Am Arbeitsplatz übersehen oder übergangen zu werden, fühlt sich nicht gut an. Gerade introvertierte und schüchterne Menschen erleben das häufiger. Ihre ruhigere Art verleitet andere dazu, sie nicht so ernst zu nehmen. Allerdings kann jeder Mensch hin und wieder von temporärer Unsichtbarkeit mit einer Prise Bedeutungslosigkeit betroffen sein.
Nur was ist, wenn das zum Dauerzustand wird? Dann hast du es wahrscheinlich mit dominanten Kollegen zu tun. Einige haben einfach eine natürliche Präsenz, die wenig Raum für andere lässt. Es gibt aber die Exemplare, die ihre Dominanz bewusst ausspielen, um anderen zu schaden.
So oder so fragst du dich wahrscheinlich, wie du damit umgehen sollst. Die gute Nachricht ist: Es gibt etliche Wege, um mehr Gehör zu finden. Die schlechte Nachricht ist: Eine Erfolgsgarantie gibt es leider nie.
Alphamenschen gibt es nicht
Bevor hier überhaupt irgendein Tipp abgegeben wird, muss erst einmal klargestellt werden, dass Menschen keine Wölfe sind und vor allem: Rudelstrukturen wurden längst als viel komplexer nachgewiesen als irgendein komisches Alpha-Beta-Omega-Schema es vermuten lässt. Sorry für den kleinen Exkurs, aber die vermeintliche Rudelstruktur, die wir so widerstandslos in unseren Sprachgebrauch und in unser Verständnis von Persönlichkeitstypen aufgenommen haben, gibt es gar nicht!
David L. Mech, der entscheidend an der Theorie zur Verhaltensweise dominanter Wölfe in einem Rudel beigetragen hat, gibt heute selbst zu, dass das eine Fehleinschätzung war. Wenn dir das nächste Mal jemand erklärt, er hätte einfach „Alpha-Energie“ oder wäre halt ein „Alpha-Männchen“, dann nimm das schon mal nicht ernst.
Aber selbst wenn sich diese vermeintliche Alpha-, Beta-, Omega-Struktur wirklich bewiesen ließe, wäre sie ja noch immer nicht geeignet, um Menschen zu beschreiben. Natürlich hat jeder Persönlichkeitsmerkmale, die unter anderem auch zu einem dominanterem Verhalten führen können. Aber nein, niemand ist der geborene Alpha oder Anführer oder sollte dir grundlos erzählen dürfen, wie der Hase läuft.
Die besten Führungspersönlichkeiten buttern niemanden unter
Es gibt einen guten Grund dafür, dass viele Führungskräfte introvertiert sind. Das verwirrt viele Menschen erst einmal. Immerhin müsste das laute und selbstbewusste Auftreten der Extrovertierten (was übrigens gar nicht auf alle Extros zutrifft) doch förderlicher sein, oder?
Die Aufgabe eines guten Chefs ist es, Mitarbeiter zu leiten. Anführen heißt nicht, alles vorzugeben oder nur die eigene Idee durchzusetzen. Wenn du einen Kollegen als äußerst dominant wahrnimmst, dann glaube ihm nicht, dass er so ist, weil er einfach ein Anführer wäre. Dominanz und Führungsqualitäten sind alles andere als deckungsgleich – häufig widersprechen sie sich sogar.
5 Wege, um sich gegen dominante Kollegen durchzusetzen
Nach diesem kleinen Umweg weißt du nun schon, dass übermäßig laute, fordernde oder selbstdarstellerische Kollegen viel heiße Luft produzieren. Sie verdienen also nicht automatisch mehr Respekt. Du hast ihnen nicht zu dienen oder ihre Ideen ohne Einwand umzusetzen. Deine Arbeit ist (mindestens) so wichtig wie die deines Kollegen, also verkauf dich nicht unter Wert.
Astreine Arbeit abliefern
Da es nicht so leicht ist, sich als ruhigere oder bescheidenere Person gegen dominante Kollegen zu wehren, brauchst du eine solide Basis. Deine Arbeit und deine Gewissenhaftigkeit sind dafür ideal geeignet. Wenn du genau weißt, was du leistest und wie sehr du dich reinhängst, dann kann dir das schon mal keiner nehmen.
Das ist wichtig, um Gegenwind standzuhalten. Denn beherrschende und dominierende Menschen lassen sich nicht gerne sagen, sie müssten mal einen Gang zurückschalten. Ein Gegenangriff oder ein noch stärkerer Versuch, dich klein zu halten, ist zu erwarten. Mit dem Wissen um deine Fähigkeiten und deinen Beitrag im Unternehmen bist du gut gewappnet.
Unterbrechungen nicht zulassen
Ein denkbar einfacher und doch unglaublicher Schritt: Lass dich niemals unterbrechen. Ich meine wirklich, wirklich niemals. Auch nicht, wenn du schon fast am Ende deines Satzes warst. Nicht, wenn jemand anderes auch was Interessantes zu sagen hat. Auf keinen Fall, weil du nicht so wichtig wärst.
Niemand hat dich zu unterbrechen. In persönlichen Gesprächen gibt es da noch Nuancen. Manche Freundschaften können Unterbrechungen auch mal vertragen. Aber in einem Arbeitsverhältnis? Da ist der einzige Grund für eine angemessene Unterbrechung das Wort: „Feuer!“
Sätze, die du sofort bringen kannst und musst, wenn dir jemand auf Arbeit ins Wort fällt:
- Ich war nicht fertig, ich möchte meinen Gedanken beenden.
- Du bist noch nicht dran, ich präsentiere gerade.
- Deine Unterbrechungen zeigen, dass du uns andere nicht ernst nimmst.
- Ich habe ein Recht darauf, dass mein Beitrag gehört wird.
- Bitte behandle mich genauso höflich wie ich dich, indem du mich ausreden lässt.
Welche Option du wählst oder ob du das noch anders ausdrückst, sei dir überlassen. Höflichkeit und Nachdruck zu verbinden, ist gar nicht so leicht. Aber alles ist besser als stumm dazusitzen und zu schlucken, was irgendeine Kollegin oder irgendein Kollege da so von sich gibt auf dem Rücken deiner harten Arbeit.
Eigentlich wirkt es zunächst nicht so bedeutsam, Aufmerksamkeit einzufordern. Aber es wird dir Selbstbewusstsein geben und es wird ein klares Signal an alle Kollegen senden, dass du deinen Wert kennst und dich nicht unterbuttern lassen wirst.
Ein dominanter Kollege ist kein Feind
Es kann richtig, richtig nerven, wenn sich jemand permanent in den Vordergrund drängt. Dominante Kollegen, die stets und ständig den Ton angeben wollen, rauben schon Energie. Aber es muss auch differenziert werden.
Grundsätzlich ist ein wenig Dominanz gar nicht so schlecht. Arbeitsumgebungen leben sehr häufig von unterschiedlichen Persönlichkeitstypen. Viele ruhigere Mitarbeiter freuen sich auch, dass jemand anderes die Richtung bestimmt und sie einfach nur gut arbeiten müssen.
Somit sollte der dominante Kollege nicht zum Feindbild werden – es sei denn, er besteht darauf. Kommen Hinterhältigkeit und persönliche Angriffe dazu, sieht das natürlich alles ganz anders aus. Aber rein dominantes Verhalten macht niemandem bösartig oder zum schlimmsten Kollegen aller Zeiten. Manchmal wirst du sogar Dankbarkeit von einem übereifrigen Kollegen erfahren, wenn du unter vier Augen ansprichst, dass sich einige Leute übergangen fühlen. Wahrscheinlich ist das eher die Ausnahme, aber gehe als gutes Vorbild voran und erwarte nicht sofort das Schlimmste.
Unterstützung suchen
Dominante Kollegen buttern meist nicht nur eine Person unter. Oft werden gleich mehrere andere Mitarbeiter in Mitleidenschaft gezogen. Um dagegen etwas zu tun, kann man gemeinsam über das Problem sprechen. Sprechen – nicht lästern, das ist unproduktiv.
Aber wenn jemand ständig unterbricht oder davon ausgeht, die Führungsrolle einzunehmen, dann kann es schwer sein, das anzusprechen. Es ist etwas leichter, wenn andere Kollegen das unterstützen. Du solltest dich nicht alleine fühlen müssen. Das gilt auch, wenn aus der Dominanz Mobbing oder toxisches Verhalten wird – dann ist der Gang zum Chef leichter (und tragischerweise überzeugender), wenn du nicht allein bist.
Fehler nicht unter den Tisch fallen lassen
Wie dir nun schon klar geworden sein sollte, ist das Ziel des Textes nicht, dass du ab morgen die Brust aufplusterst, breitbeinig spazierst und auf Arbeit herumbrüllst. Dominanten Kollegen mit mehr übertriebener Dominanz zu begegnen, schafft nur größere Egos und mehr Probleme.
Fokussiere dich auf tatsächliche Leistung. Viele dominante Persönlichkeiten nutzen ihre schroffe und laute Art, um sich Verantwortung zu entziehen. Sei es in persönlichen Beziehungen oder bei der Arbeitsleistung. Deine Aufgabe ist es, sowas nicht unter den Tisch fallen zu lassen. Lass dir nicht einreden, dass du dich mal nicht so haben sollst – Fehler müssen erlaubt sein, aber nur, wenn sie zu einem Lerneffekt führen.
Ein unberechtigt dominanter Kollege – also jemand, der sich wichtiger macht, als er ist – wird an Ansehen und Dominanz verlieren, wenn seine Fehler aufgezeigt werden. Es geht nicht darum, sich lustig zu machen oder mit dem Finger zu zeigen. Ziel ist es, dass für alle derselbe Standard gilt. Ein selbstsicheres und dominierendes Auftreten ist kein Ersatz für gute Arbeit.
Kleine eigene Verhaltensänderung für mehr Präsenz am Arbeitsplatz
Bisher ging es vor allem darum, die extrem dominanten Verhaltensweisen in Schach zu halten. Du kannst aber natürlich auch an dir selbst arbeiten. Die Entscheidung liegt da bei dir, denn ich kann nicht einschätzen, ob du ein leichtes Ziel für solche Kollegen bist oder ob du schon ausreichend selbstbewusst auftrittst. Es kann auf jeden Fall helfen, wenn du ein wenig an deinem Auftreten arbeitest.
Einerseits gibt es da die Körpersprache. Rücken strecken und Kinn hoch. Ist das wirklich so wichtig? Ja. Denn wir nehmen an unseren Mitmenschen unzählige kleine Signale wahr. Also auch, ob jemand typische Anzeichen von Selbstbewusstsein zeigt.
Das gilt auch für die Sprache. Viele „ähms“ und „najas“ schwächen deine Aussagen. Übung macht hier den Meister. Nimm zum Beispiel einen Vortrag von dir erst einmal per Smartphone auf und schaue, wo du dich verbessern kannst. Das fließt nach und nach auch in die Alltagssprache ein.
Der wohl wichtigste Punkt, um auch gegenüber dominanten Kollegen Haltung zu beweisen und Durchsetzungsvermögen zu zeigen: An die eigenen Standards halten. Sei lernwillig, bilde dich weiter, leiste gute Arbeit und behandle deine Mitmenschen mit Respekt. Sei der Kollege, den du gerne hättest.
Fazit: Leise und gewissenhafte Menschen haben es nicht immer leicht
Möchtest du dich selbst nicht aufspielen oder deine Leistungen überbetonen, dann sind extrem dominante Kollegen ein Dorn im Auge. Früher oder später überdecken sie deine Ideen und Leistungen. Du kommst also nicht darum herum, etwas anzusprechen oder dich aktiv durchzusetzen.
Das kannst du doof finden – immerhin sollte deine Arbeit für dich sprechen und rücksichtsvoller Umgang unter Kollegen ist für dich bestimmt eine Selbstverständlichkeit. Aber am Ende des Tages wirst du wohl kaum ein perfektes Kollegenteam voller Harmonie und perfekt eingestellter Mischung aus Führungspersönlichkeiten und Hintergrund-MVPs (Most Valuable Player) finden. Also wirst du wohl oder übel das Kinn heben und dem dominanten Kollegen etwas Gegenwind bieten müssen.