Kann es problematisch sein, wenn Du immer gut drauf bist? Ja, absolut. Du und ich und der Rest der Welt sind nicht geschaffen worden, um immer zu lächeln oder gar glücklich zu sein. Das Leben ist manchmal grausam und unsere Gedanken voller Fallstricke.
Doch wer in bestimmte Ecken der sozialen Medien schaut, der könnte meinen, dass das alles nur Ausreden sind. Jeder Mensch könne durch eine einfache Einstellungsveränderung so glücklich wie nie zuvor werden.
Ja, wirklich. Es sind nur Deine Gedanken, die Dich unglücklich machen. Krankheiten, Geldsorgen, Beziehungsprobleme – das ist nur in Deinem Kopf! Sei doch nicht so griesgrämig! Sei einfach glücklich! Hör bloß nicht auf diejenigen, die behaupten, es gäbe Probleme auf der Welt. Wenn etwas in Deinem Leben nicht stimmt, musst Du nur an Deiner Einstellung arbeiten und tadaaaa – alles wieder gut. (Sarkasmus Ende)
Wer nur noch vorwärts kennt, niemals Schmerz zulässt und die Sorgen der Anderen kleinredet, der ist kein positiver Einfluss, sondern ein toxischer. Und nirgendwo können sich diese Möchtegernweltverbesserer kreativer ausleben als in den sozialen Medien. Aber heute sagen wir mal: Halt Stopp, Eure Einstellung gefällt uns nicht.
Ist toxische Positivität eine neue Sache?
Es gab schon immer Menschen, die sich lieber einer unhinterfragten Ideologie des Optimismus verschrieben haben, als sich mit ihren Dämonen und Widerständen auseinanderzusetzen. Wer also Social Media beschuldigen möchte, der erzählt nur die halbe Geschichte.
Ganz besonders Menschen, die es in Kindheit und Jugend schwerhatten, sind anfällig für chronischen Optimismus. Wann immer ihnen ein Problem begegnet, lächeln sie einfach darüber hinweg. Sie propagieren diese Einstellung, weil sie für sie „funktioniert“.
Manchmal wird das so extrem, dass dahinter eigentlich eine psychische Krankheit steckt, die Realitätsflucht beinhaltet. Während leicht toxisch positive Menschen meist nur etwas unreflektiert und gelegentlich rücksichtslos sind, können Menschen, die auf pathologische Weise alles Negative ausblenden, ernsthafte medizinische Intervention benötigen, um ihr Leben wieder unter Kontrolle zu bringen.
Mehr über Toxic Positivity und ihre Vorreiter findest Du hier: Was ist toxische Positivität?
Optimismus in den sozialen Medien
Toxic Positivity ist vielleicht nicht neu, aber meine Güte haben die sozialen Medien hier einen idealen Nährboden für völlig neue Auswüchse geschaffen. Das Internet ist ohnehin schon von Oberflächlichkeiten und Halbwahrheiten geprägt. Hinzu kommt jetzt, dass wir diese Scheinwelt mit der Rechtfertigung versehen, dass man ja nur „positive vibes“ versprüht.
Das Problem ist, dass die polierten Bilder, die auf Instagram, Facebook, TikTok und Co. präsentiert werden, oftmals keinen Raum für Realität lassen. Damit ist nicht nur gemeint, dass alles gefiltert und bearbeitet wird. Es geht eher darum, dass schon die Auswahl der gezeigten Momente nicht ehrlich ist.
Denn Influencer zeigen meist nicht ihren 0815 Alltag, in dem sie auch mal keine Lust auf Arbeit haben. Schauspieler filmen bestimmt nicht die Konflikte mit ihren Co-Stars. Und die meisten „Durchschnittsuser“ zeigen ihren neuesten Kauf, Tanz oder Lieblingsmoment, nicht aber die neueste Panikattacke.
Niemand kann zu diesen absolut ehrlichen Darstellungen gezwungen werden. Sollte auch niemand. Aber es wird toxisch, wenn hier nicht nur die Auswahl der Inhalte einseitig ist, sondern auch die damit verbreiteten Ideen und Einflüsse. Denn es ist eine Sache, nur die gestylten und perfekten Momente zu posten, es ist eine andere, sie dann mit Nachrichten zu versehen, die uneingeschränkten Optimismus propagieren.
Denn wer die Profile von Menschen sieht, die sagen: „Alles ist nur in Deinem Kopf, ändere Deine Einstellung und absolut alles wird Dir gelingen“, der wird sich fragen, warum er selbst noch nicht reich und berühmt ist. Das muss ja persönliches Versagen sein, oder?
Das wird in den sozialen Medien auch gerne mal mit dem Law of Attraction verbunden, also dem Gesetz der Anziehung. In seiner gemäßigten Form besagt es einfach, dass wir unsere Leben verändern, wenn wir bestimmte Dinge sagen, denken und somit glauben. Wer sich selbst beispielsweise als erfolgreichen Musiker sieht, wird sich selbstbewusster auf der Bühne geben, mehr an sich arbeiten und die Menschen werden diese Einstellung sehen und somit steigen die Chancen, tatsächlich ein erfolgreicher Musiker zu werden.
Leider wurde diese interessante Idee völlig verdreht, indem jetzt viele Menschen behaupten, sie könnten die physische Realität um sich herum nur mit ihren Gedanken verändern. Sie sagen nicht: Durch einen optimistischen Blick auf meine Krebserkrankung, habe ich bessere Chancen auf Heilung. Sie sagen: Meine Einstellung heilt Krebs. Alternativ auch gerne: Ich muss nur an Reichtum und Erfolg denken und dann fliegt er mir auf jeden Fall zu!
Das ist natürlich toxisch hoch vier, denn gerade Menschen in Krisen werden hier lächerlich gemacht. Wenn aller Erfolg abhängig von Gedanken und Einstellungen ist, bedeutet das ja auch, dass alle Menschen, die unglücklich sind, Geldsorgen haben oder mit Herausforderungen zu kämpfen haben, selbst schuld sind.
Toxic Positivity auf Social Media
Es klingt im Hauptartikel zu Toxic Positivity etwas schöner und ist auch ausführlicher beschrieben, doch fassen wir mal das Problem zusammen: Wer immer nur positiv denkt, der verwehrt sich seiner Realität und lernt dadurch nicht, mit Schmerz umzugehen, sich weiterzuentwickeln oder überhaupt echte Verbindungen zu seinen Mitmenschen aufzubauen.
Der Kult, der sich online entwickelt, ist vor allem für die Menschen gefährlich, die nach Halt suchen. Doch anstatt sich dem Prozess zu stellen, der mit einer richtigen Lebensveränderung einhergeht, wiederholen sie die plumpen Parolen. Danach strömen sie in die Kommentare und DMs:
- „Oh wow, du bist so ein Vorbild“
- „Ich wusste immer, dass das alles nur in meinem Kopf ist.“
- „Ich will auch so sein wie du!“
- „Die Menschen müssen endlich aufwachen, das ist der wahre Weg!“
Wir können die fiktionale Welt der sozialen Medien nicht noch mit einer Weltsicht kombinieren, die keine Wut, keinen Schmerz, keine Frustration zulässt. Wenn wir krank werden, darf uns das belasten. Haben wir uns mit einem Freund gestritten, dann sollten wir uns schlecht fühlen. Läuft es einfach nicht, dann dürfen wir auch fluchen und meckern. Das gehört zum Leben dazu und sorgt doch erst dafür, dass wir an uns arbeiten.
PS: Es gibt natürlich auch toxische Negativität. Auch sie sollten wir vermeiden: Was ist denn toxic negativity?
Euer Optimismus macht mir schlechte Laune
Die Ironie an der Sache ist, dass chronischer Optimismus viele Menschen eher wütend macht. Denn wie gesagt: Am Ende der toxischen Positivität steht fast immer, dass doch jeder selbst schuld ist, wenn er unglücklich ist und er doch einfach nur seine Einstellung ändern müsse. Wer sich mit struktureller Diskriminierung, Krankheit, Familiendramen oder Geldnöten befassen muss, der möchte diesen Menschen ganz gerne ein Einhorn um die Ohren hauen.
Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass die lautesten Optimismuströten der sozialen Medien vornehmlich weiß sind und mindestens der Mittelschicht angehören. Dann verpacken sie ihre angebliche tolle Lebenseinstellung (sponsored by daddy and skintone) und verkaufen sie in Form von Kursen, Coachings und Produkten.
Ich sage dazu: Nein danke. Für echte Achtsamkeit und eine Veränderung der Lebensumstände bin ich immer zu haben. Minimalismus, Meditation, Bewegung, kognitive Verhaltenstherapie – so viel können wir machen, was uns ein wenig Kontrolle über unser Leben gibt und somit zu einer positiveren Einstellung führen kann. Aber Instagram-Zitat-Bildchen und Motivationsgurus in fetten Villen? Lassen mich doch sehr negativ gestimmt zurück.
Dieser fundierte Beitrag der Aufklärung zum Thema „Toxic Positivity in den sozialen Medien: eine Gefahr?“ spricht mir ganz tief aus dem Herzen.
In diesem Beitrag wird deutlich aufgezeigt, was für Gefahren sich hinter dieser „Toxic Positivity“ im eigentlichen Sinne verbirgt, die täglich in sozialen Medien durch Heerscharen von Möchtegerne ganz bewusst inszeniert werden. Positivität scheint zum allgegenwärtigen Instant-Mittel der heutigen Zeit geworden zu sein, mit der Konstante, niemals endender pseudo Ideologien in diesem unüberschaubaren Markt. Für wirklich introvertierte und bodenständige Menschen mutet dies etwas dubioses an, da dies unweigerlich zur allgemeinen Entfremdung führen kann und daran hindert das Erlebte in seinem ganz persönlichen Tempo zu verarbeiten. Es ist in der Tat anzuraten, diese Maskenhaftigkeit der Positivität genau zu hinterfragen, denn dann erkennt man sehr schnell, um was es sich hierbei wirklich handelt:
Es handelt sich um eine unreife Art, sein Leben zu führen, im Gegenteil es hindert einen für sich selbst eine klare Position einzunehmen, da man ständig den Zwang unterworfen ist Positivität an den Tag zu legen….
Was wirklich optimistisch stimmt, ist die Tatsache, dass mittlerweile immer mehr Menschen diese Maskenhaftigkeit der Positivität durchschauen und sich wieder auf die Pole (positiv – negativ) in ihrem Leben fokussieren, die zum DASEIN dazugehören.
Erst dies ermöglicht Zugang zur echter Achtsamkeit und wahrhaftiger Veränderung mit Tiefgang!