Wir leben in einer oberflächlichen Feelgood-Gesellschaft. Traurig, melancholisch oder ernst zu sein, passt da nicht rein. Ernsthaftigkeit gilt oft als „Stimmung runterziehen“ oder als unnötig pessimistisch. Doch wie viel Wahrheit steckt dahinter wirklich? Müssen Menschen, die ernster, ruhiger oder gar melancholischer durch das Leben gehen, etwas an ihrem Verhalten ändern?
Nein. Frage beantwortet. Danke für’s Vorbeischauen. Bis nächstes Mal!
Ganz so einfach ist es natürlich nicht. Solltest du jemand sein, der von seiner Umwelt als ernster Mensch wahrgenommen wird, dann bist du wahrscheinlich schon mal auf Gegenwind gestoßen. Du müsstest mal lockerer werden, etwas Spaß haben und mal etwas Humor entwickeln. Kennst du hingegen sehr ernste Persönlichkeiten, kann es sein, dass du nicht so recht weißt, wie du mit ihnen umgehen sollst. Hoffentlich kann dieser Text etwas Licht ins Dunkel bringen.
Menschen, die alles ernst nehmen
Bevor der Umgang mit sehr ernsten Menschen und ihre Rolle in der Gesellschaft besprochen werden können, müssen wir erst einmal klarstellen, was ernst sein überhaupt bedeutet. Das ist nämlich höchst subjektiv. Es gibt ernste Menschen mit großartigem Humor. Manche sind super clever, andere eher weniger. Manche sind sehr analytisch veranlagt und nutzen ihre speziellen Fähigkeiten – andere stechen nirgendwo heraus und fühlen sich auch nicht besonders.
Ernsthafte Persönlichkeitstypen
Zum einen können wir versuchen, ernste Menschen an ihrem Persönlichkeitstyp festzumachen. Bei ihnen ist es meist so, dass alles irgendwie seriöser und angespannter wirkt als beim Durchschnittsmenschen. Ein gutes Beispiel dafür sind INTJ Persönlichkeiten nach Myers-Briggs.
Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie Entscheidungen aufgrund von Logik treffen wollen. Sie analysieren ihre Umwelt und können übermäßige Emotionalität nicht ausstehen. Menschen, die immer nur machen und nie nachdenken, sind ihnen suspekt.
Das heißt nicht, dass sie nicht nett sein könnten oder nie Gefühle zulassen. Doch durch die bevorzugten Denk- und Handlungsweisen auf Basis von Fakten und umfangreichen Überlegungen wirken sie nun mal auch nicht spontan, super aufgeschlossen oder locker. Das gilt auch für das extrovertierte Äquivalent ENTJ (sowie die ISTJ und ESTJ Typen).
Menschen, die keinen Humor haben
Ebenfalls als sehr ernst gelten Menschen, die keinen Humor haben. Sie können glücklich, liebenswerte Partner (und Freunde) sowie hochinteressant sein. Doch weil sie nicht mitlachen, wenn alle anderen es tun, werden sie nun mal als ernster wahrgenommen.
Witze oder doofe Sprüche sind einfach nicht für jeden geeignet. Das kann daran liegen, dass eine Person wirklich weniger Freude und Spaß empfindet – das muss aber auch nicht sein. Freude und Erfüllung sind auch ohne Humor möglich.
(PS: Es kann auch immer sein, dass das soziale Umfeld lediglich nicht den „richtigen“ Humor hat. Man sieht die Personen dann als humorlos an, während sie einfach über andere Dinge lachen würden, die aber nun mal einfach nicht zur Sprache kommen.)
Der Unterschied zwischen Fremdbeschreibung und Selbstwahrnehmung
Ernsthaft zu sein und zu leben, ist manchmal eine bewusste Entscheidung, zu der Menschen auch stehen. Falsch zu lachen, Spaß oder Interesse vorzutäuschen und das Leben rosiger zu sehen, als es ist, widerspricht diesen Personen einfach. Also nehmen sie das Label „ernst“ an und stehen dazu.
Es kann aber auch sein, dass jemand sich selbst nicht als übermäßig stoisch oder seriös wahrnimmt, aber andere ihm dieses Feedback geben. Das ist ein größeres Problem, da man sich in diesem Fall entscheiden muss, ob man den Charakter beibehält oder sich zum Wohle der Beliebtheit ändert. Dazu mehr unter „Muss man lockerer werden, um gemocht zu werden?“
Vorteile einer ernsten Persönlichkeit
Gegen eine Veränderung, um anderen zu gefallen, sprechen die vielen Vorteile einer ernsten Persönlichkeit. Eine Gesellschaft (und auch ein spezifischer sozialer Kreis) lebt von Diversität. Wenn alle die gleiche Persönlichkeit haben, wird es schnell langweilig. Man klopft sich ständig gegenseitig auf die Schulter, erweitert nie seinen Horizont und wird wahrscheinlich viel zu selten auf die Probe gestellt.
Seriöse, stoische, sehr ruhige oder sonstig von der Norm abweichende Menschen sind also wichtig. Wenn alle lachen und feiern, kann eine ernste Person aufpassen, dass niemand unnötig verletzt wird. Man kennt es: Ein Witz wird zu weit getrieben und alle lachen, obwohl sich jemand längst nicht mehr wohlfühlt. Die Chancen stehen gut, dass das ein ernsterer Mensch nicht einfach mitmacht.
Sehr ernste Freunde und Partner sind wiederum wichtig, wenn wir Hilfe brauchen. Läuft alles rund und die Welt ist schön, dann sind viele Menschen an unserer Seite. Es scheint immer nur bergauf zu gehen. Doch kommen wir ins Stolpern, dann verschwinden viele der Weggefährten sofort wieder – sie wollen sich schließlich nicht die Stimmung vermiesen lassen. Die weniger aufgeregten und aufgedrehten Menschen bleiben aber. Und sie geben oft sehr gute Ratschläge und haben einen klareren Blick auf Situationen und die Welt an sich.
Als Gesellschaft brauchen wir kritisch denkende und ernsthafte Menschen sowieso. Sie verhindern in einem Unternehmen, dass Maschinen kaputtgehen, weil alle behaupten „Das wird schon“. Sie erkennen Gefahren durch emotionale Überreaktionen und entschärfen kritische Streitigkeiten. Sie behalten einen kühlen Kopf, wenn sich alle in Aktionismus verlieren.
Das Gegenstück zur Optimismuskultur der Moderne
Wer schon einige Artikel von mir gelesen hat, der wird wissen, was ich von übermäßigem Optimismus halte. Er wird schnell toxisch. Unter dem Deckmantel des positiven Denkens werden Menschen in die Unzufriedenheit und Charakterlosigkeit getrieben.
Dazu empfehle ich „Toxic Positivity“: „Menschen, die sich der (toxischen) Positivität vollständig verschreiben, beginnen irgendwann, negative Erfahrungen zu leugnen. Und das sowohl bei sich selbst als auch bei anderen. Sie erlauben sich gar nicht mehr, traurig über den Verlust eines Familienmitglieds zu sein oder darüber, dass sie einen Job nicht bekommen haben, für den sie klar qualifiziert waren.
Das Fühlen negativer Emotionen ist jedoch wichtig. Der gesunde Bereich der Positivity-Gemeinde weiß das auch und sagt ganz klar: Lass die Emotionen zu und verarbeite sie rechtzeitig. Doch die andere Seite sagt: Alles ist eine Chance, so schlimm ist das gar nicht, wer sich schlecht fühlt, ist daran selbst schuld. Gerade die Schuldzuweisung kann einen Menschen, der ohnehin schon am Boden ist, noch weiter erniedrigen.“
Ernste Menschen, die sich auch nicht von ihrer Wahrnehmung abbringen lassen, widersprechen dem Kult der guten Laune. Natürlich sollten sie dabei nicht in Pessimismus abdriften. Häufig sind sie aber einfach sehr realistisch eingestellt. Es ist ihnen ein inneres Bedürfnis, die Welt zu sehen, wie sie ist. Es wird weder schwarzgemalt noch beschönigt.
Nachteile von Ernsthaftigkeit
Wenn wir sowieso schon über Realismus sprechen, dann muss auch die andere Seite der Medaille betrachtet werden – Ernsthaftigkeit kann ein Nachteil sein. Viele Menschen erfahren für ihre ernste Art Ablehnung. Sie wären nicht interessant genug, würden die Stimmung runterziehen oder müssten mal lockerer werden.
Das tut weh. Ganz besonders dann, wenn es zu wenige Menschen gibt, die einen für die ernste Art schätzen. Dann kommt schnell das Gefühl auf, nirgendwo reinzupassen. Auf persönlicher Ebene tut das weh und kann einsam machen.
Doch auch beruflich können durch eine ernste Persönlichkeit Nachteile entstehen. Was man darstellt, ist wichtig, um beruflich aufzusteigen. Sollte es so sein? Eher nicht. Leistung wäre ein besseres Kriterium. In der Realität gelangt man an viele Jobs nur durch gute Kontakte. Diese sind eher zu finden, wenn man alles weglächelt und jeden zum Freund haben will.
Muss man lockerer werden, um gemocht zu werden?
Hier die positive Nachricht, die in jedem Kinderbuch zu finden ist: Sei einfach ganz genau so, wie du bist. Verändere dich für niemanden. Alles wird gut. Du bist perfekt.
Hier die realistische Nachricht, die jeder im Leben früher oder später bekommt: Soziale Verträglichkeit ist ein wichtiger Faktor und manchmal müssen wir uns an unsere Umwelt anpassen, wenn wir glücklich sein wollen.
Ist seriös oder sogar stoisch zu sein ein wichtiger Teil deiner Persönlichkeit, den du zu schätzen weißt, dann verändere nichts. Am Ende des Tages musst du die Person mögen, die dir im Spiegel erscheint. All die Beliebtheitspunkte sind nichts wert, wenn du mit dir selbst keinen Kaffee trinken gehen würdest.
Es kann aber auch sein, dass du gerne ein weniger ernsthaftes Image hättest. Du bist wahrscheinlich wirklich etwas ruhiger und pragmatischer, aber du fühlst dich auch ein wenig außen vor oder gar abgelehnt. Ja gut, dann los. Nimm einen Witz mal einfach hin, ohne die Wortwahl oder den Aufbau zu kritisieren. Erlaube dir selbst von Zeit zu Zeit, mal das Ziel eines doofen Spruchs zu werden. Schlage aufregende Aktivitäten vor, bei denen du dich lockerer fühlst.
Leider ist es ein lebenslanger Kampf, die eigene Natur und die sozialen Ansprüche in Einklang zu bringen. Merkst du irgendwann, dass du wirst „wie alle anderen“ oder sogar über Dinge hinweglächelst, die du früher kritisiert hättest, dann hast du den Bogen vielleicht überspannt. Du musst dir stets die Frage stellen, ob du Menschen gefallen möchtest, die deine Art grundsätzlich ablehnen. Du kannst dich aber auch nicht allem verwehren und Spaß meiden und dann erwarten, dass du ein sozialer Schmetterling bist. So läuft das nicht.
Fazit: Mehr Verständnis für ernsthafte Menschen bitte
Es kann gut sein, dass du selbst gar keine ernste Person bist, sondern diese Menschen nur besser verstehen willst. Denn stoische Menschen sind für viele ein Rätsel. Hoffentlich verstehst du jetzt, dass dahinter gar kein großes Geheimnis steckt – manche Menschen ticken anders und das ist okay.
Giltst du hingegen als ernsthafte Person, dann hoffe ich, dass du das beibehältst. Nicht stets zu 100 Prozent – Ernsthaftigkeit darf nicht dein einziges Persönlichkeitsmerkmal sein, das wäre schade. Clever, introvertiert, extrovertiert, fürsorglich, hilfsbereit, ambitioniert, neugierig – all diese Dinge können dich ebenfalls auszeichnen. Deine sehr ernste Art lässt dich etwas von der Norm abweichen – willkommen im Club. Introvertierte, neurodiverse, schüchterne, melancholische und hochsensible Menschen kennen das und wissen: Es gibt Schlimmeres und auf lange Sicht finden wir schon unseren Weg.
brauche hilfe mit ernsten charakteren.. .