Ich hasse Smalltalk, also zwing mich nicht dazu!

Bei kaum einem Thema streiten introvertierte und extrovertierte Menschen so gerne wie beim Thema Smalltalk. Extrovertierte Menschen können sich eine Welt ohne Smalltalk nicht vorstellen – er ist entweder eine Selbstverständlichkeit oder sogar eine Quelle des Glücks.

Introvertierte werden unzählige Male pro Tag zu Smalltalk gezwungen – und hassen es in den allermeisten Fällen. Das ergibt eine interessante Kombination. Sobald introvertierte Personen nämlich laut und deutlich sagen, dass sie Smalltalk hassen, schrillen die Alarmglocken. Aber er ist doch so wichtig! Wir brauchen ihn! Hab dich mal nicht so.

Im Folgenden soll nicht behauptet werden, Smalltalk würde keine wichtigen Funktionen erfüllen. Aber eines muss auch klar sein: Smalltalk einzufordern und die Grenzen der Menschen nicht zu respektieren, die einfach nicht über das Wetter reden wollen, ist ziemlich respektlos.

ich mag keinen smalltalk

Warum mag ich keinen Smalltalk?

Bevor es darum geht, warum ein Smalltalk-Zwang ein Zeichen mangelnder Empathie ist, muss klar sein, welche Gründe es überhaupt dafür gibt, dass wir Smalltalk nicht mögen. Denn so wie es verschiedene Smalltalk-Typen gibt, gibt es auch verschiedene Ursachen für Abneigung.

Reden, ohne etwas zu sagen zu haben

Wer gerne über die Welt und komplizierte Fragen spricht, der findet es unnötig, über das Wetter zu reden. Auch „Na, wie geht’s?“ scheint Verschwendung zu sein. Könnte man mit der ausgestoßenen Luft nichts Besseres anfangen?

Somit sind diese Smalltalkhasser vor allem dadurch definiert, dass sie stets und ständig nach Tiefgang suchen. Die lockeren Gespräche überfordern sie nicht etwa, sie fordern sie einfach gar nicht. Also meiden sie diese Gespräche und verlieren schnell das Interesse, wenn sie dazu gezwungen werden.

Für diese Menschen ist typisch, dass sie sich Wege suchen, um Gespräche in Deep Talk zu verwandeln. Das kann Früchte tragen und eine Beziehung intensivieren – oder zu komischen Blicken führen, denn nicht jeder, der Smalltalk mag, möchte sich mit ernsten oder wichtigen Themen auseinandersetzen.

Nicht gut mit Fremden sein

Smalltalk ist für viele extrovertierte und aufgeweckte Menschen eine Selbstverständlichkeit. Sie denken nicht darüber nach, was genau sie sagen wollen oder wann sie ein Gespräch beginnen. Das passiert einfach irgendwie und gehört nun mal zum Alltag dazu.

Wer sich in sozialen Situationen mit fremden Menschen unwohl fühlt, empfindet Smalltalk aber nicht als kleine Nebensache. Sozial gehemmte und neurodivergente Menschen sind hier besonders herauszustellen, da sie meist unglaublich viel Energie darauf verwenden, die Signale ihres Gegenübers zu interpretieren und eine passende Reaktion zu kreieren.

Typische Fragen, die Menschen durch den Kopf gehen können, wenn ein Gespräch eigentlich locker sein sollte:

  • Halte ich zu viel oder zu wenig Augenkontakt?
  • Spreche ich zu schnell oder zu langsam?
  • Habe ich gerade etwas Dummes gesagt?
  • War da eben eine Doppeldeutigkeit in der Aussage?
  • Wann ist es okay, das Gespräch zu beenden?
  • Ich mag diese Person nicht, muss ich höflich bleiben?
  • Ich mag diese Person, mache ich einen guten Eindruck?

Für jeden klingen die Fragen anders. Sie können nicht einfach ausgestellt werden – denn viele Menschen sind von Natur aus nicht gut darin, unbekannte Menschen einzuschätzen. Somit laufen da im Hintergrund viele Prozesse ab. Das kann noch mal schlimmer sein, wenn in der Vergangenheit negative Erfahrungen gemacht wurden (z. B. wenn man für Aussagen ausgelacht wurde oder als komisch bezeichnet worden ist).

Gezwungener Smalltalk ist eine Katastrophe für Introvertierte

Forschung hat ergeben, dass in den Gehirnen von introvertierten Menschen oftmals mehr los ist. Mehr heißt natürlich nicht, dass Introvertierte alle super intelligent sind. Eher geht es darum, dass es faktisch einfach mehr Energie kostet, in sozialen Situationen aufmerksam zu sein – übrigens selbst dann, wenn sich jemand nicht mal unwohl fühlt.

Introvertierte können den Sinn von Smalltalk problemlos erkennen und initiieren ihn sogar. Was das große Problem ist: Gezwungener Smalltalk ohne Sinn und Verstand. Um ein gutes Verhältnis zu den Nachbarn zu wahren, mal ein Pläuschen am Gartenzaun zu halten, ist etwas anderes, als von Kollegen permanent in Klatsch und Tratscht verwickelt zu werden.

Smalltalk erschöpft Introvertierte. Manchmal ist es das wert und sehr oft ist es das nicht. Je häufiger Introvertierte zu unnötigem Smalltalk gezwungen werden, umso größer wird ihr Hass darauf. Das gilt besonders, wenn ein gewisses Anspruchsdenken beim Gegenüber dazukommt – manche Menschen glauben nämlich, sie hätten ein Anrecht auf deine Zeit. Aber dazu gleich mehr.

Keine Lust haben, ohne den Grund zu kennen oder nur bestimmte Formen hassen

Kombinationen aus den verschiedenen Gründen dafür, Smalltalk nicht zu mögen, sind natürlich möglich. Aber manchmal kannst du es drehen und wenden, wie du willst – es gibt gar keine konkreten Gründe. Du bist einfach kein Mensch, der freiwillig Smalltalk macht. Ist okay, das soll dir niemand absprechen.

Im Folgenden wird es übrigens hauptsächlich um ausgedehnten Smalltalk gehen. Denn ich denke, viele mögen das typisch amerikanische „How are you?“ nicht. Um aber so richtigen Hass zu entwickeln, muss Smalltalk schon als Belastung empfunden werden – oder als Symptom eines größeren Problems.

lockerer smalltalk nervt

Niemand streitet ab, dass lockere Gespräche wichtige Funktionen haben

Bei der Recherche für diesen Artikel ist vor allem eine Sache deutlich geworden: Manche Menschen verteidigen Smalltalk mit derselben Intensität, wie ihn andere hassen. Das geht soweit, dass manche Menschen offen zugeben, dass sie Smalltalkhasser hassen. Ja, ein Hass auf Menschen, die sich gegen oberflächliche Gespräche entscheiden.

Um die Absurdität der Smalltalk-Abneigung auch wirklich, wirklich zu betonen, werden von den Smalltalk-Verteidigern Studien herangezogen. Seht her, Smalltalk ist wichtig!

Ich kenne kaum jemanden, der bestreiten würde, dass Smalltalk wichtige Funktionen in einer Gesellschaft erfüllt. Es ist nun mal selten angebracht, im Hausflur mit einem Nachbarn über den Sinn des Lebens oder politische Propaganda zu diskutieren. Smalltalk ist oftmals ein erster Ansatzpunkt, um fremde Menschen überhaupt zu einem Gespräch zu bringen. Dass clevere Redner Vorteile im Beruf und generell im Leben haben, ist wohl auch jedem klar.

Aber aus möglichen positiven Folgen von Smalltalk sollte doch nicht geschlussfolgert werden, dass ein Recht darauf besteht, ihn von anderen einzufordern. Denn genau das ist es, was Smalltalkhasser an allen Ecken und Enden kreiert – das Gefühl, dass man ihn mitzumachen hat, um als netter oder wertvoller Mensch zu gelten.

Wenn Smalltalk zur Tugend erklärt werden soll

Wer ohnehin schon kritisch auf unsere moderne Gesellschaft schaut, der sieht in Smalltalk auch einen Ausdruck von Falschheit und übertriebener Vereinfachung menschlicher Beziehungen. Smalltalk gaukelt für einige Minuten eine persönliche Beziehung vor, wo keine ist – inklusive der Verpflichtung seinen (Rede-)Teil dazu beizutragen. Zu lächeln und nach dem Tag zu fragen, ist für einige Menschen ein Ausdruck einer guten Persönlichkeit – und genau das ist extrem oberflächlich.

Smalltalk ist vor allem dann verachtenswert, wenn er als Ersatz für tatsächliche Herzlichkeit und Güte herhalten soll. Manche Menschen macht es glücklich, einfach mal zu schnacken – das ist okay. Aber nur weil jemand mit mir Smalltalk macht, finde ich nicht automatisch, dass jemand ein guter Mensch ist. Manchmal kommt es mir so vor, als würden Smalltalk-Liebhaber lockere Nettigkeiten im Treppenhaus oder in der Kaffeepause als eine grundlegende menschliche Tugend sehen.

Es ist einfach ein Fakt, dass viele Menschen keine Freude spüren, wenn sie Smalltalk machen. Trotzdem ist er überall zu finden und das Ablehnen wird als unhöflich wahrgenommen. Wir müssen ihn sogar mit Menschen führen, die hinterhältig, gemein und rücksichtslos sind – um einem so extrem schädlichen Menschen das Gefühl zu geben, man würde sich sozial auf Augenhöhe begegnen.

Das ergibt herzlich wenig Sinn. Herzensgüte, Verantwortungsbewusstsein, Empathie, Rücksicht – das sind viel eher die Dinge, die wir an Menschen schätzen. Dass Smalltalk zu machen gesellschaftlich oftmals als ausreichend für ein gutes Image gilt, ist für jeden absurd, der Oberflächlichkeit hasst.

Gehen Smalltalk und Oberflächlichkeit Hand in Hand?

Auf die Gefahr hin, jetzt die Handbremse reinzuhauen und in die andere Richtung zu schießen: Nicht alle Menschen, die Smalltalk mögen, sind oberflächlich. Leider behauptet manch einer das – aber das ist natürlich viel zu einfach gedacht.

Die interessantesten und tiefgründigsten Menschen auf diesem Planeten machen trotzdem Smalltalk. Einige von ihnen genießen ihn sogar. Ich würde aber vermuten, dass Menschen mit Tiefgang Skrupel spüren würden, wenn sie anderen Smalltalk aufdrängen. Die meisten Smalltalkhasser verbinden Oberflächlichkeit und Smalltalk vor allem deshalb so eng miteinander, weil sie viel Erfahrung darin haben, beides gleichzeitig zu erleben.

Lästertanten (und Lästeronkels) reden viel und sagen wenig – also klingt bei ihnen alles irgendwie nach Smalltalk. Eitle und selbstbezogene Menschen schätzen Status, Einkommen und Aussehen so sehr, dass sie über nichts andere sprechen – somit sagen sie selten etwas, was Substanz hat.

Es ist okay, keinen Smalltalk zu mögen. Es ist aber verdammt scheinheilig, alle als oberflächlich zu bezeichnen, die ihn lieben.

smalltalk nicht mögen

So absurd können gesellschaftliche Konventionen ausarten

Hin und wieder treffen sich zwei Menschen im Hausflur, auf einer Party oder auf der Straße und machen Smalltalk, obwohl keiner von beiden auch nur das Geringste über die andere Person wissen will. Der Smalltalk bringt keine Freude, er führt zu nichts. Er kostet einfach nur Zeit.

Wenn die vermeintlich notwendige Laberei vorbei ist, gehen sie nach Hause. Dort erzählen sie jemandem, dass sie Smalltalk machen mussten, obwohl sie keine Lust hatten. Sie ärgern sich darüber, dass sie dadurch später zu Hause sind.

Beim nächsten Mal sehen sich die zwei Menschen wieder zufällig auf der Straße. Beide gucken auf ihre Smartphones und sind nervös. Was ist, wenn ich entdeckt werde und wieder quatschen muss? Eigentlich auch doof, dass ich jetzt so angespannt weggucke. Ob das auffällt? Ist das unhöflich?

Beide gehen gestresst weiter und fragen sich, ob der andere jetzt schlecht von ihm denkt. Als sie sich das nächste Mal sehen, bleiben sie wieder stehen, damit der andere nicht denkt, man hätte das Gespräch mit allen Mitteln vermeiden wollen.

Smalltalk ist nicht das Ende der Welt – aber auch nicht ihr Anfang

Ich persönlich finde es unangenehm, wenn ein fremder Mensch glaubt, ein Anrecht auf meine Zeit zu haben. Wenn jemand sagt „Smalltalk ist wichtig, ich brauche ihn, um mich gut zu fühlen“, dann akzeptiere ich das. Ich verstehe nur nicht, wieso ich die Person sein soll, die ihn liefert? Ich empfinde ihn als anstrengend. Ist dein Wunsch nach Kontakt wichtiger als meiner nach Ruhe? Wer bestimmt das?

Smalltalk sollte – wie die meisten Gespräche – ein Geben und Nehmen sein. Wenn nur einer der Gesprächspartner Freude beim Smalltalk spürt, nimmt er, gibt aber nichts zurück. Das ist irgendwie unangenehm. Also, liebe Smalltalker, lasst euch nicht einreden, ihr wärt alle oberflächlich – aber wundert euch auch nicht, wenn ihr so bezeichnet werdet, nachdem ihr jemanden in ein Gespräch über das Wetter verwickelt, der dabei ernsthaft darüber nachdenkt, einen medizinischen Notfall vorzutäuschen, nur um endlich Ruhe zu haben.

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