Es hält sich das hartnäckige Gerücht, introvertierte Menschen wären langweilig. Wer das glaubt, weiß nur nicht, wie er seinen Intro benutzen soll. Nicht jeder darf unsere spannenden Seiten kennenlernen.
Erinnert euch mal zurück an eure Kindheit. Manche Kinder brauchten permanent Beschäftigung, während andere aus einem Stock ein Schwert machten und in die wildesten Welten entfliehen konnten.
Tja, die Introvertierten sind in diesem Szenario Stöcker. Denn nur, wer etwas mit uns anzufangen weiß, kann uns auch zu schätzen wissen. Vielleicht nicht die beste Metapher.
Ein neuer Versuch: Introvertierte sind wie ein gutes Buch. Du weißt beim ersten Mal lesen vielleicht nicht genau, was du fühlst und denkst. Doch beim zweiten Mal ergibt alles mehr Sinn und all die kleinen Details fügen sich zusammen. Kann sein, dass du mit einem Groschenroman schneller zum Ende kommst und kurz Spaß hast, aber erinnern wirst du dich daran nicht*.
*Schnell und dreckig vs. Langsam und weltbewegend,
reden wir noch über Bücher?
Introvertiert sein = langweilig sein? Ursachenforschung
Es ist nicht allzu schwer, herauszufinden, warum Introvertierte gemeinhin als langweilig oder zumindest weniger aufregend gelten. Denn ein offen introvertierter Mensch bringt wahrscheinlich folgende Eigenschaften mit:
- Seltener unterwegs als extrovertierte Freunde
- Ist nicht gerne Mittelpunkt des Geschehens
- Denkt erst nach, handelt dann
- Zieht sich gerne in Vieraugengespräche zurück
- Weiß wenig über Beziehungsdramen und viel über die letzte Folge der Lieblingsserie
Spannung, Aufregung und ein „erstrebenswerter Lifestyle“ sehen allerdings anders aus. Zu einem lebenswerten Leben gehören (angeblich) dazu:
- Partys
- Alkohol
- Spontanität
- Mehr/Neu ist immer besser
- Der Wert einer Erfahrung liegt darin, wie viele Leute dich dafür bewundern
- Es ist besser um Vergebung zu bitten, als um Erlaubnis zu fragen
Das sind natürlich lächerliche Verallgemeinerungen und wahrscheinlich denkst du dir bereits, dass du total anders bist. Aber mit dem Lebensstil der Aufregung und der gekappten Bremsleitungen kommen auch Probleme und möglicherweise viel Reue.
Lesen, Zocken, tiefgründige Gespräche führen, in der Natur unterwegs oder einfach nur mit den eigenen Gedanken alleine zu sein, produziert selten oder nie eine tolle Geschichte, die man teilen kann – ob nun auf Social Media oder mit den Menschen, die beeindruckt werden sollen/wollen.
Dadurch entsteht der Eindruck, es würde nicht viel passieren. Doch wenn sich Intro-, Ambi- und Extrovertierte bei einer Sache einig sind, dann doch wohl, dass wir selber bestimmen, wie sehr wir eine Sache genießen. Und somit auch, wie aufregend sie ist.
Ja, introvertierte sind langweilig
Manche Introvertierten sagen von sich selbst, dass sie langweilig sind. Das kann entweder ein unterschwelliger Selbsthass sein, der ihnen durch die Gesellschaft auferlegt wurde, oder sie sind vollkommen zufrieden damit, nicht mit dem Strom zu schwimmen und ihr eigenes Ding zu machen.
Die Sache mit dem Selbsthass ist natürlich nicht gut. Wenn wir zur Eingangsmetapher zurückkommen, sind das die Stöcker, die vehement widersprechen, wenn ein Kind „swooosh, swooosh“-Geräusche macht.
„Nein, lass das, ich bin nur ein Stock! Spiel lieber mit deinem Smartphone“ – ein Stock mit Komplexen.
Wie so oft, geht es darum, sich nicht einreden zu lassen, was gut oder schlecht ist, sondern es selbst zu bestimmen. Ein gutes Buch kann die aufregendste Sache der Welt sein. Ein langes Gespräch ist schöner als die zehnte Party im Monat. Auf einer grünen Wiese liegen und Wolken beobachten, schlägt Achterbahnfahren.
Mehr dazu: Woher kommt das Gefühl, nicht gut genug zu sein?
Aufregend zu sein, ist nicht die wichtigste Sache der Welt. Interessant sein, ist allerdings schon…interessant. Also was ist eigentlich das Gegenteil von langweilig? Wenn es aufregend ist, ja, dann sind einige Introvertierte langweilig, weil sie keinen Kick brauchen, um ihr Leben zu genießen. Sprechen wir aber von interessant oder anregend, dann, lieber Leser, bitte anschnallen, denn die Introvertierten sind back in town und ready to clown**.
**Es tut mir so leid, ich wurde aufgefordert,
nicht immer so ernste Texte zu schreiben
und jetzt ist es außer Kontrolle.
Wie du einen Introvertierten aus der Reserve lockst
Kennst du das Sprichwort: Nur wer eine Schnecke aus ihrem Schneckenhaus locken kann, weiß, wie man mit Schnecken tanzt? Nein? Gut, habe ich mir auch gerade ausgedacht und wird sich wohl nicht durchsetzen.
Aber es stimmt schon, dass es schwierig ist, an die „interessante“ Seite eines Introvertierten zu gelangen. Denn wir brauchen meist länger, um mit dir warm zu werden, wollen nicht alles preisgeben und trauen uns selten, unsere Leidenschaften voll auszuleben und dich somit in unsere bunte Welt mitzunehmen.
Hier sind drei einfache Wege, um dafür zu sorgen, dass dir ein Intro vertraut und somit zeigt, wie er oder sie wirklich drauf ist:
- Stelle spezifische Fragen. Nicht „erzähl mal was von dir“, „wie geht’s“ oder „sag doch auch mal was“. Das sind nicht mal echte Fragen. Wie wäre es lieber mit „Wie bist du dazu gekommen?“, „Wie funktioniert das?“ „Zeig mir, wie das geht“.
- Zeit heilt alle Wunden. Moment, falsches Sprichwort. Zeit ist Geld? Nope. Ach ja: Gut Ding will Weile haben. Soll heißen: Hetz uns nicht.
- Introvertiert sein, bedeutet, manchmal überfordert zu sein. Mit vielen Menschen, langen Nächten oder zu vielen Eindrücken. Damit wir uns öffnen, brauchen wir also manchmal eine ruhige Umgebung oder zumindest eine Bezugsperson. Dinge wie Partys oder Gruppenarbeiten (hier klicken für ein GIF, das Gruppenarbeiten beschreibt) rauben uns dann trotzdem noch Energie, doch je wohler wir uns fühlen, umso länger können wir auch Aufregung aller Art vertragen.
- Ich habe gelogen, es sind vier Wege. Huch. Der vierte Weg wäre, deine eigenen Vorstellungen von aufregend und langweilig zu überdenken. Erinnerst du dich noch an die Metapher mit dem Buch? Die bei der ich offensichtlich nicht über Bücher gesprochen habe? Ich persönlich finde die Idee, für den Rest meines Lebens ein geniales Buch behalten zu dürfen irgendwie aufregender als mich immer wieder durch nichtssagende und oberflächliche Bücher arbeiten zu müssen.
Also lass dir vom Intro deiner Wahl zeigen, wie toll ein Tag in der Natur sein kann. Freue dich, wenn dein Intro mit dir über das Lieblingsbrettspiel sprechen möchte. Finde heraus, wie interessant ein Mensch ist, der nicht auf den Lärm und die ständige Gesellschaft angewiesen ist, die scheinbar so lebenswichtig geworden sind.
Denn wenn wir ganz ehrlich sind, ist es doch so: Wenn du nur die scheinbar langweilige Seite eines Introvertierten siehst, hat er sich dir einfach noch nicht geöffnet. Wer weiß, vielleicht bist also du nicht interessant oder aufregend genug? BOOM! Plot Twist!
Introvertierte haben dieselben oder ähnliche Hobbys wie alle anderen auch. Manchmal gehen wir sie nur anders an. Stimmt schon: Unsere guten Seiten zeigen wir nicht jedem und wir schwimmen ungern mit dem Strom. Aber Gott verdammt, wir sind nicht langweilig, weil wir introvertiert sind!
Hallo Jennifer!
ich muss dir nun doch einmal ein sehr großes Kompliment aussprechen! Ich habe deinen Blog erst vor kurzer Zeit gefunden und verschlinge geradezu jeden Artikel, den du bis jetzt geschrieben hast. Es gab bis jetzt noch keinen!, in dem ich mich nicht irgendwie wieder gefunden habe. Dein Blog hilft mir gerade sehr, mich besser zu verstehen und auch irgendwie neu kennenzulernen.
Wie du die Dinge auf den Punkt bringst, einfach nur genial :). Besonders amüsant fand ich deinen Artikel über „wie fange ich einen Intro“. Dabei habe ich sehr schmunzeln müssen :).
Ich hoffe, du erreichst mit deinem Blog noch viele weitere „Gleichgesinnte“ und trägst zum besseren Verständnis zwischen den unterschiedlichsten Typen bei :). Den, es gibt nicht nur Schwarz und Weiß sondern noch soviel dazwischen.
Alles Liebe und mache weiter so!
LG Saskia
PS: ich habe mir das Buch von Susan Cain besorgt ;). Herzlichen Dank für den Anstoß, mir dieses Buch doch zuzulegen! Dies wird definitiv meine neue „Bibel“ 😀 😉
Hallo Saskia,
vielen Dank für die lieben Worte. Für Menschen wie Dich mache ich das hier 🙂
Liebe Grüße
Hallo Jennifer,
ich habe deinen Blog heute entdeckt. Ich habe mir etwas seelisch-moralische Unterstützung gesucht, da ich wieder einmal an die Grenze von Introvertiertheit (ich) an Extrovertiertheit (Kollegen) geraten bin ;-).
Deine Beiträge gefallen mir, auch weil du so schönen Humor mit reinfließen lässt :-), das tut richtig gut.
In dieser „extrovertiert-ist-gut“ ausgerichteten Welt läuft man Gefahr, sich immer wieder aus den Augen zu verlieren. Mit deinen Beiträgen kann man sich wieder sammeln.
Danke dir! Alles Gute weiterhin!
Amanda
Liebe Amanda,
deine Worte tun sehr gut! Feedback wie dieses lässt mir das Herz aufgehen 🙂
Liebe Grüße (und viel Kraft für den Umgang mit den Kollegen!)