Einsam unter Menschen: Was kann ich tun?

Die Anzahl der Menschen um uns herum, bestimmt nicht, ob wir einsam sind. Ein Raum voller Leute kann der einsamste Ort der Welt sein. Wie kommt das?

Die kurze Antwort: Einsamkeit entsteht aufgrund mangelnder Verbundenheit mit der Umwelt. Ein Ort, eine Gruppe, eine Person. Zwischen diesen Dingen und uns selbst ist eine Kluft, die uns kein Gefühl von Sicherheit oder Zugehörigkeit gibt.

Die lange Antwort? Wir verwechseln alleine mit einsam, jagen den falschen Dingen nach und unterschätzen die Folgen dauerhafter unterschwelliger Unzufriedenheit. Hier also die lange Erklärung.

Der große Unterschied zwischen allein sein und einsam sein

Allein beschreibt die Abwesenheit von Personen, einsam die Abwesenheit von Verbundenheit. Daraus ergeben sich zwei Konsequenzen, die den meisten Menschen nicht bewusst sind:

  1. Ein Mensch, der alleine ist, muss nicht einsam sein.
  2. Ein Mensch, der umgeben von Personen ist, kann durchaus einsam sein.

Besonders Introvertierte werden den ersten Punkt verstehen. Da wir durch soziale Interaktionen Energie verlieren, nutzen wir die Zeit alleine, um wieder aufzutanken. Wir lernen, häufig unbewusst, dass uns Ruhe guttut.

Allerdings können auch Ambivertierte* oder Extrovertierte ohne Menschen zufrieden und glücklich (und somit nicht einsam) sein. Verbundenheit zur Umwelt kann in vielen Formen auftreten. Bücher, Filme, Musik, Tiere, Natur oder ein Hobby geben uns einen Antrieb, Freude oder die Gewissheit, dass unser Glück nicht von anderen Menschen abhängig sein muss.

*Ambiversion erklärt

Auf der anderen Seite können wir uns mit Freunden, Familie oder Fremden umgeben und trotzdem unzufrieden sein. Wenn wir eine Veranstaltung besuchen, obwohl wir uns müde fühlen. Wenn wir nur dort sind, weil es von uns erwartet wird. Wenn die Menschen über das Wetter und ihre Jobs sprechen, aber niemand einen originellen Gedanken äußert.

Soziale Kontakte ohne soziale Verbundenheit sind anstrengend und gefährlich. Denn wer nicht weiß, dass er umgeben von Menschen leidet, der weiß auch nicht, wie er diesen Zustand überwinden kann.

einsam oder allein

Einsamkeit macht krank

Einer der beliebtesten Sprüche zum Thema Einsamkeit ist folgender: Der Mensch ist ein soziales Wesen. Das stimmt natürlich. Wir lernen von Geburt an durch unsere Bezugspersonen, was es heißt, ein Mensch zu sein. Kinder, die nicht genug Zuneigung erfahren, haben Defizite und entwickeln häufig psychische Probleme.

Praktisch täglich erscheinen neue Berichte und Studien darüber, ob und wie wir im 21. Jahrhundert einsamer werden. Ist es Social Media? Das Internet allgemein? Sind es 5G-Türme? Oder vielleicht der ständige Wachstumsgedanke und die Messung des menschlichen Wertes an seiner Produktivität? Wer weiß…

Es gibt mehr Menschen auf der Welt, viele von ihnen leben in Städten, das Internet verbindet über Kontinente hinweg und doch ist das Thema Einsamkeit allgegenwärtig. Und das sollte es auch sein, zumindest, wenn es darum geht, dieses Problem zu bekämpfen und die Auswirkungen zu beachten.

Als Einstiegslektüre zu diesem Thema kann ich „Der Welt nicht mehr verbunden“ empfehlen. Es ist nicht die Lösung für all unsere Probleme, doch wer sich für das Thema der modernen Einsamkeit (und Depression) interessiert, sollte auf jeden Fall einen Kauf in Erwägung ziehen. Der Welt nicht mehr verbunden von Johann Hari

Depression und Unglück haben viele Ursachen. Einsamkeit ist eine davon. Und ja, der Mensch ist ein soziales Wesen. Nur sind nicht alle Menschen auf die gleiche Weise sozial. Daher sollten wir Einsamkeit auch nicht als universelles Problem betrachten, dessen Lösung in einem Satz zusammengefasst werden kann.

Introvertierte Menschen brauchen intensive Kontakte, um sich wohl und verbunden zu fühlen. Qualität ist das Stichwort. Je mehr Menschen sie umgeben, umso wertloser wird der Moment. Extrovertierte Menschen wollen hingegen viele Kontakte haben. Nur ein oder zwei sehr gute Freunde zu haben, gibt ihnen nicht das Gefühl, genug gefordert oder sogar geliebt zu werden. Und ein extrovertierter Mensch in der falschen Umgebung (ein Schalker unter BVB Fans, ein Latino unter Rassisten, eine Atheistin unter Christen, …) leidet genauso wie ein Introvertierter.

Weiterführender Link: BBC News über Einsamkeit in allen Altersgruppen und Ursachen dafür. 

einsamkeit ursachen

Einsame Menschen erkennen

Doch wie erkenne ich, ob ich einsam bin oder ein Mensch, der mir nahe steht, einsam ist? Die Symptome der Einsamkeit sind so vielfältig wie ihre Ursachen.

Daher ist der einzige Weg, der wirklich vielversprechend ist, nachzufragen. Manche Menschen sind von Natur aus empathisch genug, um zu spüren, wenn jemand sich offensichtlich nicht wohlfühlt. Doch wie bereits erwähnt, wissen viele selbst nicht, wenn sie unter Menschen einsam sind. Dann wird es komplizierter.

Also hilft nachfragen, wenn sich jemand zurückzieht, launisch ist oder erschöpft wirkt. Wichtig ist dabei, nicht zu forsch an die Sache heranzugehen. Sofort mit Wörtern wie Einsamkeit, Depression oder Asozialität um sich zu werfen, wird nichts bringen – egal ob wir mit jemand anderem sprechen oder mit uns selbst.

Mögliche Fragen, die wir uns selbst stellen können:

  • „Fühle ich mich in meiner aktuellen Umgebung wohl?“
  • „Habe ich negative Gedanken, bevor ich ein soziales Event besuche?“
  • „Muss ich mich verstellen, um in die soziale Gruppe zu passen?“

Wenn wir Einsamkeit bei einem anderen Menschen vermuten:

  • „Fühlst du dich hier eigentlich wohl?“
  • „Bist du nur hier, weil du schon zugesagt hattest?“
  • „Kannst du hier wirklich du selbst sein?“

Viele dieser Fragen und Gedanken können nur zu zweit oder alleine erforscht werden. Dieselbe Umgebung, die uns nicht glücklich macht, wird nicht herhalten können, um diesen Zustand zu ändern. Nur sehr wenige Menschen würden mitten auf einer lauten Party denken: Weißt du was, das ist gar nicht meine Szene und ich fühle mich nicht gut, also gehe ich jetzt nach Hause und bin mit meiner Entscheidung zufrieden. 

Hier sind nun noch einige Verhaltensweisen, die ein Hinweis auf Einsamkeit sein KÖNNEN, aber nicht MÜSSEN. Wie gesagt, manche Menschen sind ruhiger, schüchterner oder introvertiert und verhalten sich anders, ohne dabei problematisch zu sein.

  • Reizbarkeit
  • Überinterpretation von Aussagen
  • Körperliches Zusammensinken (verschränkte Arme, hängende Schultern, gesenkter Kopf)
  • Geistige Abwesenheit
  • Alkohol- oder Drogenkonsum
  • Fehlendes Interesse an Hobbys

Wer solche Symptome bei sich oder anderen entdeckt, wird eine schwierige Konversation oder Selbstreflexion starten müssen, um etwas zu ändern.

Ich fühle mich einsam unter Menschen: Was kann ich tun?

Sagen wir also, wir haben erkannt, dass wir einsam sind, obwohl wir soziale Kontakte haben. Es gibt selbstverständlich auch den Fall, dass wir keine oder zu wenig Freunde haben und uns dadurch alleine und einsam fühlen. Das soll an dieser Stelle jedoch nicht behandelt werden.

Es geht darum, was zu tun ist, wenn die sozialen Kontakte vorhanden, aber nicht zufriedenstellend oder gar toxisch sind. Dafür müssen zunächst zwei Fragen beantwortet werden:

  1. Habe ich mich schon immer so gefühlt?
  2. Wann fühle ich mich gut?

Wer sich in größeren Gruppen schon immer unwohl gefühlt hat und nach viel sozialem Kontakt müde und ausgelaugt ist, der ist höchstwahrscheinlich introvertiert. Dafür gibt es hier mehr als genug Artikel, beispielsweise Introvertiert und selbstbewusst oder Wie Introvertierte Energie tanken und verlieren.

Es kann aber auch sein, dass sich Bedürfnisse ändern. War Mannschaftssport früher spaßig und ist heute eher anstrengend? Dann muss sich etwas verändert haben – die Menschen, die Art des Trainings oder die eigenen Ansprüche.

Auch Freundschaften können mit der Zeit weniger gut werden. Das klingt grausam und wir wollen es uns häufig nicht eingestehen, doch Menschen leben sich auseinander. Der coole Partyfreund aus Teenagerzeiten muss nicht derselbe Freund sein, mit dem man zum Brunch geht oder in den Urlaub fährt.

Es geht also darum, herauszufinden, was sich verändert hat. Danach müssen wir erkennen, was uns wirklich guttut. Brauchen wir intensivere Diskussionen? Mögen wir kurze Treffen oder lange? Wollen wir lieber mit Gleichgesinnten zusammensein oder mit Menschen, die ganz anders sind als wir selbst?

Das ist so individuell, dass in diesem Beitrag keine Antworten gegeben werden können. Allerdings kommt hier noch die deutliche Empfehlung: Schreibe auf, was Du herausfindest. Rückblickend sehen Dinge oft besser, schlechter oder einfach anders aus. Seine Gedanken mehrfach täglich (beispielsweise vor und nach der Arbeit oder einem Familientreffen) aufzuschreiben, ist ein guter Anfang, um langfristig einen klareren Blick zu erhalten.

Last but not least müssen Konsequenzen gezogen werden. Wir sollten uns niemals darauf verlassen, dass schon jemand vorbeikommt und dafür sorgt, dass wir uns weniger einsam fühlen. Manchmal müssen wir unsere Freunde seltener, dafür aber länger treffen. Oder wir müssen ein Hobby aufgeben und dafür eines beginnen, das uns mehr liegt. Auch ein Perspektivwechsel kann helfen.

sich nicht mehr einsam fühlen

Einige Ideen, um das bisherige Verhalten zu durchbrechen

Folgende Veränderungen können ein Anfang sein, um wieder von der Einsamkeit loszukommen, die durch mangelnde Verbundenheit entsteht:

  • Urlaub/Pause machen und jegliche sozialen Kontakte meiden, um zu sehen, welche Du wirklich vermisst
  • Erwartungslos zu einer sozialen Veranstaltung gehen*
  • Aktiv auf Menschen mit ähnlichen Interessen zugehen (online wie offline).
  • Ein neues Hobby finden und somit Gleichgesinnte treffen
  • Biografien lesen, um Menschen „kennenzulernen“
  • Den Kontakt zu Menschen verringern oder gar abbrechen, wenn Du Dich mit ihnen nicht wohl fühlst
  • Ein Tagebuch der sozialen Kontakte führen, in dem Du wertvolle und interessante Gespräche/Treffen dokumentierst

* Partys sind ein gutes Beispiel dafür. Wer nicht gerne tanzt, der fragt sich, was er oder sie auf einer Party soll. Doch auch dort gibt es die Möglichkeit, sich zu unterhalten, Dart zu spielen oder die Musik einfach nur zu genießen. Es sind immer wieder die gesellschaftlichen und persönlichen Erwartungen, die uns das Gefühl geben, etwas würde nicht stimmen.


Nun noch zum Abschluss die Frage, ob Du Dich manchmal umgeben von Menschen einsam fühlst: Wann passiert Dir das und wo? Hast Du Tipps für andere Leser?

8 Kommentare

  1. Das trifft alles größtenteils zu,auch auf mich.Heute an meinem Geburtstag fühle ich mich traurig und einsam,trotz lieber Gäste.Bin zur Zeit in einen tiefen seelischen Loch,situationsbedingt.

    • Hallo Irene, das ist natürlich sehr schade, dass du dich so fühlst. Hast du in deinem Leben jemanden, mit dem du darüber reden kannst? Wenn solche Zustände zu lange andauern, können sie sich leider zu dauerhaften psychischen Problemen entwickeln. Je eher man sich Hilfe holt, desto besser.

      Ganz viel Kraft und liebe Grüße!

    • Hi Martin,

      oftmals hilft es, weniger auf Gruppenveranstaltungen zu setzen. In Einzelgesprächen kommt dieses „Einsam unter Menschen“-Gefühl viel seltener vor.

      Liebe Grüße
      Jennifer

  2. Der zentrale Satz in den obigen Ausführungen ist: „Soziale Kontakte ohne Verbundenheit sind anstrengend und gefährlich.“ Gerade diese Verbundenheit aufzubauen setzt voraus, dass man damit beginnt. Nach unzähligen Anläufen und allesamt mit mehr oder minder großen Enttäuschungen, habe ich mich dazu entschlossen, erst einmal keine weiteren Versuche zu unternehmen Anschluss zu finden. Das tut im Moment sehr weh, aber vielleicht traue ich mich irgendwann einmal wieder.

    • Hi Sven,

      sich eine Auszeit zu gönnen, nachdem es viele negative Erfahrungen gab, ist absolut legitim. Es bringt ja nichts, sich zu sozialen Kontakten zu zwingen. Im Zweifel macht es das nur schlimmer. Ich wünsche dir bei deinem nächsten Anlauf – nach der Auszeit – natürlich viel Erfolg.

      Liebe Grüße
      Jennifer

  3. Wenn ich mich nicht verbunden fühle in einer Gruppe, ist es nicht automatisch so, dass ich nichts sage. Manchmal passiert es mir besonders dann, das ich von mir rede…Aber nach so einem Treffen ohne Verbundenheit fühle ich mich leer und wenn ich dann alleine bin – einsam.
    Und nicht selten ärgere ich mich über mich selbst… Wieso hab ich eigentlich dies oder jenes erzählt?
    Das waren nicht die passenden Menschen für meine Worte…

    Habe ich hingegen ein Treffen mit guten Gesprächen – und spüre ich Verbindung fühle ich mich beseelt und bin danach sehr gerne mit mir alleine …

    • Hi Anne, das ist eine super Ergänzung zum Artikel. Und ein nachvollziehbares Gefühl – auch ich denke nach Treffen manchmal, dass ich lieber weniger geredet hätte, weil ich offensichtlich verzweifelt versucht habe, Verbindungen aufzubauen, wo es keine gab oder geben konnte. Der Satz „Das waren nicht die passenden Menschen für meine Worte“ werde ich mir merken, der ist verdammt treffend. Ich wünsche dir mehr gute Gespräche und somit mehr Verbundenheit 🙂

      Liebe Grüße

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