Mit dem aktuellen gesellschaftlichen Klima vor den Augen fällt es schwer zu glauben, dass es Menschen gibt, die zu viel denken. Gefühlt ist es eher so, dass komplexe Gedankengänge und nuancierte Diskussionen den Planeten Erde als unbrauchbar eingestuft haben und somit seltener und seltener vorbeischauen.
Das ist natürlich in Wahrheit nicht so. Es gibt unglaublich viele Menschen, deren Gehirne praktisch niemals stillstehen. Immer und immer wieder rattert es. Teilweise so stark oder dauerhaft, dass die Folgen dramatisch sind. Ja, nachdenken ist wichtig. Aber wie mit allen Dingen ist es die Dosis, die das Gift macht.
Daher soll nun darauf geschaut werden, woran du nachdenkliche Menschen erkennen kannst. Gleichzeitig soll es darum gehen, ab wann das Gedankenkarussel überdreht und somit Unglück ins Leben einzieht. Spoiler-Alarm: Nachdenklich zu sein, ist grundsätzlich eine gute Sache.
Psychologie und Merkmale nachdenklicher Menschen
Es gibt zwei Typen von nachdenklichen Menschen: die sichtbaren Denker und die heimlichen Denker. Erstere kennt wohl jeder. Sie geben ungern spontane Antworten, machen sich schneller Sorgen und scheinen häufiger mal in ihren eigenen Gedanken zu verschwinden und die Welt an sich vorbeiziehen zu lassen.
Die heimlichen Vieldenker sind diejenigen, die scheinbar ganz normal ihren Alltag gestalten – während sie insgeheim innerlich ständig auf Hochtouren laufen. Oder aber sie sind wirklich unter Menschen nicht allzu in ihre Gedanken vertieft, aber sobald sie allein sind, rasen die Ideen, Wünsche, Fragen, Sorgen und Hoffnungen durch die Synapsen.
Das wichtigste Merkmal, das wir festhalten müssen, ist logischerweise häufigeres und intensiveres Nachdenken. Von einer nachdenklichen Persönlichkeit zu sprechen, funktioniert also nur, wenn jemand nicht mehr der Norm entspricht. Wo genau diese liegt (beziehungsweise wie sie aussieht), darüber können wir wohl streiten.
Probleme bei der psychologischen Beschreibung entstehen außerdem dadurch, dass wir bestimmen müssten, ob das Nachdenken einen Einfluss auf den Alltag hat. Und dieser kann positiv wie negativ sein. Jemand, der so viel nachdenkt, dass er zu wenig handelt, sich Dinge einredet oder gar depressiv wird, der ist logischerweise überdurchschnittlich nachdenklich. Aber auch jemand, der Situationen aus allen Richtungen betrachtet, ein reiches Innenleben hat oder gerne theoretisch arbeitet, kann in diese Kategorie fallen.
Macht Nachdenklichkeit auch intelligent?
Nachdenkliche Menschen haben durchaus das Potential, intelligenter zu sein. Denn Nachdenken führt zu neuen Ideen, mehr Verständnis der Umwelt und häufig auch zu mehr Neugier. Die schlechte Nachricht ist: Nicht alle Gedanken sind wertvoll.
Grüblerische oder verträumte Menschen sind nicht generell als intelligenter zu sehen. Zumal Intelligenz auf verschiedenen Ebenen stattfindet. So kann eine nachdenkliche, introvertierte Person möglicherweise theoretisch viel auf dem Kasten haben, aber praktisch ziemlich neben der Spur laufen. Emotionale Intelligenz ist etwas, was vielen Menschen vergönnt ist, die in der Schule ziemlich schlecht waren.
Also nein, Nachdenklichkeit macht nicht automatisch intelligenter. Allerdings würde ich behaupten, dass die völlige Abwesenheit dieser Eigenschaft ein guter Hinweis darauf ist, dass jemand auf dem falschen Weg ist. Denn wer sich nie in die eigenen Gedanken vertieft, der wird auch Defizite im Umgang mit sich selbst und der Umwelt entwickeln.
Sind nachdenkliche Menschen unglücklich?
Grundsätzlich sind nachdenkliche Persönlichkeiten nicht weniger glücklich als ihre Mitmenschen. Dieser Trugschluss ist eng verbunden mit der Annahme, dass introvertierte Menschen unglücklich wären – ebenfalls inkorrekt.
Da unsere Gesellschaft Kontaktfreudigkeit und reges Sozialverhalten als wünschenswert definiert, ist das Abweichen von dieser Vorstellung für viele ein Warnsignal. Somit wird angenommen, dass ruhigeren Menschen etwas fehlt. Mehr dazu: Ruhige Menschen haben es schwerer.
Allerdings ist es wirklich so, dass Nachdenklichkeit zum Problem werden kann. Denn es kann geradezu süchtig machen, sich in die eigenen Gedanken zurückzuziehen und die Welt da draußen auf Dauer abzublocken. Dann stellt sich die Huhn-oder-Ei-Frage: Wird ein nachdenklicher Mensch irgendwann depressiv oder neigen depressive Menschen zu Nachdenklichkeit?
Wie viel nachdenken ist zu viel?
Wenn du negative Auswirkungen durch deine innere Ausrichtung verspürst, könnte es sein, dass deine nachdenkliche Art dir schadet. Damit ist an dieser Stelle nicht gemeint, dass deine Umwelt dir negatives Feedback gibt. Sag doch auch mal was, du bist immer so still, du bist aber komisch – diese Sätze sind schmerzhaft, aber eben auch eine Fremdbeschreibung.
Mit negativen Auswirkungen ist gemeint, dass du dein Leben nicht mehr so leben kannst, wie du es möchtest. So zerdenkst du vielleicht Entscheidungen so lange, dass du sie am Ende überhaupt nicht triffst.
Hier einige Beispiele für übermäßiges Grübeln:
- Du weißt nicht genau, ob du zu einer Party gehen möchtest. Stundenlang denkst du über die anwesenden Personen, die Anfahrt, dein Outfit, die Musik, die Uhrzeit, die Meinung der anderen und die Folgen für den nächsten Tag nach.
- Jemand macht dir auf der Straße ein Kompliment. Anstatt dich zu bedanken oder ein Gespräch anzufangen, schießen dir 1000 Dinge durch den Kopf. Du weißt nicht, ob die Person es ernst meint, ob du vielleicht was im Gesicht hast, ob ihr euch kennt, was die richtige Reaktion ist.
- Du schaust die Nachrichten und die schlechten Berichte überwältigen dich. Du willst die Umwelt retten, den Krieg beenden, den Armen helfen, die Netflix-Serie vor der Absetzung bewahren, den Aktienmarkt vor dem Crash schützen und die Inflation persönlich nach unten drücken.
Wie viel nachdenken zu viel nachdenken ist, hängt auch stark damit zusammen, ob jemand empathisch ist. Denn nur von Zeit zu Zeit mal ein Problem aus allen Richtungen zu betrachten und das Handeln aufzuschieben, macht noch nicht unglücklich. Das ist vielleicht etwas frustrierend. Doch echtes Unglück entsteht üblicherweise, wenn das, was da im Kopf vor sich geht, auch emotionale Belastung bedeutet.
Den Kopf freikriegen und glücklicher werden (Selbsthilfe)
Zunächst soll es nun darum gehen, wie du selbst etwas ändern kannst. Dazu eine Nachricht vorweg: Wenn es dir sehr schlecht geht, dann kann dir dieser Beitrag nicht dauerhaft helfen. Das ist keine fachliche Beratung – das kann nur jemand, der dich persönlich kennt und eine entsprechende Ausbildung im Bereich der Psychologie hat. Wenn die Ursache deiner Nachdenklichkeit eine tiefe Unzufriedenheit oder gar eine Depression ist, dann sprich mit deinem Hausarzt über eine Überweisung an einen Facharzt.
Was andere über dich denken
Sollte es nicht so drastisch sein, dann gibt es etliche kleine und große Dinge, die du verändern kannst. Sind die Gedanken zum Beispiel immer besonders zahlreich und rasant, wenn es um andere Menschen und ihre Meinung von dir geht? Dann gibst du der Meinung anderer Personen zu viel Raum in deinem Leben. Die Wahrheit ist, dass sich niemand dafür interessiert, ob du ein falsches Wort in einer Präsentation gesagt hast, ob dein Make-Up ein wenig verwaschen ist oder ob du an einer Tür gezogen hast, auf der DRÜCKEN steht.
Sei ehrlich: Wie viel Zeit verbringst du damit, über die kleinen Peinlichkeiten anderer Menschen nachzudenken? Meist vergisst du das schon nach wenigen Sekunden. Also warum glauben wir (ja, du und ich), dass es anderen so wichtig ist, wo unsere Fehler liegen?
Wer viel erlebt, muss weniger grübeln
Ein Tipp, der fast schon peinlich einfach ist, ist das Aktivwerden. Gerade in Zeiten, in denen weniger Sozialkontakte bestehen, schleicht sich das viele Nachdenken wieder ein. Du musst jetzt nicht zum sozialen Schmetterling werden, mit jedem Smalltalk machen oder zwanzig Hobbys beginnen.
Aber schon ein paar Stunden in der Woche, in denen du komplett von deinen Gedanken abgelenkt bist, können helfen. Sport, Partys, Lesen, ein Kinobesuch, ein Konzert – es gibt so viele Möglichkeiten, um die Welt lauter zu drehen, damit die Gedanken leiser werden.
Gedanken einfangen
Mein Lieblingstipp für zu viel Nachdenklichkeit ist: Etwas mit der Grübelei machen. Auch das geht mit aktivem Handeln einher. Denn sonst bleiben die Gedanken im eigenen Kopf hängen – das ist auf Dauer nicht produktiv.
Möglichkeiten, die nachdenkliche Art zu nutzen:
- Tagebuch schreiben: Schon das Aufschreiben bringt ein wenig Ordnung in den Kopf – und du kannst jederzeit zurückkehren und schauen, ob dir gewisse Gedanken häufiger kommen und ob das gut oder schlecht ist.
- Drei Sekunden Regel: Wenn es um kleine Entscheidungen geht, zähle bis drei und mach einfach. Sollst du jetzt den Müll runterbringen? 3,2,1 los. Solltest du dich bei einem Freund melden? 3,2,1, los.
- Schwierige Entscheidungen vertagen: Das Gegenteil von schnellen Lösungen sind langatmige Entscheidungen. Umzug, Jobwechsel, Beziehungsende, finanzielle Investitionen – diese Dinge können fast immer warten. Sei ehrlich mit dir, wenn die Gedanken schon seit Stunden laufen, wirst du heute eh keine Entscheidung mehr treffen – es bringt also nichts, dir Druck zu machen.
- Eine Diskussion starten: Wenn du viel nachdenkst, stehen die Chancen gut, dass du auch viele Ideen und Meinungen hast. Lass sie raus! Ob online oder mit Freunden: Unterhaltungen sind ein toller Weg, um aktiv zu werden.
- Gleichgesinnte finden: Ist deine nachdenkende Art vor allem auf ein spezielles Thema bezogen, kannst du spezifisch nach Menschen suchen, die sich ähnlich stark dafür interessieren. Umweltschutz, Filmliebe, Gesellschaftskritik, Philosophie, Karriere – für all diese Dinge gibt es reale oder virtuelle Gruppen.
Jemanden aus seinen Gedanken herausholen (Tipps)
Aber was ist, wenn es nicht um dich geht, sondern um eine andere Person? Unabhängig davon, ob du selbst nachdenklich bist oder nicht, solltest du beim Helfen vorsichtig sein. Denn es ist nicht leicht zu erkennen, ob jemand sehr nachdenklich, krank oder einfach nur ruhiger ist.
Da passiert es dem einen oder anderen schon mal, dass er sich einer anderen Person aufdrängt. Schritt eins sollte daher sein, vorsichtig nachzuhaken. Entscheide nicht einfach, dass jemand von dir gerettet werden muss.
Ich persönlich habe Phasen, in denen ich es mir erlaube, schlechter drauf zu sein und mich zurückzuziehen. Jeder, der in dem Moment Druck macht, macht es mir schwerer, mit der Situation umzugehen. Was ich dann schätze, ist, wenn lediglich ein Angebot im Raum steht.
Umgang mit nachdenklichen Menschen:
- „Bist du nur so etwas ruhiger oder fehlt dir etwas?“
- „Wollen wir was in der Gruppe unternehmen oder lieber zu zweit?“
- „Ruf mich an, wenn du reden möchtest.“
- „Möchtest du mir erzählen, was dich so beschäftigt?“
- „Brauchst du jemanden, der dich ablenkt, jemanden, der dir zuhört, oder jemanden, der dich in Ruhe lässt?“
Sollte die Person deine Hilfe annehmen wollen, dann weißt du wahrscheinlich selbst am besten, wie du mit ihr umgehen musst. Lieblingsspeisen, Filmabende, hitzige Diskussionen, Kurztrips, Sport – die Hilfe für Nachdenklichkeit ist individuell zu bestimmen.
Berufe für nachdenkliche Menschen
Solltest du deine Nachdenklichkeit zu schätzen wissen, dann kannst du dir überlegen, ob du sie nicht zu einer Stärke machen kannst. Komplexe und tiefgründige Gedankengänge sind in vielen Berufen ein Vorteil – und in anderen völlig fehl am Platz.
Als nachdenklicher Mensch solltest du nicht völlig isoliert arbeiten. Dann fehlen dir die sozialen Reize. Gleichzeitig sind laute und hektische Umgebungen nichts für dich, da deine Gedankengänge ständig unterbrochen werden.
Berufe für nachdenkliche Menschen:
- Lehrer
- Psychologe/Therapeut
- Informatiker
- Werbetexter
- Eventplaner
- Unternehmensberater
Diese und weitere Berufe bieten dir die Möglichkeit, die Zeit in deinem Kopf sinnvoll zu nutzen. Es gibt ausreichend Ruhephasen, während gleichzeitig konkrete Handlungen notwendig sind, um den Beruf erfolgreich auszuüben.
Fazit: Gar nicht nachdenken, ist auch keine Lösung
Wenn du von Natur aus ein nachdenklicher Mensch bist, hast du dir garantiert schon mal gewünscht, dass du weniger nachdenken müsstest. Denn es wirkt schon so, als würden Menschen leichter durch das Leben gehen, wenn sie einfach machen und dann sehen, was passiert.
Aber willst du wirklich so sein? Wahrscheinlich nicht. Sich mit allen Mitteln gegen die eigenen Gedanken zu wehren, wird auf Dauer nicht glücklich machen. Also überlege dir, was du mit deiner grüblerischen Art anfangen kannst – und setze dir gegebenenfalls Grenzen, um nicht in deiner eigenen Welt zu verschwinden. Aber lass dir nicht einreden, dass die komplexen, kreativen und tiefgründigen Gedanken wertlos wären. Personen, die immer nur machen, sind häufig rücksichtslos und bedenken die Folgen ihres Handelns nicht – von diesen Menschen solltest du vielleicht lieber keine Ratschläge annehmen. Ob unsere Nachdenklichkeit eine Schwäche oder eine Stärke ist, hängt davon ab, was wir mit ihr machen.