Introvertierte sind anfällig für Stress und Depression. Das heißt jedoch nicht, dass Introversion an sich eine Krankheit wäre. Im Alltag werden hier viele Konzepte vermischt, die etwas miteinander zu tun haben können, einander aber nicht zwangsläufig bedingen.
Daher schauen wir uns an, wie Stress und Depression für introvertierte Menschen entstehen und vor allem, wie damit umzugehen ist. Wichtig: Dieser Beitrag ist zwar mit ausreichend Recherche entstanden, doch bei einem extremen Stresslevel oder Anzeichen von Depression solltest Du immer einen Experten aufsuchen.
Depression und Introversion sehen sich ähnlich
Introvertierte sind es leid, zu hören, mit ihnen würde etwas nicht stimmen. Besorgte Eltern, Freunde oder Partner verwechseln das erhöhte Ruhebedürfnis von introvertierten Personen häufig mit Symptomen von Depression.
In den meisten Fällen ist es jedoch einfach so, dass Introvertierte (und Ambivertierte) ihre Energiereserven besser auffüllen können, wenn sie alleine sind. Sie genießen die Zeit alleine, sie sind nicht gelangweilt oder unglücklich.
Was andere als Traurigkeit oder Depression ansehen, ist einfach eine weniger populäre Art des Lebens im 21. Jahrhundert. Denn aktuell ist es sehr angesagt, sich laut zu präsentieren, aufzufallen und lieber etwas Falsches zu sagen, als gar nichts zu sagen. Die Art der Introvertierten ist jedoch durch langes Nachdenken, Konsequenzen bedenken und Stille genießen geprägt – das beißt sich mit der Vorstellung eines guten Lebens, das Extrovertierte haben.
Also bleibt festzuhalten: Die ruhige oder zurückgezogene Art von introvertierten Menschen ist grundsätzlich nicht krankhaft oder bedenklich. Pauschal zu behaupten, Introvertierte wären unglücklich, ist schlichtweg falsch.
Wieso sind Introvertierte depressiv?
Auch Wissenschaftler behaupten nicht, dass Introvertierte krank oder depressiv wären. Trotzdem stellen Forscher wiederholt fest, dass eine introvertierte Art durchaus negative Folgen haben kann. So bedingt Introversion durchaus das Risiko für Depression und Suizid (Janowsky).
Aber Achtung: Introversion ist deshalb noch kein Merkmal von Depression. Extrovertierte Menschen können ebenso depressiv sein und ein erhöhtes Risiko für depressive Phasen ist nicht gleichbedeutend mit einer Gleichsetzung von Introversion und Depression.
Eine weitere Studie der Havard University fand bereits heraus, dass extrovertierte Verhaltensweisen glücklicher machen können. Wie bereits an anderer Stelle besprochen (Kann man zu introvertiert sein?), wurden hier jedoch keine Langzeitfolgen untersucht und die Forscher stellten fest, dass Introvertierte hohen Aufwand betreiben müssen, um sich extrovertierter zu geben. Sobald die Probanden höherem Stress ausgesetzt waren, gelang es ihnen nicht mehr so gut, ihr Verhalten zu verändern.
Die Wissenschaft ist stets im Wandel und das ist beim Thema Introversion nicht anders, kein seriöser Wissenschaftler sieht Introvertiertheit jedoch als Ursache für Depression. Trotzdem muss davon ausgegangen werden, dass Introvertierte mit ihren Problemen anders umgehen.
Depression kann unentdeckt bleiben, wenn Introvertierte ihr Verhalten nicht ändern. Denn das häufigere Zurückziehen eines Menschen kann ein Hinweis auf Depression sein – leider wäre das bei viele Introvertierten schwer zu erkennen. Auch um Hilfe zu bitten, kann einigen Introvertierten schwerer fallen, da sie sich in sozialen Situationen unwohl oder nicht ausreichend erfahren fühlen.
Erschwerend kommt hinzu, dass viele Introvertierte glauben, mit ihnen würde etwas nicht stimmen. Das kann entweder durch direkte Ablehnung passieren, aber auch dadurch, dass die Gesellschaft sehr stark auf extrovertierte Verhaltensweisen ausgelegt ist.
Selbstdarstellung ist wichtig für den Job, die Schule, selbst im Kindergarten. Viele Freunde zu haben, gilt bei vielen Menschen als Ideal. Ständig aktiv zu sein und darüber zu reden, was man tut, ist der Normalzustand. Nicht aktiv zu sein, gilt hingegen als faul, asozial oder zumindest mangelhaft.
Ablehnung durch die Gesellschaft, durch Verwandte oder Freunde führt zur Ablehnung der eigenen Persönlichkeit. Da Introversion angeboren ist und nicht „überwunden“ werden kann, leben viele von uns wider ihre Natur. Das verursacht dauerhaften Stress und führt somit fast zwangsläufig zu Unglück oder gar Depression.
Warum Du niemals extrovertiert sein wirst, erfährst Du hier: Introversion überwinden, geht denn das?
Was sind Stressauslöser für Introvertierte?
Stress ist also wichtig, wenn wir darüber sprechen, was Introvertierte überfordern oder gar depressiv machen kann. Er kommt in viele Formen und Farben, hat unterschiedlichste Ursachen und verschiedenste Lösungen.
An dieser Stelle muss wiederholt werden: Dieser Beitrag heilt keine Depression. Die Ursachen für Depression sind vielfältig. Von negativen Erfahrungen, zu angeborener chemischer Imbalance im Hirn bis hin zu Dingen, die selbst für Psychologen nicht vollständig zu verstehen sind.
Solltest Du Anzeichen von Depression zeigen oder jemanden kennen, der damit zu kämpfen hat, dann folge dem Link oder suche Dir auf andere Arten Hilfe: Deutsche Depressionshilfe.
Stress zu managen, kann jedoch ein wichtiger Heilungs- oder Präventionsfaktor sein. Daher hier ein kurzer Überblick darüber, warum Introvertierte eigentlich so anfällig für Stress sind.
Sensibilität
Introvertierte reagieren empfindlicher auf Umweltreize. Deshalb auch das erhöhte Ruhebedürfnis: Hektische und neuartige Umgebungen verlangen dem Körper viel ab. Zum Ausgleich braucht es dann ruhigere Momente, in denen die Energie wieder aufgetankt werden kann.
Diese sind jedoch schwer zu finden und sehen für jeden anders aus. Manche Menschen brauchen ein gutes Buch, manche Zeit mit ihrem Partner und wieder andere müssen Sport machen. So oder so leiden viele Introvertierte an Reizüberflutung, die selbstverständlich ein enormer Stressfaktor ist.
Ablehnung
Wie bereits im vorherigen Kapitel angesprochen, leiden Introvertierte unter Ablehnung. Sprüche wie „Das ist doch nicht normal“ oder „Ach du bist nur schüchtern“ bleiben in unseren Köpfen hängen und verstärken den Eindruck, mit uns würde etwas nicht stimmen.
Geschieht das wiederholt und vor allem im direkten Umfeld – in der Familie, der Beziehung oder auf Arbeit –, dann ist Stress vorprogrammiert, da wir uns im Kampf mit uns selbst und unserer Umwelt befinden.
Unnatürlicher Alltag
Der Kapitalismus behauptet zwar das Gegenteil, doch der Mensch ist in Wahrheit nicht für 8 Stunden Arbeit am Tag gemacht worden. Die berühmte 40-Stunden-Woche, die in in der Realität durch Pausen, Anfahrt und Überstunden ja ohnehin kaum existent ist, hinterlässt ihre Spuren.
Viele Jahrtausende haben die Menschen unterschiedlichste Tätigkeiten ausgeübt, für das Überleben gearbeitet und auf ihre Körper gehört, wenn etwas nicht stimmte. In der modernen Gesellschaft wird für Lohn gearbeitet, oft ohne ein klares physisches oder direkt erkennbares Ziel, und es wird alles getan, um die Leistungsfähigkeit unserer Körper zu überziehen.
Ja, das hat die Menschheit vorangebracht, keine Frage. Doch wenn es darum geht, warum wir gestresster sind als je zuvor, dann sollten wir schon darauf achten, wie unser Alltag gestaltet wird. Denn selbst nach der Arbeit muss noch Sport getrieben, der Haushalt gemacht, gedatet und was sonst noch bewältigt werden. Das stresst nicht nur Introvertierte.
Wer mehr darüber erfahren möchte, sollte Yuval Noah Harari heranziehen. Sein Buch „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ ist nicht grundlos zum Bestseller geworden.
9 Tipps für Introvertierte gegen Stress
- Nicht auf „Unwissende“ hören
- Ernährung verbessern
- Schlaf Priorität zuweisen
- Bewegung in den Alltag integrieren
- Über Introversion informieren
- Über Introversion sprechen
- Lebensstil überdenken
- Professionelle Hilfe holen
- Lachen
Da diese neun Tipps da noch etwas lustlos rumstehen, sollen sie nun in wenigen Sätzen erläutert werden. Dass extrovertierte Verhaltensweisen belohnt werden, heißt nicht, dass sie grundsätzlich besser sind. Lass Dir also nicht von der Gesellschaft einreden, es wäre ein Problem, wenn Du introvertiert bist.
Ernährung verbessern, besser schlafen und mehr bewegen: Das sind natürlich Standardtipps, die jedem mit erhöhtem Stress oder mit depressiven Phasen nahegelegt werden. Das hat seine Gründe, wir unterschätzen nämlich häufig, wie sehr unsere körperliche Beschaffenheit unsere Psyche beeinflusst – fast so, als wäre unsere Psyche etwas, das im Gehirn entsteht, welches wiederum ein Organ und somit Teil des Körpers ist…
Diesen Beitrag zu lesen, ist schon mal ein guter Anfang. Denn Introversion zu verstehen, ist der erste Schritt, um sich vor negativen Folgen zu bewahren. Dann wird schnell klar: Wir sind nicht verrückt, wir können alles werden und tun, was wir wollen. Danach hilft es, mit den Liebsten darüber zu sprechen. Wer sein Ruhebedürfnis erklären kann, hat höhere Chance, akzeptiert und verstanden zu werden.
Wenn Du bisher nach den „extrovertierten Regeln“ gelebt hast, solltest Du zumindest darüber nachdenken, ob Du nicht auch größere Veränderungen in Deinem Leben vornehmen solltest. Hast Du in Deinem Job so viel mit Menschen zu tun, dass Du am Ende des Tages völlig kaputt bist und keine Energie mehr für andere Dinge hast? Vielleicht brauchst Du einen anderen Job.
Stresst Dich der Lärm und der Dreck der Stadt? Vielleicht lebst Du auf dem Dorf besser und kannst Dich dort eher entspannen. Akzeptiert Dein Partner nicht, dass Du auch mal alleine sein möchtest? Vielleicht ist er/sie nicht der/die Richtige.
Alle guten Dinge sind drei: Wenn Du völlig überfordert bist, Angst hast oder nicht weiterweißt, dann solltest Du nicht nur Blogbeiträge lesen, Du solltest Dir professionelle Hilfe holen. Zum Arzt und/oder Psychologen zu gehen, ist nichts Schlimmes, ganz im Gegenteil.
Last but not least solltest Du darüber lachen können, dass Du anders bist. Introvertierte haben ihren ganz eigenen Humor und wenn Du Dich und Deine Art erst einmal akzeptiert hast, dann kannst Du auch viel häufiger über Dich und andere lachen.
Wieso das gut ist? Lachen hilft gegen Stress.
Hoffentlich konnte dieser Beitrag ein bisschen Aufklärung über Stress und Depression im Zusammenhang mit Introversion leisten. Noch immer kursieren on- und offline Vorurteile darüber, was krankhaft ist und was nicht. In den meisten Fällen ist das ohnehin eine höchst individuelle Frage.
Somit solltest Du Dich weiter informieren und dann entscheiden, ob Du eigentlich recht zufrieden mit Deiner Art und Deinem Leben bist oder ob Du spürst, dass Dir das Leben zu viel wird. Falls Letzteres der Fall ist, wird es nicht – wie manche behaupten – mit ein wenig mehr Offenheit und neuen Freunden zu lösen sein. Unter Umständen ist auch Distanz zu toxischen Menschen die wahre Lösung.
Ich empfehle Dir auf jeden Fall, Dich mit anderen Introvertierten auszutauschen. Die wichtigsten Ressourcen findest Du hier: Foren, Gruppen und Austausch für Introvertierte.