Ruhiges Verhalten wird oft falsch interpretiert. Wenn jemand wenig sagt, dann scheint er wohl keine Meinung zu haben. Oder keine Ahnung. Vielleicht ist dieser Mensch einfach nicht besonders interessiert – oder interessant.
Introvertierte und schüchterne Menschen kennen diese Vorurteile. Sie werden unterschätzt, als arrogant wahrgenommen oder ganz einfach übersehen. Manch einer nimmt diesen Zustand einfach an. Doch natürlich bleibt das nicht ohne Folgen. Ruhige Menschen haben oft weniger Chancen im Leben.
Die Redewendung „Stille Wasser sind tief“ wird gerne als Gegenmittel gegen Vorurteile genutzt. Denn hinter einer ruhigen Fassade wartet oft ein sehr interessanter Mensch beziehungsweise eine faszinierende Psychologie. Wer seine Gedanken und Gefühle nicht herausschreit, ist nur einfach schwerer zu lesen.
Was ist also dran am Sprichwort? Sind stille Menschen wirklich immer total tolle Persönlichkeiten, die viel zu bieten haben?
Was ist gemeint, wenn jemand sagt: Stille Wasser sind tief?
Grundsätzlich meint man mit stille Wasser sind tief (oder auch: Stille Wasser gründen tief) eigentlich nur, dass mehr hinter einer Person steckt, als man zunächst denkt oder sieht. Doch der Kontext spielt eine große Rolle. Die Aussage kann nämlich komplett neutral, positiv oder negativ gemeint sein.
Allgemeine Bedeutung
Ganz neutral verwenden Menschen die Redewendung stille Wasser sind tief im Normalfall, wenn sie von jemandem etwas Überraschendes erfahren, der sich allgemein sehr ruhig gibt. Ein Freund berichtet von einer geheimen Leidenschaft, ein fremder brilliert mit Fachwissen oder ein Partner zeigt ungeahnte Interessen – und zack steht dieses praktische Sprichwort zur Verfügung.
Positive Bedeutung
Sehr häufig wird die Redewendung in einem positiven Kontext genutzt. Wie bereits erwähnt wurde, werden ruhige Menschen immer wieder mal unterschätzt. Somit nutzen Menschen „Stille Wasser sind tief“ gerne, um jemanden zu beschreiben, den sie interessant finden. Oder aber jemand hat viel Erfahrung mit ruhigen Menschen und geht deshalb generell davon aus, dass stille Personen immer viel zurückhalten und den Aufwand des Wartens oder Nachforschens wert sind.
Negative Bedeutung
Ruhige Menschen gelten als gefährlich. Nicht für jeden und nicht immer, doch es gibt schon das Vorurteil, dass stille Menschen irgendetwas Unheimliches an sich haben. Stille Wasser sind tief, kann also auch bedeuten, dass man jemandem nicht vertraut, weil er nichts von sich preisgibt. Leseempfehlung: Sind ruhige Menschen gefährlich?
Der Zusammenhang zwischen Stille und Intelligenz
Ein Grund dafür, dass stillen Menschen Tiefgang nachgesagt wird, kann Intelligenz sein. Ruhige Menschen verbringen schließlich weniger Zeit mit Reden, also denken sie bestimmt viel nach? Das kann sein, muss es aber nicht.
Die Savannenglückstheorie zeigt beispielsweise, dass intelligente Menschen weniger Sozialkontakte haben. Menschen mit einem IQ über 160 sind häufig introvertiert. Somit kommt die Idee des klugen Einzelgängers nicht aus dem Nichts.
Aber Statistiken und Studien können auch verzerren. Ruhig zu sein, macht niemanden intelligent oder kreativ. Es ist einfach nur so, dass kreative Menschen häufiger Zeit für sich brauchen, um ihre Kreativität voll auszuleben.
Hinzu kommt, dass Intelligenz und Kreativität einfach überraschender und vielleicht auch größer wirken, wenn sie jemand nicht „raushängen“ lässt. Introvertierte und schüchterne Menschen zeigen meist weniger von sich – scheinen ihre besonderen Eigenschaften durch, ist das für ihr soziales Umfeld beeindruckend. Das steht im Kontrast zu Menschen, die sich gerne in den Mittelpunkt drängen und ständig zeigen, wer sie sind und was sie alles können.
Stille allein macht noch keinen Menschen interessant oder tiefgründig
Es kann sinnvoll sein, bei ruhigen Menschen erst einmal mehr zu erwarten. Leider glauben sehr laute und soziale Menschen oft, dass mit ihren stillen Zeitgenossen etwas falsch wäre. Sie wären dumm, einsam oder sozial komplett inkompetent. Die ruhige Art führen sie somit auf eine Schwäche des Charakters zurück.
Das kann man so machen – aber dann verpasst man auch viel. Viele ruhige Menschen sind den Aufwand wert, den es braucht, um sie zu mehr Offenheit zu bewegen. Die Welt braucht extrovertierte und introvertierte Persönlichkeiten und Eigenschaften. Allen ruhigeren Personen erst einmal einen Stempel zu verpassen, ist einfach nicht sinnvoll.
Aber: Manch ein stiller Mensch ist langweilig, nicht klug und hat nicht mehr zu bieten, als man erwartet. Hinzu kommt ein nicht unwichtiger Anteil an Personen, die negative Eigenschaften hinter Stille verstecken. Nur weil ruhige Menschen nicht automatisch arrogant oder gefährlich sind, heißt das nicht, dass es solche Typen nicht gäbe.
Stille Menschen können oberflächlich, toxisch oder uninteressant sein. Nur das immer zu erwarten, ist halt Quatsch.
Sollte man stille Wasser sind tief als Sprichwort nutzen?
Du kannst ganz allein entscheiden, ob du diese Redewendung gut findest oder nicht. Ich würde allerdings empfehlen, dass sie nicht als generelle Annahme genutzt wird. Genauso, wie du nicht von jeder stillen Person Arroganz oder Gehemmtheit erwarten solltest, solltest du nicht immer die interessantesten Menschen hinter einer stillen Fassade vermuten.
Stille Wasser sind tief, ist eine gute Beschreibung oder Reaktion. Aber als Weisheit sollte die Aussage nicht gelten.
Ursprung der Redewendung
Woher kommt die Idee, dass stille Wasser tief sind? Der Ursprung der Redewendung wird gerne bei Friedrich Ludwig Schröder (1744-1816) vermutet. Dieser schuf ein Lustspiel mit demselben Titel. Dieses damit zur Ursprungsquelle zu ernennen, ist aber zu kurz gedacht.
Altissima quaeque flumina minimo sono labi: Ein lateinisches Sprichwort, das angeblich bereits zu Zeiten von Alexander des Großen verwendet wurde. Es lässt sich in mit „Die tiefsten Flüsse gleiten mit dem kleinsten Geräusch dahin“ übersetzen. Die Idee ist eine ähnliche: Von außen lässt sich kaum erkennen, wie viel unter der Oberfläche geschieht.
Im Englischen wird gerne „Still waters run deep“ genutzt. Auch dieses Sprichwort ist schon sehr alt. Die älteste bekannte Aufzeichnung lässt sich um das Jahr 1400 finden. Der Italiener Laurentius Abstemius baute das Sprichwort 1490 durch eine Fabel aus.
In Shakespeares Heinrich IV. (1592) wird eine ähnliche Formulierung mit negativer Konnotation genutzt:
Wo tief der Bach ist, läuft das Wasser glatt,
Und sein so schlichter Schein herbergt Verrat;
Der Fuchs bellt nicht, wann er das Lamm will stehlen.
Nein, nein, mein König! Gloster ist ein Mann,
Noch unergründet und voll tiefen Trugs.
Allein aus diesen verschiedenen Quellen zeigt sich wohl, dass Menschen einfach schon lange erkannt haben, dass man mit Wasser gute Sprichwörter kreieren kann. Wahrscheinlich lassen sich in vielen anderen Sprachen ähnliche Redewendungen finden.
Stille Wasser gründen tief und weitere Sprüche für ruhige Menschen
Es gibt einige Sprüche, die ähnlich sind wie stille Wasser sind tief. Von kleinen Abweichungen über Erweiterungen des Spruchs bis hin zu angelehnten Formulierungen ist alles dabei.
Stille Wasser gründen tief
Dies ist einfach nur eine leicht abgewandelte Form der Redewendung. Obwohl sich auch vermuten lässt, dass sie eigentlich die ursprüngliche Formulierung darstellt. Wenn man auf die Ursprünge dieser Weisheit schaut, dann ist das tiefe Gründen wahrscheinlich lange die genutzte Formulierung gewesen. Stille Wasser sind tief, wird aber im Alltag auf jeden Fall häufiger genutzt.
Stille Wasser sind tief und dreckig
Die Erweiterung der Redewendung um das Wort „dreckig“ oder auch „schmutzig“ hat sich für viele Menschen wohl einfach so ergeben. Was genau damit gemeint ist, hängt vom Kontext ab. Zum einen kann man darunter einfach verstehen, dass jemand nicht nur still ist, sondern auch schwer zu durchschauen. Somit wartet unter der Oberfläche (auch: hinter der Fassade) nicht sofort mehr Interessantes. Stattdessen bleibt eine Person einfach undurchschaubar.
Stille Wasser sind tief und schmutzig hört man auch mal im Zusammenhang mit sexuellen oder romantischen Eigenheiten. Stille Frauen und Männer seien demnach insgeheim besonders versaut oder heimlich wild. Auch hier gilt mal wieder: Kann sein, muss aber nicht.
Stille Menschen haben die lautesten Gedanken
Hinter dem Spruch verbirgt sich die Idee, dass sich tiefgründige und wertvolle Dinge in stillen Köpfen entwickeln und nicht dort, wo viel geredet wird. Das ergibt auch Sinn, wenn wir bedenken, dass Smalltalk ein nicht wegzudenkender Teil unserer Gesellschaft geworden ist. Dieser ist (in der Wahrnehmung vieler ruhiger Menschen) nahezu wertlos und verschwendet Zeit.
Wenn diese Zeit dafür genutzt werden würde, ausführliche und gehaltvolle Ideen zu entwickeln, wäre die Welt vielleicht ein besserer Ort. Außerdem suggeriert der Spruch, dass es diese Gedanken sind, die wir eigentlich hören müssten. Denn wer viel nachdenkt, hat mehr (= Wertvolleres) zu sagen, als jemand, der wenig nachdenkt. In den Köpfen derer, die viel nachdenken, ist einfach mehr los.
Weiterlesen: Haben stille Menschen wirklich lautere Gedanken?
Reden ist Silber, Schweigen ist Gold
Auch die Redewendung Reden ist Silber, Schweigen ist Gold, hört man häufiger im Zusammenhang mit stillen Menschen. Genauso wie bei stille Wasser sind tief, ist der Ursprung nicht endgültig geklärt. Was die Bedeutung angeht, muss nicht lange gerätselt werden: Manchmal ist es besser, nichts zu sagen, als nur zu reden, um nicht zu schweigen. Diese Weisheit soll Menschen dazu bewegen, das Schweigen nicht als Schwäche zu sehen, sondern als „heimliche“ Stärke. Zu wissen, wann man lieber nichts sagen sollte, ist eine Kunst.
Fazit: Dreckig, still, schmutzig und tiefgründig?
Wie bei den meisten Redewendungen, steckt auch bei stille Wasser sind tief viel Wahrheit drin. Aber nur, weil ein Sprichwort oft richtig gut passt, sollte es noch lange kein Mantra sein oder gar als Fakt angesehen werden. Ja, stille Menschen verbergen oft ein reiches Innenleben, tolle Ideen und interessante Persönlichkeiten – aber nicht jeder Mensch, der schweigt, tut das, weil er etwas zurückhält.