So schlimm ist es nicht – das ist die beliebteste Reaktion von Menschen, wenn du ihnen sagst, dass du das Leben schwierig und anstrengend findest. Keine Sorge, diese Floskel wirst du hier nicht erzählt bekommen. Die Prämisse dieses Artikels lautet: Ja, das Leben ist schwer und das brauchen wir auch nicht schönreden.
Allerdings bringt es nichts, den Kopf in den Sand und die Hände in die Taschen zu stecken und dann zu warten, dass jemand anderes den Schalter umlegt, damit plötzlich alles besser wird. Stattdessen sollten wir auf die Ursachen dafür gucken, dass du, ich und viele andere Menschen das Gefühl haben, das Leben wäre deutlich schwieriger, als wir es uns vorgestellt hatten – oder als man uns weismachen möchte.
Deshalb fühlt sich das Leben schwer an
Der offensichtlichste Grund dafür, dass sich das Leben schwer anfühlt: Niemand hat behauptet, dass es leicht wäre. Okay, manche Menschen behaupten das. Aber es gibt weder ein Naturgesetz noch eine höhere Macht, die dafür sorgen können, dass alles wie von Zauberhand läuft.
Bei anderen sieht es so leicht aus
Am ehesten glauben wir, dass wir es schwer haben, wenn wir bei anderen Menschen Leichtigkeit beobachten. Sie lernen für Klausuren, schaffen ihren Arbeitsaufwand, können gut mit Menschen umgehen und zahlen ihre Rechnungen immer pünktlich. Ganz nebenbei ernähren sie sich gesund, sind selbstbewusst und machen Sport.
Nun gibt es zwei Möglichkeiten. Zum einen sind einige Menschen wirklich sehr gut darin, all die wichtigsten Dinge in ihrem Leben zu bewältigen. Deshalb heißt das aber nicht automatisch, dass sie damit nicht zu kämpfen hätten. Was auch schon zum zweiten Punkt führt: Du bekommst meist nur einen winzigen Einblick in das Leben einer Person. Nur weil es von außen leicht aussieht, heißt das nicht, dass jemand nicht auch Probleme hat oder nicht jeden Tag 100 Prozent geben muss, um diese scheinbare Leichtigkeit auszudrücken.
Neurodiversität
Ein anderer möglicher Grund dafür, dass dir das Leben schwierig vorkommt: Neurodiversität. Damit sind zum einen Diagnosen wie ADHS oder Autismus gemeint. ADHS und Autismus können dazu führen, dass die Reizverarbeitung anders verläuft als bei anderen Menschen – und auch die Dopaminrezeptoren verrücktspielen. Das ist natürlich eine vereinfachte Darstellung. Doch für neurodiverse Menschen ist das Leben in einer Gesellschaft mit bestimmten Erwartungen tatsächlich schwieriger.
Generell sollten wir viel mehr darüber sprechen, dass Körper und speziell Gehirne nicht alle gleich funktionieren. Daraus folgt nämlich automatisch, dass viele alltägliche Handlungen und Aufgaben unterschiedlich starke Herausforderungen darstellen. Leider wird dann oft mit den Begriffen „Faulheit“, „Empfindlichkeit“ oder „Dummheit“ um sich geworfen – obwohl es physiologische Gründe für das Ringen mit dem Leben gibt.
Trauma
Traumatische Erlebnisse können Gehirne verändern. Leider verstehen wir noch immer zu wenig, wie genau das abläuft. Es wird zwar fleißig geforscht, aber wie jemand auf ein Trauma reagiert wird von so unglaublich vielen Faktoren bestimmt. Was ist passiert? Wann ist es passiert? Wie lange hat es gedauert? Wurde der betroffenen Person schnell geholfen oder gar nicht? Waren Alkohol und Drogen im Spiel?
Fakt ist, dass viele Menschen mit Traumata zu kämpfen haben, ohne es zu wissen oder genau zu verstehen. Das macht das Leben schwerer. Denn bestimmte Handlungen und Denkweisen stehen einer Person dann auf dem Weg zu mehr Leichtigkeit im Weg. Gleiches Alter, gleiche Ausbildung, gleicher sozialer Status – und trotzdem können zwei Menschen völlig unterschiedlich mit dem Leben umgehen, wenn einer von ihnen eine harte Kindheit hatte.
Psychische Krankheiten und Störungen
Jede psychische Erkrankung macht es schwerer, ein „normales“ Leben zu leben. Die bittere Wahrheit ist, dass mentale Probleme Einfluss auf jeden Lebensbereich haben können. Depressionen, Zwangsstörungen, Demenz, soziale Phobien und viele weitere Diagnosen sind ein Hinweis darauf, dass jemand etliche Steine in den Weg gelegt bekommen hat und ohne Behandlung auch weiterhin bekommen wird.
Gerade in Verbindung mit schlechten oder traumatischen Erfahrungen kann das dazu führen, dass du dich fragst, was das alles soll. Das ist also jetzt das Leben? Bei dem jeder Tag ein kleiner (oder großer) Kampf ist?
Schwierige Umstände
Das Leben kann auch einfach unfair, hart und gemein wirken oder sein, wenn du wieder und wieder eins auf die Rübe bekommst. Egal, wie sehr du dich anstrengst, es kommt immer ein neues Problem an der Stelle dazu, wo du gerade erst eins beseitigt hast – oder ein völlig neues Problemfeld tut sich plötzlich auf. Geht das lange genug so, ist Verzweiflung eine logische Folge.
Somit ist das Leben manchmal hart, weil du einfach viele widrige Umstände oder Schicksalsschläge zu bewältigen hast. Der Tod eines geliebten Menschen, ein Jobverlust, ein Streit mit der besten Freundin, das Ende einer Beziehung, Einsamkeit oder Drogenprobleme – all das macht dein Leben härter, als du dir wünschen würdest.
Pessimistische Lebenssicht
Diese Ursache hast du wahrscheinlich schon eher erwartet. Denn in der Guru- und Coaching-Welt ist sie unglaublich beliebt: Das Leben ist weder schlecht noch schwer, du hast nur die falsche Einstellung. Entschuldige mich, ich muss kurz brechen gehen.
(Brechpause)
Also: Ja, einige Menschen können in negativen Einstellungen und Gedankenstrudeln festhängen. Dann wirkt die Welt negativer, als sie ist, und somit erscheint auch alles irgendwie anstrengend und schwer zu sein. Aber: Deshalb ist eine optimistischere Lebenseinstellung nicht die Lösung für all deine Probleme.
Das Leben ist an sich weder schwer noch leicht. Aber es wird nicht allein dadurch definiert, welche Einstellung du hast. Schicksalsschläge, neurodiverse Besonderheiten, Erkrankungen und weitere Dinge sind tragisch und schrecklich – und man sollte sich diesem Schmerz nicht dadurch verwehren, dass man alles durch eine rosarote Brille sieht. Trotzdem muss „pessimistische Lebenseinstellung“ natürlich als einer der Gründe dafür genannt werden, dass das Leben härter wirkt, als es sein sollte.
So wird das Leben weniger hart
Wahrscheinlich hast du mehrere Ursachen für dich finden können. Kaum jemand beschreibt das Leben als schwierig oder anstrengend, nur weil mal eine kleine Sache schiefgeht. Meist kommen mehrere Faktoren zusammen. Aber was kann man tun, um das Leben etwas leichter zu machen?
Genauer hinschauen – bei dir und bei anderen
Schritt eins: Hör auf, die Leben anderer Menschen von Haus aus als einfacher anzusehen als dein eigenes. Vergleich führt oftmals dazu, dass wir uns schlechter fühlen. Indem du annimmst, dass andere ein sorgenfreies Leben führen, während deines voller Hürden ist, bereitest du deine eigene Unzufriedenheit vor.
Jemand, der viel Geld hat, kann gleichzeitig einsam sein. Kluge Menschen müssen für ihre Intelligenz oft viel Zeit investieren. Glückliche Familienmenschen kämpfen mit finanziellen Problemen. Die Menschen mit dem größten Lächeln, weinen sich oft in den Schlaf.
Die allermeisten Menschen kämpfen mit Dämonen und Gegenwind (– was übrigens kein schlechtes Verhalten rechtfertigt, wie viele Menschen behaupten). Somit ist das Leben nicht nur für dich anstrengend, schwer oder eine Herausforderung. Das ist eher die Norm. Auch wenn wir das alle unterschiedlich stark empfinden.
Alleskönner zu sein, ist schwierig
Häufig ist unser Leben schwer, weil wir falsche Erwartungen haben. Sieht dein Ziel so aus: eigenes Haus, gut bezahlter Job mit Karrierechancen, glückliche Ehe, viele Freunde, regelmäßig Sport machen und ein kreatives Hobby betreiben?
Ja, herzlichen Glückwunsch, was meinst du, warum das Leben so anstrengend ist? Unrealistische Ziele und Ansprüche sind pures Gift für uns. Wir orientieren uns oftmals an vielen Menschen – an Freunden, Eltern, Stars, Politikern, Partnern und Ex-Partnern – und an all den Dingen, die sie scheinbar mühelos bewältigen. Newsflash: Du bist aber nur eine Person mit begrenzter Zeit und begrenzten Mitteln.
Wenn du alles haben und sein willst, dann wird dir das Leben immer hart vorkommen. Schraub deine Ansprüche herunter. Oh sorry, klingt das nicht nach dem, was dir Entrepreneure und Ratgeber-Experten sagen? Die Chancen stehen gut, dass du ein Leben auf der Überholspur lebst und dich dann fragst, warum alles so schnell geht. Pro Tipp: Auch mit einem Kleinwagen auf der Landstraße kommst du irgendwann ans Ziel (und du hast die Reise wahrscheinlich deutlich mehr genossen).
Das Leben als unfair akzeptieren
Vielleicht hängst du noch der Idee nach, dass die Welt eigentlich gerecht ist und jeder bekommt, was er verdient. Das kann ebenfalls dazu führen, dass dir alles schwierig vorkommt. Gerechtigkeit liegt im Auge des Betrachters und meiner Meinung nach leben wir aktuell nicht in einer gerechten Welt.
Dazu aus Die Welt ist ungerecht: „So etwas wie absolute Gerechtigkeit gibt es nicht. Sie wird immer ausgehandelt und von persönlicher Wahrnehmung beeinflusst. Einige Menschen wollen daher gar nicht von gerecht und ungerecht sprechen. Das klingt für diejenigen von uns absurd, die eine ungerechte Welt sehen und erleben. Das Ablehnen des Gerechtigkeitsbegriffs mag eine nette Spielerei sein, doch es bringt uns nicht weiter. Denn wenn wir die Welt, die Gesellschaft und unser Leben als ungerecht empfinden, dann hat das Konsequenzen. Wir fühlen uns schlechter, zurückgelassen oder hoffnungslos. Und sehen wir Ungerechtigkeit in der Welt, dann kann das zu Verzweiflung und Sinnkrisen führen.“
Zu hoffen, dass du dich nur genug anstrengen musst, dann wird schon alles besser, ist keine gute Idee. Einsatz, Engagement und Hoffnung darfst du gerne behalten – aber mit realistischen Erwartungen daran, was damit erreichbar ist.
Frust rauslassen
Letzter Tipp: Lass mal richtig Dampf ab. Hier ist das „Problem“: Wann immer jemand über die Ungerechtigkeit in der Welt, die beschissenen Lebensumstände oder einfach alles meckern möchte, kommen freundliche Menschen zur Hilfe. Es ist unser Instinkt, jemandem zu sagen, dass es ja bald wieder besser wird oder nicht so schlimm ist. Das meinen wir nur gut.
Aber nicht immer brauchst du das. Manchmal musst du sagen, dass alles blöd, schwer, hart und unfair ist – ganz ohne aufbauende Worte zurückzubekommen. Du weißt ja insgeheim, dass du dich nicht zu sehr in den Beschwerden verlieren solltest. Aber manchmal muss es doch erlaubt sein, richtig wütend zu sein, oder?
Dann ab damit in die Kommentare unter diesem Artikel, in dein Tagebuch oder in eine Social Media Gruppe deines Vertrauens. Ich empfehle für alle drei Varianten einen einleitenden Satz wie den folgenden: „Darf ich mal Dampf ablassen, ohne gute Ratschläge zu bekommen – einfach nur, um es mal loszuwerden?“ Aus Erfahrung kann ich sagen, dass das beispielsweise auf dem Discord-Server für Introvertierte häufiger geschieht und auch absolut erlaubt ist.
Fazit: Ja, das Leben ist schwer, unfair und anstrengend – willkommen im Club
Dass dir Menschen Tipps geben oder dich aufbauen wollen, ist verständlich – aber eben nicht immer hilfreich. Wenn jemand glaubt, dass dein Frust über die Welt und dein Leben falsch oder albern wäre, dann … macht er deine Welt dadurch kein bisschen leichter. Selbstverständlich musst du Wege finden, mit deiner Frustration umzugehen, damit du nicht in Hoffnungslosigkeit verfällst oder gar eine Depression die Folge ist. Es gibt 1000 Wege, wie du dir das Leben erleichtern kannst. Mit Minimalismus, einem Jobwechsel, einem Urlaub, Meditation oder mehr Geld. Alles möglich. Aber nichts davon wird auf Anhieb dafür sorgen, dass wir so tun können, als wäre das Leben nicht oftmals eine unnötig harte Herausforderung.
❤️❤️❤️
Wenn das Leben wäre um leicht zu sein und alle das wollten. Wieso ist es dann schwierig.
Das Problem liegt eben darin daß Menschen ihre Sorgen, Ängste und Wünsche zu wenig kommunizieren.
Warum?
Der einzige Fixpunkt im Leben ist der Tod. Egal wie, wann, wo und warum man lebt. Jeder hat dieses (aus unserer Sicht unangenehme) Erlebnis.
Das Ungewisse macht Angst! Der Angst geht Menschen meist aber lieber aus dem Weg.
Eine unlösbare Aufgabe ( was ist nach dem Tod) erleben wir als anstrengend und frustrierend. Deshalb auch immer die Aussagen. Das wird wieder. Und alles wird gut. Weil der aussprechende sich selbst ( unbewusst) schützt.
Lasst uns endlich mal ehrlich sein, die Angst überwinden und zusammen eine Lösung suchen.
Es ist doch immernoch besser: keine Antwort zu haben als die Falsche…….
Danke für deine Sicht auf das Leben und die Welt. Bevor ich diesen Bericht gefunden habe, hatte ich einen, der vorschlug, ich bin doch selbst schuld an meinen „SchweresLebenGefühl“, denn ich würde einfach einen falschen Blick haben. Würde ich positiver Denken und mich selbst nicht so bemitleiden, wäre alles einfacher für mich. Es ging mir wir dir 🤮und ich dachte, wieder jemand der nicht versteht, wie es mir geht. Der es nicht verstehen möchte und vielleicht auch nicht kann. Deine Worte helfen mir zu akzeptieren, dass ich nunmehr so bin und es nimmt mir den Druck, mich nicht mit viel Mühen auf „Dauer😃“ trimmen zu muss.
Hi,
es freut mich sehr, dass ich da den Gegenpol zu dem Vorschlag dieses ach so erleuchteten Menschen darstellen kann. „Einfach positiv denken“ ist leider ein sehr billiger Ratschlag und er kommt fast nur von Menschen, die nicht wirklich hinschauen wollen, was in ihrem Umfeld oder der Welt passiert. Können sie ja so machen, aber warum muss man uns das aufzwingen? Wir bleiben so, wie wir sind 😉
Liebe Grüße