10 Gründe warum auch Introvertierte unter Corona leiden

Vor einigen Monaten hieß es, die Introvertierten wären die Sieger der Corona Maßnahmen. Auch bei mir, ich habe sogar einen der ersten Beiträge zu diesem Thema geschrieben (sorry für die Angeberei). Schon damals gab es Gegenstimmen, die natürlich auch berechtigt waren und sind.

Nun muss ich zugeben, dass der Winter – und alles, was er mit sich bringen wird – mir auch Sorgen bereiten. Damit hätte ich ehrlich gesagt noch nicht gerechnet. Ich wusste, ich würde auch nicht ewig unter diesen Regeln leben wollen, doch ein Jährchen wäre doch kein Problem, oder?

Falsch. Die folgenden zehn Punkte sollen erklären, warum ich meine Meinung geändert habe – zumindest in Teilen. Hier für den Kontext der Beitrag aus dem März: Tipps von Introvertierten in Corona-Zeiten

Partys

Auch Introvertierte gehen ganz gerne feiern. Nicht alle, aber eben doch einige. So geht es mir auch. Ich musste nie jedes Wochenende unterwegs sein (obwohl ich auch das getestet habe, nur um sicher zu gehen), aber von Zeit zu Zeit gehörte es einfach dazu.

Spaß hat vor allem das Tanzen und Singen gemacht. Einfach mal ein paar Stunden abschalten und in eine andere Welt eintauchen. Dass das jetzt seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr möglich ist, ist nicht nur schade, langsam macht es mich sogar etwas traurig.

PS: Ich tanze aber weiterhin in der Wohnung, keine Sorge.

Familie

Ich halte Abstand und umarme nicht – auch nicht die Familie und auch nicht nur mal so als Ausnahme. Auch hier gilt (ähnlich wie bei den Partys): Das war zwar sowieso nicht so mein Ding, aber komplett darauf zu verzichten, verändert das Leben doch irgendwie.

introvertiert leiden unter corona

Konzerte und andere Veranstaltungen

Kultur fehlt an allen Ecken und Enden. Die Vorfreude auf ein tolles Konzert, eine Lesung oder eine Messe gibt es aktuell nicht. Ich denke, da wird es vielen Introvertierten ähnlich gehen: Wenn wir uns eine solche Aktivität/Veranstaltung ausgesucht haben, dann waren wir auch immer mit Herzblut dabei. Umso blöder, dass das aktuell nichts wird und wir noch nicht absehen können, welche Opfer das in der Industrie selbst fordert.

Rückzug kann krankhaft werden

Corona kann hervorragend als Ausrede benutzt werden, um sich zurückzuziehen. Das ist gefährlich, besonders für die Menschen, die nicht nur introvertiert sind, sondern auch mit Schüchternheit, sozialen Ängsten oder Depression zu kämpfen haben. Was bei mir nicht der Fall ist, kann andere dazu verleiten, Corona vorzuschieben, um sich sozialen Kontakten zu entziehen. (Okay, bei mir geht das auch, aber das ist dann meist Faulheit. Oops.) Die langfristigen Schäden sind daher noch nicht abzusehen.

introversion und corona

Reisen

Ja gut, im Namen steckt es schon drin: Wanderlust. Ich kann zwar noch immer unterwegs sein, bin ich auch, aber Reisen ist im Moment nicht angesagt. Die Vorfreude war immer einer der wichtigen Teile des Ganzen und für mich immer ein großer Motivator, um mir selbst beruflich und privat in den Allerwertesten zu treten. Das fällt jetzt weg und ich werde gemütlich … aber nicht auf die gute Art.

Dating

Ein klarer Fall von: Nur weil ich kein Fan davon bin, heißt das ja nicht, dass ich die Option nicht haben möchte. Dating in Zeiten von Corona ist absurd und Tinder hat seinen Platz auf meinem Smartphone nach einigen Wochen wieder verloren.

Menschenhass für ignorante Menschen

Früher musste man genauer hingucken, um sie zu erkennen: die rücksichtslosen Idioten. Heute müssen wir uns praktisch täglich damit auseinandersetzen, dass es Menschen gibt, die nicht bereit sind, die Leben anderer zu schützen. Die gab es vorher auch – bei Rot fahren, erst schlagen, dann reden, Steinewerfer – aber wir mussten sie nicht ständig im Blickfeld haben.

Daran ist Corona an sich nicht Schuld – das machen die Leugner und Verweigerer schon ganz alleine –, aber es ist nun mal eine Folge, die mir immer wieder böse aufstößt. Mein Menschenbild ist ja bekanntlich ohnehin nicht von Optimismus geprägt.

PS: Keine Superheldenfilme mehr für Corona-Leugner!

wie gehen introvertierte mit corona um

Meine Freunde leiden darunter

Obwohl ich mittlerweile auch nicht mehr so entspannt über die Maßnahmen denke, komme ich trotzdem noch eine Weile klar, ohne den Verstand zu verlieren (Vorteil: Was man nicht hat, kann man auch nicht verlieren!). Aber meinen Freunden geht es oft anders und es tut mir leid um sie.

Wer gerne Trubel hat und viele Kontakte braucht, ist aktuell einfach nicht wirklich glücklich. Ich möchte aber, dass meine Freunde glücklich sind.

Meine Familie leidet darunter

Gleiche Kerbe: Auch meine Familie leidet darunter. Ich denke, es geht einigen Introvertierten so, dass sie selbst noch ganz gut durch die Sache hindurch kommen, aber an ihren Liebsten sehen, was die Maßnahmen auf Dauer für Spuren hinterlassen.

Das ist vor allem schwer, weil wir nichts tun können. Naja schon, aber nicht viel. Wir können anrufen, unter bestimmten Umständen auch besuchen, aber wir können den Buchclub nicht öffnen, die Geburtstagsfeiern nicht stattfinden lassen und auch keine Umarmungen geben. Das nervt.

Die Unsicherheit über die Zukunft

Gedanken machen, ist eine Spezialität der Introvertierten. Unsere innere Ausrichtung kommt mit dem Feature der Reflexion. Alles muss irgendwie in Bezug gesetzt werden, mit Gefühlen in Verbindung gebracht werden, analysiert werden.

Zukunftssorgen (oder auch voll ausgewachsene Ängste) bahnen sich da schnell den Weg ins Bewusstsein. Und Corona hat aktuell kein Stoppschild parat. Wir wissen nicht, was kommt. Wir wissen nicht, wann etwas passiert. Diese ständige Unsicherheit macht Planen fast unmöglich und somit kann eine gewisse Ziellosigkeit oder Hoffnungslosigkeit entstehen. Wieder einmal stelle ich fest: Ich verspüre eigentlich so gut wie kaum noch Vorfreude, denn so richtig planen, können wir aktuell ohnehin nichts.

coronasorgen

Corona für Introvertierte

Es wird immer Introvertierte geben, die den jetzigen Zustand der Welt – im Bezug auf Sozialkontakte und Abstand – bevorzugen werden. Doch die Zahl derer, die sich noch wirklich darüber freuen, geht zurück. Es hat sich ohnehin immer etwas komisch angefühlt, die Maßnahmen „gut“ zu finden, dazu habe ich aber schon ein paar Worte verloren: Es war einfach die Absurdität der introvertierten Überlegenheit, die wir so witzig fanden, und wir haben diese kleine Auszeit einfach angenommen.

Doch mit einem Winter vor der Nase, der wohl weitestgehend unter Lockdown-Light (für mich Unwort des Jahres) stattfinden wird, kann von Freude kaum noch die Rede sein. Die Konsequenzen für die Welt und unsere Mitmenschen sind so mächtig geworden und auch wir spüren, dass wir Dinge vermissen, auf die wir eigentlich gerne mal eine Weile verzichtet haben.

Ich kann nur meinen kleinen Teil dazu beitragen, dass wir irgendwie bei Laune bleiben, indem ich euch weiterhin ein wenig unterhalte. Sagt mir Bescheid, wenn ich damit daneben liege oder wenn ihr eine Idee habt. Mein Beitrag mag minimal sein, aber ich freue mich auch, wenn der ein oder andere nur für ein paar Minuten mal abschalten kann, während er/sie hier herumstöbert. 

2 Kommentare

  1. Liebe Jennifer,

    Vielen Dank für diese Website und für diesen Artikel! Ich habe mich durch ein paar Deiner Beiträge durchgelesen und ich muss sagen, Du sprichst mir aus der Seele!

    Der verlinkten Text, warum Introvertierte die Auswirkungen von Corona auf das Sozialleben gut finden, habe ich sehr gut nachvollziehen können. Die Ruhe im Frühjahr, das Runterfahren jeder Hektik, einfach wunderbar.

    Vielleicht ein zusätzlicher Aspekt, warum Introvertierte unter Corona auch leiden, den ich aktuell merke: Er betrifft Familien. Wir sind Zuhause zu fünft und werden jetzt drei Wochen „aufeinanderhocken“. Mir graut schon etwas vor der Vorstellung. Rausgehen wird unangenehmer wegen der Kälte. Zudem wohne ich in einer Grossstadt und auch draussen ist man nie alleine. Selbst wenn man weiter ins Grüne fährt. Und daheim Stille zu finden, ist schwierig, wenn alle Dank Corona Zuhause sind. Leider reicht mir nicht, wenn ich mich zum Beispiel in den Keller zurückziehe, trotzdem aber Stimmen und Geräusche durch die Türe höre. Mich kann genau das (leider) unglaublich stören. Inzwischen benutze ich Oropax um auch diese Geräusche ausblenden zu können.

    Kennst Du das Buch von Michael Ende, Momo? Schon als Kind habe ich mir gewünscht, ich könnte wie Momo die Zeit anhalten, die Welt kurz anhalten, einfach die Ruhe geniessen und mal verschnaufen.

    MV wird mein nächstes Reiseziel. Ich hoffe, bis dahin haben es nicht alle anderen auch entdeckt 😉

    Ich danke Dir für diese Seite, weil ich endlich sehe, dass ich nicht ganz alleine bin mit meinem Bedürfnis nach Alleinsein.

    Liebe Grüsse, Tina

    • Hallo Tina,

      danke für Deinen Kommentar. Ich weiß ganz genau, was Du mit dem Aufeinanderhocken und dem Stadtleben meinst. Obwohl mein Mitbewohner einer meiner besten Freunde ist, ist es einfach schwierig, wenn man wirklich den Großteil des Tages in einer Wohnung zusammen verbringt – keine Ahnung, wie das mit so vielen Leuten wie bei Dir überhaupt auszuhalten ist! Meine Wahl fällt statt auf Oropax aber auf geräuschunterdrückende Kopfhörer 🙂

      Und da ich aktuell auch in der Stadt bin, gehe ich fast immer erst nach 22 Uhr spazieren (natürlich dann ohne Kopfhörer!). Da wird es dann tatsächlich mal ruhiger und statt Menschen gibt es nur Füchse und Katzen. Richtige Entspannung kommt nämlich tagsüber nicht auf, wenn es laut ist und man ständig Menschen begegnet.

      Ich wünsche Dir eine tolle Zeit, wenn es für Dich dann nach Meck-Pomm geht!

      Liebe Grüße

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