Das Wort „allein“ löst bei vielen Menschen Unbehagen oder sogar Angst aus. Das liegt oft daran, dass sie allein und einsam gleichsetzen. Und Einsamkeit ist etwas Schlechtes – da sind sich fast alle Menschen einig. (Ausnahmen gibt es)
Wer allerdings allein sein kann, ohne sich einsam zu fühlen, der hat keine Angst vor Rückzug, Eigenständigkeit oder Ruhe. Das heißt dann auch, dass manche Menschen gerne allein sind. Sie kommen nicht nur damit klar, wenn mal niemand Zeit für sie hat oder soziale Stützen wegbrechen – sie begrüßen die Zeit für sich und suchen sie sogar.
Aber woher kommt das? Immerhin scheinen die allermeisten Menschen das Alleinsein lieber zu meiden. Nun, es gibt ein paar typische Ursachen dafür, dass man gern allein ist – und es gibt einige Folgen, die (fast) immer auf Schritt und Tritt dabei sind.
Woher kommt das gute Gefühl beim Allein-sein?
Es gibt drei große und unzählige kleine Gründe dafür, dass allein sein besser klingt als unter Menschen sein. Und wer vielleicht etwas im Leben verändern möchte – oder sich selbst besser verstehen will – der muss bei den Ursachen anfangen.
Introvertierte Menschen sind gern allein?
Der eine große, typischerweise genannte Grund dafür, dass wir gern allein sind, ist Introvertiertheit. Introvertierte Menschen verlieren soziale Energie, wenn sie unter Menschen gehen – sie sind also nach einer Weile ziemlich erschöpft. Es gibt zwar kleinere Maßnahmen, um diese Erschöpfung zu verlangsamen, aber komplett aufhalten lässt sie sich nicht.
Zu den Symptomen einer leeren sozialen Batterie gehört unter anderem:
- gereizter auf Geräusche reagieren
- Gespräche vermeiden
- weniger Konzentrationsfähigkeit
- Kopfschmerzen
- Müdigkeit
- in Tagträumen versinken
- Fluchtreflexe
Stellt sich die soziale Erschöpfung ein, müssen die Energietanks wieder gefüllt werden – und das gelingt am besten, wenn wir uns zurückziehen können. Ein Spaziergang im Wald, eine Runde zocken, einfach etwas Musik hören und auf der Couch liegen – nach und nach gewinnen wir die Energie zurück.
Logischerweise fühlt sich allein zu sein also gut an. Einsamkeit ist eher kein Problem, denn die meisten Introvertierten können jederzeit wieder unter Menschen gehen, wenn sie denn möchten.
Ohne andere Menschen um sich herum langweilen sich die meisten Introvertierten nicht. Sie denken nach, sind kreativ oder machen einfach ihr Ding.
Hochsensibel und Rückzug gehören zusammen?
Sehr viele (aber nicht alle) Introvertierten sind hochsensibel. Hochsensibilität ist genau das, wonach es klingt: Wir reagieren empfindlicher auf Reize. Und das strengt an. An Orten, wo sich Menschen tummeln, sind meist auch mehr Reize wie laute Geräusche, viele Gerüche oder eben soziale Reize in Form von Gesprächen.
Die meisten hochsensiblen Personen sind deshalb jetzt nicht direkt totale Einzelgänger. Aber sie merken instinktiv, dass ihnen Zeit allein guttut. Die Reize können verringert werden und das fühlt sich beruhigend an. Da wir über unterschiedliche Bedürfnisse und Persönlichkeitstypen leider nichts in der Schule lernen, entdecken viele Menschen aber erst im Erwachsenenalter, woher das kommt.
Genau wie für Introvertierte gilt: Es gibt verschiedene Tipps und Tricks, um mit der sozialen Erschöpfung umzugehen: Energiereserven besser nutzen
Trauma führt zu Einsamkeit?
Wer introvertiert und/oder hochsensibel ist, der wird es auch bleiben. Das ist eine Veranlagung, an der man ein bisschen schrauben kann, aber man kann sie nicht komplett umkehren. Etwas anders sieht es aus, wenn jemand schlechte Erfahrungen gemacht hat.
Denn dann ist die Zeit allein kein natürliches Bedürfnis, sondern ein erzeugtes Bedürfnis. Die betroffenen Menschen sind nicht gern allein, weil ihnen das mehr liegt, sondern weil die Alternative zu anstrengend ist – oder sich gefährlich anfühlt.
Leider kann ich dir nur bedingt helfen, wenn das die Ursache für deinen sozialen Rückzug ist. Da hilft nur lange, intensive Selbstbetrachtung oder eine Therapie. Mitgeben möchte ich dir auf jeden Fall, dass niemand dir das Gefühl geben sollte, du wärst nicht gut genug oder du wärst „falsch“. Solltest du dich zurückziehen, weil dir jemand wehgetan hat, kannst du dein Leben auch nach und nach wieder umstellen, so dass sich Zeit mit anderen Menschen wieder besser und sicherer anfühlt.
Weitere mögliche Ursachen
Das waren nun drei der großen Ursachen dafür, dass man gern allein ist. Natürlich gibt es aber noch viele kleine Gründe – beziehungsweise können ja auch Kombinationen vorliegen. Dazu zählt unter anderem:
- Dir geht es körperlich nicht gut
- Du triffst dich mit den falschen Menschen
- Du hast gerade viel Stress im Leben
- Deine Hobbys sind nun mal nicht dafür geeignet, sie mit anderen zu genießen
- Du orientierst dich immer nur an den Bedürfnissen von anderen
All diese Dinge sorgen dafür, dass es weniger verführerisch klingt, sich mit Menschen zu umgeben. Einfach, weil sich allein sein besser anfühlt oder gerade die bessere Alternative ist.
Menschen, die gern allein sind, müssen mit Gegenwind rechnen
Seit Jahren finden Menschen auf diesen Blog, weil sie hinterfragen, ob sie „richtig“ sind. Denn gerne allein zu sein, das klingt für viele komisch. Meist auch, weil das soziale Umfeld diesen Glauben fleißig ankurbelt.
Unverständnis von anderen ist zu erwarten
Viele Menschen glauben, du würdest sie ablehnen, wenn du dich zurückziehst. Deshalb wird Introvertierten auch immer mal nachgesagt, sie wären arrogant. Und klar, es gibt bestimmt auch arrogante Introvertierte oder Hochsensible. Aber meist ist der soziale Rückzug überhaupt kein Angriff auf andere.
Das müssen wir nur erst einmal erklären. Leider kommt die Message nicht bei allen an. Das ist besonders hart, wenn Freunde oder Familie die anderen sozialen Bedürfnisse nicht verstehen wollen. Dann vermitteln sie uns leider manchmal, wir wären krank oder falsch.
In Wahrheit steckt dahinter Unwissenheit beim Gegenüber. Dass Menschen unterschiedlich auf Reize reagieren und manchmal von Natur aus anders ticken, ist gut erforscht. Vielfältigkeit bei Persönlichkeitstypen denken wir uns ja nicht aus – also ist es umso schwerer, wenn andere so tun, als müssten wir alle gleich funktionieren.
Du kannst nur versuchen, dich zu erklären und hoffen, dass du Verständnis findest. Aber: Erst einmal musst du dich eben erklären. Denn gern allein zu sein, ist nun mal etwas, was für viele noch „fremd“ wirkt.
Trotzreaktion nach zu viel Kritik
Viele Geschichten gehen gut aus: Jemand erkennt seine sozialen Bedürfnisse, passt sein Leben an und erklärt sich seinen Liebsten. Doch es geht auch anders: Wieder und wieder gibt es blöde Sprüche oder Streit.
Dann ziehen sich manche Menschen noch weiter zurück. Denn es tut weh, wenn wir uns immer wieder rechtfertigen müssen. Die Option, einfach nur für sich zu sein und diese Kritik auszustellen, wirkt plötzlich schmackhaft.
Diese Reaktion kann ich niemandem verübeln – aber es gibt sie auch, die Menschen, die dich so akzeptieren, wie du bist. Daran weiter zu glauben und die „guten“ Kontakte aufrechtzuerhalten, lohnt sich!
Balance-Akt um nicht zu vereinsamen
Selbstschutz darf nicht zu Isolation führen. Das ist ein Balance-Akt. Ich wünschte, ich könnte dir einen einfachen Trick verraten, wie du im Handumdrehen verstehst, was du brauchst und was nicht. Doch die Wahrheit ist, dass das ein langwieriger Prozess ist.
Wer sich gar nicht schützt, der brennt bald aus – denn wenn du gern allein bist, dir das aber nie erlaubst, fehlt dir etwas. Das ist in etwa so, als würde man einen sehr sozialen, extrovertierten Menschen immer wieder isolieren – der würde ja auch nicht glücklich werden, oder?
Wer sich zu sehr schützt, der macht die Schotten dicht und vereinsamt. Alle anderen Menschen als anstrengend, nervig oder dumm zu sehen, ist ja auch keine Lösung – aber das ist ein Phänomen, das ich immer mal wieder beobachte.
Gern allein zu sein, ist in vielerlei Hinsicht eine Superkraft, da wir uns nicht anbiedern müssen. Wir haben ja keine Angst davor, allein zu sein. Aber die meisten von uns sind weiterhin soziale Wesen, also müssen wir gleichzeitig Kontakte aufrechterhalten und mal über unseren Schatten springen. (Ausnahmen gibt es natürlich, manche Menschen gehen komplett ihren eigenen Weg.)
Klarerer Blick auf die Welt für diejenigen, die sich trauen
Eine Besonderheit von Einzelgängern und Alleinzeit-Genießern ist, dass sie die Welt oft aus einem besonderen Blickwinkel sehen. Sie gucken ein wenig von außen auf viele Menschen, Strukturen oder Ereignisse.
Wer mitten drin ist im Getümmel und immer dabei sein muss, der sammelt natürlich viel praktische, soziale Erfahrung – aber möglicherweise ist diese Erfahrung dann auch der Grund, warum man alles nur sehr persönlich sieht und die eigene Meinung rein an Gefühlen festmacht.
Sich auch mal in die Außenperspektive zu begeben, kann für Klarheit sorgen. Beziehungen und persönliche Erfahrungen fallen etwas weniger ins Gewicht. Natürlich heißt das nicht, dass jeder, der gern allein ist, ein totales Genie mit Durchblick ist. Aber gemeinhin nehmen Menschen die Welt je nach ihren Sozialbedürfnissen schon unterschiedlich wahr. Oder was meinst du?
Fazit: Ich bin gern allein und das ist auch gut so, aber …
Ich hoffe, die Kernaussage ist klar geworden: Gern allein zu sein, ist erst einmal nichts Schlimmes. Aber es ist eben auch etwas, was wir erforschen und verstehen müssen. Nur so können wir unsere Bedürfnisse respektieren und auch kommunizieren.
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„Normal ist, was der Norm entspricht, was den Menschen bekannt ist, was Berechenbarkeit vermittelt. In modernen westlichen Gesellschaften ist es normal, von Menschen umgeben zu sein. Es ist außerdem normal, sowohl sein Arbeitsleben als auch seine Freizeit mit sozialen Aktivitäten zu verbringen.
Doch nur weil etwas als normal gilt, muss es nicht richtig oder gut sein. Somit ist das Schätzen der eigenen Gesellschaft und das Vermeiden von sozialen Verpflichtungen nicht automatisch schlecht. Ein interessanter Beitrag über Susan Cain und andere Anwälte, die introvertiert sind, zeigt sogar auf, dass es für bestimmte Berufsgruppen sehr förderlich sein kann, eher nach innen gekehrt zu sein.“ Weiterlesen: Ich bin lieber allein als unter Menschen!