macht uns nicht alle gleich. Der perfekte Introvertierte existiert nicht.

wie sehen introvertierte aus

Beispiel für unterschiedliche Charaktere bei Introvertierten

Dass Introvertierte in allen Formen und Farben auftreten, lässt sich lächerlich einfach nachweisen, indem wir einen der beliebtesten Persönlichkeitstests der Welt heranziehen: Den Myers-Briggs-Typenindikator, auch MBTI genannt.

Um nicht den Inhalt eines ganzen Artikels noch mal aufzusagen (hier: MBTI GUIDE), mal in Kürze: Der MBTI unterteilt Persönlichkeiten in 16 verschiedene Typen und ganze 8 davon sind für Introvertierte bestimmt.

Zwischen einem leicht chaotischen Mediator-Typen und einem versierten Logistiker liegen Welten! Die einen lassen sich von Gefühlen und Eingebungen leiten, die anderen lieben harte Fakten und Pläne. Beide sind introvertiert, aber beide gestalten ihren Alltag und ihren Umgang mit Problemen völlig anders.

sind alle introvertierten gleich?

Typische introvertierte Klischees

Zu den häufigsten Klischees gegenüber Introvertierten gehört, dass sie schüchtern, unsicher oder beides wären. In Wahrheit ist eine introvertierte Persönlichkeit keineswegs zwangsläufig Auslöser für Schüchternheit, Ängste oder soziale Inkompetenz.

Doch damit nicht genug, diese weiteren Klischees müssen introvertierte Menschen ertragen:

  • Introvertierte können sich nicht durchsetzen
  • Introvertierte sind zu empfindlich
  • Introvertierte sind „graue Mäuse“
  • Introvertierte sind unsicher
  • Introvertierte hassen Menschen
  • Introvertierte haben keine Freunde
  • Introvertierte sind einsam

Alles davon kann auf einen Introvertierten zutreffen, genauso wie absolut nichts davon zutreffen kann. Klischees sind fast immer problematisch, nicht nur für Introvertierte. Doch es ist schon außergewöhnlich traurig, dass es so viele Introvertierte (und Ambivertierte) gibt und wir es als Gesellschaft trotzdem noch nicht geschafft haben, ausreichend Aufklärung zu betreiben.

Kritik an Texten über Introvertierte

Hier ist nun etwas Selbstkritik gefragt. Auch ich arbeite von Zeit zu Zeit mit Klischees. Gerade wenn es um humoristische Texte geht, ist es eigentlich auch gar nicht anders möglich. Ich bemühe mich zumindest, immer deutlich zu machen, dass es sich um spaßige Aussagen handelt oder dass es weiterführende Links zu diesem Thema gibt, die mehr mit Fakten arbeiten.

Doch im Internet kann jeder über alles schreiben. Leider machen sich viele Autoren weniger Mühe, wenn es darum geht, Klischees zu vermeiden oder zumindest einzuordnen. Das kann sowohl Unwissenden passieren – also beispielsweise Extrovertierten, die von sich auf andere schließen –, als auch Introvertierten, die sich für den Prototypen halten.

Problematische Memes

Auch Memes tragen dazu bei, dass sich Introvertierte manchmal wie im falschen Film fühlen. Denn Memekultur ist schnelllebig, meist oberflächlich und nicht immer durchdacht. Das führt dazu, dass sehr viele Memes soziale Ängste und Introversion in einen Topf werfen.

Immer wieder lese ich Kommentare unter vermeintlichen Memes für Introvertierte, in denen sich Menschen beschweren, dass dort klar asoziales oder angstgestörtes Verhalten dargestellt wird, das eigentlich nichts mit Introversion zu tun hat.

Ich denke, dagegen kann man nicht viel machen. Humor polarisiert nun mal und überspitzt dargestellte introvertierte Eigenarten sind denen von sozial Unbeholfenen nun mal sehr ähnlich. Das Internet kennt keine Grenzen und schon gar keine Regeln mehr. Wer etwas witzig findest, wird es liken und teilen.

nicht alle introvertierten sind gleich

Gatekeeping

Gatekeeping ist kein neues Phänomen, allerdings ist das Auftreten des Begriffs in der Alltagssprache relativ neu. Es beschreibt das Abschotten einer Gruppe oder Gemeinschaft von bestimmten Menschen, die Anschluss an diese Gruppe suchen. Häufig handelt es sich dabei um kleinliche oder gar toxische Mechanismen der Abschottung.

Auch unter Introvertierten ist das zu beobachten. Da sich so viele Artikel, Memes und Videos an die besonders stark introvertierten Personen richten, bleiben „Durchschnittsintrovertierte“ oftmals unbeachtet oder werden gar ausgeschlossen.

  • „Sowas würde ein Introvertiert nie sagen.“
  • „Ein echter Introvertierter versteht das.“
  • „Wir sind echt alle so.“
  • „Das verstehen nur Introvertierte!“

Denn sie telefonieren gerne, leben ihr Leben „problemlos“ oder haben nicht das Gefühl, von der Gesellschaft komisch beäugt zu werden. Doch nur weil jemand keine offensichtlichen Nachteile durch seine introvertierte Art erfährt, heißt das nicht, dass derjenige nicht Zugang zu introvertierten Gemeinschaften haben sollte.

Von Zeit zu Zeit muss der Fokus daher von den Problemen und sozialbehinderten Memes weggelockt werden, damit wir auch wieder über verschiedene Formen der Introversion sprechen. Auf keinen Fall sollte jemand ausgeschlossen werden, weil er ambivertiert oder kompetent introvertiert ist.

Der wahre Introvertierte existiert nicht

Wenn jemand jedes introvertierte Klischee erfüllen würde, dann … ja, was dann? Dieser Mensch würde sich von jeder Veranstaltung davonstehlen, immer alleine sein, Menschen missachten, kein Wort sagen, schüchtern sein, niemals laut werden und nur Bücher lesen. Gleichzeitig super klug sein, Katzen haben (Studie beweist das!), ein guter Zuhörer sein. Und das ist nur der Anfang – ganz schön viel, was ein Mensch da so sein soll.

Egal ob außenstehend oder selbst introvertiert: Wir sollten immer mal wieder checken, ob wir nicht alten Gedankenmustern und Vorurteilen anhängen, die eigentlich nicht aktuell sind oder es überhaupt je waren.

1 Kommentar

  1. Sehr interessant!
    Ich stoße zufällig auf Deine Seite. schließt sich introvertiert und Gruppe nicht irgendwie aus?
    Ich selbst bezeichne mich als alten einsamen Wolf. Bin fast sechzig. Meine Freunde kann ich an einer Hand abzählen. Ich kenne viele Leute. Arbeite in einer Telefonhotline. Ich werde wertgeschätzt und man fragt mich viel um Rat ich bin umgänglich. Aber ich würde niemals in eine Kneipe gehen, um Menschen kennenzulernen. Maximal, um ein Bier zu trinken oder laute Musik zu hören. Die Menschen brauche ich nicht, sieht man mal vom Kellner ab. Ich habe kein Problem damit, alleine zum Essen zu gehen. Parties oder Urlaube, wo man auch so tolle Leute kennenlernt, sind mir ein Graus. Ich kann mich in Gesellschaft auch auf höchstem Parkett bewegen und bin ein angenehmer und unterhaltenderer Gesprächspartner. Sitze aber manchmal auch nur stundenlang da und höre zu. Einsamkeit kenne ich nicht, auch wenn ich tagelang oder wochenlang keinen Menschen sehe. Von meiner Familie habe ich mich komplett abgewendet. Bin das schwarze Schaf. Mir ging es selten so gut wie nach dieser Entscheidung. Ich denke viel nach, beschäftige mich mit Philosophie, Psychologie, Kunst und eigentlich Allem. Wäre der perfekte Kandidat für Günther Jauch. Ich habe keine Berührungsangste mit Menschen. Bin ein super Verkäufer gewesen. Halte auch Schulungen ab. Rollenspiele sind kein Problem.
    Meine Antwort: Nichts, auf die Frage, was ich tolles am Wochenende gemacht habe irritiert viel. Nicht ist natürlich nicht ganz richtig, denn ich mache jede Menge. Aber eben nicht Party oder Spieleabende. Dafür ist mir die Zeit zu schade. Da glotze ich lieber TV, das ist spannender.
    Wer es schafft, meiner inneren Kern zu erreichen, darf sich etwas drauf einbilden .Ich bin auch niemand, der nichts von sich preis gibt. Ich bin ein offenes Buch.
    Aber ich bin sehr in mich gekehrt und genieße meine Ruhe und mein eigenes Leben, ohne Kompromisse eingehen zu müssen.
    Eine Gruppe brauche ich nicht. Trotzdem schätze ich das Gespräch mit einem Unbekannten oder Freund und weiche dem nicht aus.
    Einen lieben Gruß in die Welt
    Jui

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