Informationsexplosion im Alltag: Wir sind überfordert

Unsere Welt ist laut, unübersichtlich und kompliziert. Kaum jemand würde dieser Aussage widersprechen, obwohl wir alle unterschiedliche Auffassungen davon haben, was eigentlich so überfordernd ist. Sind es die Menschen? Ist es die Politik? Das Internet?

Es sind Informationen. Denn unser kollektives Wissen wächst schneller, als es ein Individuum je erfassen könnte. Hier treffen also die Wissensverdopplung in der Wissenschaft und die Informationsexplosion des Alltags aufeinander. Am Ende des Beitrags sollte jedem klar sein, dass es kein Wunder ist, wenn wir uns hin und wieder – oder sogar ständig – überfordert fühlen.

Was ist Informationsüberflutung?

Informationsüberflutung bezeichnet die Überwältigung des menschlichen Gehirns durch zu viele Informationen in zu wenig Zeit, was daraufhin zu Überforderung und in Konsequenz zu Lethargie, Stress und verminderter Entscheidungsfähigkeit führt.

Sie ist unter anderem eine Folge der beschleunigten Wissensverdopplung (kombiniert mit dem Zugang zu besagtem Wissen). Als Beispiel gilt hier meist die Medizin: Während es früher Jahrzehnte oder zumindest etliche Jahre dauerte, bis sich das Wissen der Menschheit verdoppelte, sind es nun in der Medizin etwa 73 Tage. In anderen Bereichen sieht es ähnlich aus.

Woher kommt die Informationsüberflutung?

Durch die sogenannte Informationsexplosion – also den sprunghaften Anstieg verfügbaren Wissens – stehen mehr und mehr Fakten, Fragen, Ideen und Lösungsansätze zur Verfügung. Das bedingt den Zustand der Informationsüberflutung, da der Einzelne nicht mehr in der Lage ist, die relevanten Informationen zu erkennen oder sinnhaft zu verarbeiten.

Die Menschheit leistet also im Moment Unglaubliches, der Fortschritt in vielen Wissenschaften rast nur so, doch der Einzelne kann damit eigentlich herzlich wenig anfangen. Wir sind nun mal keine Maschinen. 

informationsüberflutung im alltag

Wie sieht die Informationsexplosion im Alltag aus?

Insgeheim wissen wir das alles bereits. Auch wenn wir das Wort Informationsexplosion vielleicht bisher nicht gehört oder benutzt haben, dass es ständig und überall neue Daten gibt, die für uns relevant erscheinen, merken wir doch jeden Tag.

Nehmen wir das Beispiel Fußballfans. Wer sich nicht nur für eine Mannschaft, sondern für den Sport an sich begeistert, der bekommt heutzutage so viele Informationen in den Hals gerammt, dass selbst Luis Suárez nicht mehr zubeißen möchte.

Vor der Zeit der vielen Daten und des Internets haben Fußballfans ungefähr die folgenden Dinge beachten müssen (oder dürfen), wenn sie sich ein adäquates Bild von der Fußballwelt machen wollten:

  • Wer trainiert meine Mannschaft, welche Trainer haben die anderen Mannschaften und welche Taktiken bevorzugen sie?
  • Welche Spieler hat meine Mannschaft und inwiefern macht sie das konkurrenzfähig?
  • Wie viel ist ein Spieler wert?
  • Heimspiel oder Auswärtsspiel? Lange Anfahrt? Wo kann ich das Spiel sehen, wenn ich nicht im Stadion bin?
  • Was sagen die Statistiken zum Thema Toranzahl und früheren Ergebnissen?

Das ist natürlich sehr vereinfacht dargestellt. Um sich wie ein Experte zu fühlen, mussten Fans auch damals schon einen genaueren Blick auf die anderen Teams werfen, in andere Ligen schauen, ein gewisses Verständnis von Taktik haben. Aber diese Informationen bekamen sie durch das Ansehen der Spiele kombiniert mit den Daten und Analysen aus Zeitungen und Fernsehberichten.

Wenn Bayern München gegen Borussia Dortmund spielt, werden uns mittlerweile folgende Informationen gegeben:

Welche Investoren stecken hinter dem Verein. Welche Summen hat ein Verein investiert. Welche Klauseln sind in den Verträgen vorgeschrieben. Welche Prämien es gibt … Woher der Spieler kommt und wie viele Tore er bisher erzielte, welche Position er spielte, welchen Ausrüster er hat, welche Trainer er hatte, was sein Lieblingsessen ist, wie sein Instagram Account aussieht. Außerdem: Mit welcher Wahrscheinlichkeit erzielt Robert Lewandowski ein Tor. Wie viele Kilometer laufen die Spieler auf dem Platz durchschnittlich. Mit welcher Genauigkeit sie Pässe spielen. Spielen sie diese Pässe mit links oder mit rechts. In welchem Spielsystem sind diese Pässe genauer und um welche Uhrzeit…?

Lassen wir das. All diese Dinge sind vorher auch passiert – der Unterschied ist, dass es jetzt so viele Analysen und somit Informationen zu den Spielen gibt, dass sie viel komplexer werden und wirken als früher. In dem Beispiel geht es ja noch nicht einmal darum, dass wir nicht mehr nur ein Spiel anders bewerten, jedes Spiel steht auch in einem viel größeren Zusammenhang, da wir diese Informationen zu allen Topligen abrufen können.

Und Fußball ist nur ein Beispiel. Gleiches gilt für die Politik, für Fernsehserien, für Bücher, für Einkaufsmöglichkeiten, für die Kindererziehung, für Beziehungen, für Autos, für Ernährung – es gibt immer mehr Informationen zu jedem noch so kleinen Teil unseres Lebens.

Durch die Medien und das Internet werden wir mit Informationen praktisch bombardiert. Alles soll uns interessieren, alles müssen wir wissen, jeden Winkel beachten, eine Meinung formen. Denn wir haben natürlich das Bedürfnis, unsere Umwelt und uns selbst zu verstehen. Aber tun wir doch nicht so, als wären unsere Gehirne je dafür geschaffen worden, ständig neue Reize zu empfangen und praktisch niemals Pause zu machen.

im alltag überfordert

Was macht die Informationsüberflutung im Alltag mit uns?

Wir sind überfordert. Jeder einzelne von uns. Der Grad der Überforderung mag variieren, doch niemand ist auch nur annähernd in der Lage, ernsthaft noch zu verarbeiten, was alles auf ihn einprasselt. Diejenigen, die damit klarkommen, haben einfach bessere Filter – dazu gleich noch mehr.

Im Alltag überfordert zu sein, ist also nicht nur eine persönliche Erfahrung, sondern in gewisser Weise auch eine kollektive. Es betrifft alle, die Teil der Gesellschaft sind. Selbstverständlich hat das somit also auch persönliche sowie gesamtgesellschaftliche Folgen.

Persönliche Überforderung

Eine informierte Entscheidung zu treffen, gelingt am ehesten, wenn man alle notwendigen Informationen hat. Doch das wird niemals geschehen. Es gibt immer noch eine Studie, noch eine Meinung, noch eine Erfahrung, noch einen Zusammenhang, der nicht bedacht wird. Im 21. Jahrhundert können wir also nicht mehr behaupten, wirklich alles durchdacht zu haben.

In Wahrheit war das natürlich vorher auch schon der Fall. Aber es fühlte sich nicht ständig so an, als wären wir nicht fertig mit einer Sache. Was wir heute über die Wichtigkeit von Frühstück wissen, kann morgen schon in Frage gestellt werden. Dann finden wir auch noch heraus, dass es für jeden Menschen anders funktioniert. Ach ja, die individuellen Lebensumstände nicht vergessen. Relevant ist auch, was das Ziel des Frühstücks ist.

Dass das Frühstück die wichtigste Mahlzeit des Tages ist, ist mittlerweile als Mythos enttarnt und die Welt ist deshalb besser geworden – immerhin prügeln sich jetzt Menschen nicht ohne jeglichen Hunger ihre Scheibe Brot durch die Beißerchen. Aber eine einfache Sache ist somit nun höchstkompliziert geworden.

Wer mehr Informationen hat, muss mehr verarbeiten und mehr Entscheidungen treffen. Unsere kleinen Affenhirne sind zwar beeindruckend, aber eben auch nicht übernatürlich leistungsfähig. Das heißt: Wir sind noch ziemlich nah an den Verwandten dran, die am Tag hauptsächlich in Erfahrung bringen mussten, wie sie selbst überleben, wie ihre Gruppe überlebt und vielleicht noch wie man einen sexy Artgenossen beeindruckt – was, technisch gesehen, auch wieder das Überleben der Gruppe/Art sichern sollte.

Wir leiden heute unter Entscheidungsmüdigkeit. Dazu gibt es bereits einen ausführlichen Beitrag (Was ist Decision Fatique?), doch in Kürze bedeutet das: Je mehr Entscheidungen wir am Tag treffen müssen, umso weniger sinnvoll werden sie. Während wir morgens noch recht klar denken und selbstverständlich die Winterjacke wählen, weil es kalt draußen ist, machen wir abends den Fehler, ein überteuertes Sommerkleid online zu kaufen, weil wir einfach machen.

Es ist ganz natürlich, dass wir früher oder später gewisse Dinge einfach abblocken. Wir spüren ja, dass uns alles zu viel wird. Dann wird eben nicht mehr nachgeguckt, ob das Zitat eines Politikers im Zusammenhang mehr Sinn ergibt. Dann wird die grüne Verpackung als Zeichen für ein gesundes Essen angesehen. Dann wird der beste Freund nicht angeschrieben, denn der könnte sich doch auch mal melden, was ein A…

Wir denken nicht klar. Denn wir wissen nie alles, wissen aber, dass es noch mehr Informationen gäbe, die wir einholen könnten. Die Welt gibt uns mehr Daten, ganz häufig sind diese für uns in Wahrheit nicht relevant, doch der Reiz ist da, das Gehirn muss schuften. Wir sind müde, gereizt, überfordert und wissen vielleicht nicht einmal, warum.

Kollektive Überforderung

Dieses Fass machen wir nicht zu weit auf. Denn was die Informationsexplosion mit uns als Gesellschaft und Menschheit anstellt, das könnte ein ganzes Buch füllen. Hier also nur ein paar Anregungen – sorry, dass ich damit zur Überforderung beitrage.

  • Wir lesen nur noch Überschriften, denn für ganze Texte ist keine Zeit
  • Wir zweifeln an den Journalisten und glauben lieber an das, was wir erfahren
  • Wir nutzen unsere Gehirne zur Verarbeitung von Daten, verlieren dabei aber die Fähigkeit, unsere eigenen Gefühle zu verstehen
  • Wir wollen die einfache Antwort, auch wenn sie nicht die richtige Antwort ist
  • Wir wissen, es gibt so etwas wie eine richtige Antwort nicht „mehr“, denn alles ist (oder fühlt sich so an) relativ
  • Wir lassen uns nicht auf Diskussionen ein, sondern verurteilen jeden, der nicht unsere Meinung vertritt

Wer es sich antun möchte, kann gerne herausfinden, wie sehr Populisten und Verschwörungs“theoretiker“ davon profitieren, dass wir überfordert sind. Einen interessanten Beitrag zum sogenannten Postfaktischen Zeitalter gibt es dazu von Steven Pinker.

ich bin überfordert

Was kann man gegen die Überforderung tun?

Ironischerweise gibt es auf die Frage, was gegen die Informationsflut hilft, keine einfache Antwort. Es gibt Ideen und Wege, doch die muss jeder für sich selbst entdecken. Hier mal drei Schritte, die helfen können.

Prioritäten setzen

Wir müssen entscheiden, was für uns so wichtig ist, dass wir darüber Bescheid wissen wollen. Gesundheit zum Beispiel, ist für viele Menschen wohl ganz vorne mit dabei. Also sollte man hier auch aufmerksam bleiben und neue Informationen an sich heranlassen.

Um das andere Beispiel aufzugreifen: Fußball kann eine Sache sein, die wir weiter unten auf die Liste der Prioritäten setzen. Spiele können wir uns ansehen, ohne dabei jeden einzelnen Zusammenhang zwischen Finanzen, Leistungsdaten und Personalfragen zu kennen.

Genauso gut kann es sein, dass Fußball doch wichtig genug ist. Dann sollte an anderer Stelle reduziert und gefiltert werden. Müssen wir wirklich wissen, was Promi XY zum Frühstück isst? Brauchen wir ein neues Auto – und alle damit einhergehenden Recherchen – obwohl das alte noch fährt? Bringt es uns wirklich Zufriedenheit, wenn wir über die Leben all unserer Freunde, Kollegen, Verwandten und Bekannten Bescheid wissen?

Schritt eins ist also nicht, auszusortieren oder nicht mehr offen für neue Dinge und Daten zu sein. Es geht darum, erst herauszufinden, was wir haben wollen und brauchen, dann wird reduziert.

Weniger Internet

Das Internet ist unglaublich toll. Aber eben auch der Grund, warum das mit der Informationsexplosion im Alltag eine Explosion ist und keine Informationseisschmelze. Wir glauben vielleicht, dass uns das Internet Freude und Entspannung bringt – doch auch wenn wir nur nebenbei Netflix gucken, bekommen unsere Gehirne Futter, das sie nicht brauchen.

Instagrams kleine Dopaminstöße sind etwas, was wir kaum noch bemerken. Wir vergessen schnell, welches Bild wir geherzt haben und welches nicht. Doch das ist Anstrengung! Auch das ist ein Prozess, den das Gehirn unnötigerweise erledigt. Ständig.

Wer kennt es nicht: Ein YouTube Video aus Interesse gucken, plötzlich lernen wir von einem Typen aus dem Hinterland, wie man sein eigenes Trinkwasser filtriert – während wir in der Stadt sitzen und an unserem Saskia-Wasser nippen. Nur weil etwas interessant ist, heißt das nicht, dass es nicht dazu beitragen würde, dass wir müde und entscheidungsfaul werden.

Also: Weniger Internet. Das muss nicht weiter erklärt werden. Manch einer braucht eine App, die die Zeit online begrenzt, manch anderer einen klaren Zeitplan. Wie ist nicht wichtig, Hauptsache, das Internet wird gezielt genutzt (Abfrage von Informationen, Entspannung, Kommunikation) und nicht, um noch mehr Daten in unsere hungrigen Gehirne zu ballern.

Mehr Stille

In letzter Konsequenz brauchen wir Stille. Wenn wir von morgens bis abends mit Informationen überflutet werden – durch das Internet, die Zeitung, das Fernsehen und die Menschen um uns herum – dann müssen wir all diese Dinge pausieren. Ergo: Stille schaffen.

Stille ist nichts Natürliches mehr. Unsere Städte sind laut, die Menschen auch, Informationen sind allgegenwärtig. Informationslärm kann nur reduziert werden, wenn er abgeblockt wird. Internet aus, Fernseher aus, Zeitung weg, Menschen loswerden – naja, nicht loswerden, aber ihnen zumindest mal aus dem Weg gehen.

Wir haben schon einmal in diesem Beitrag darüber gesprochen, dass wir nicht so weit von den Vorfahren entfernt sind, die noch sehr einfache Tagesziele hatten – obwohl einfach nicht so ganz das richtige Wort dafür ist, wenn man ständig Angst haben musste, zu sterben. So wie sie zu leben, ist gar nicht notwendig, aber wir können doch trotzdem ein bisschen Inspiration von ihnen bekommen.

Also müssen wir uns selbst wieder Einfachheit und Natur verschreiben. Im Wald auf die Bewegung der Blätter achten und nach Tieren Ausschau halten, ist entspannender, als in der Stadt mit dem Auto unterwegs zu sein. Über eine Wiese laufen erfordert ein wenig Geschick – je nach Zustand der Wiese – lässt aber viel Spielraum für freiheitsliebende Gedanken. Mit einer Katze oder einem Hund auf der Couch zu kuscheln, gibt ein gutes Gefühl – wenn denn nebenbei nicht der Nachrichtensprecher, der Whatsapp-Chat oder die Zeitung darauf hinweisen, dass schon wieder etwas Neues passiert ist, jemand eine Meinung hat oder sich etwas dramatisch verändert.

wissensverdoppelung

Indem wir den Krach reduzieren, können wir die Informationen, die wir haben wollen und brauchen, auch wieder besser verarbeiten. Aber das ist leichter gesagt, als getan. Hier also das ehrliche Schlusswort: Auch ich habe den Dreh noch nicht ganz raus. Aber für mich persönlich ist es schon mal sehr hilfreich, Informationsüberflutung im Alltag zu erkennen. Denn wir sprechen zwar über Arbeitsstress, Beziehungsstress, Zukunftsängste, psychische Probleme – aber so richtig darüber, dass wir schon mit dem Alltag überfordert sind, wollen wir nicht reden.

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