Aus irgendeinem Grund ist es mittlerweile gang und gäbe, du bist aber ruhig, als Kritik zu äußern. Oder zumindest, sie als solche zu verstehen. Als wenn nicht laut zu sein, ein Problem wäre.
In diesem Beitrag wird es darum gehen, warum ruhige Menschen unterschätzt werden, wieso Menschen überhaupt ruhig sind und vor allem, welche Stärken die Ruhigen und Introvertierten dieser Welt haben.
„Ich bin ein sehr ruhiger Mensch“: die Ursachen
Wie definieren wir eigentlich „ruhig“? Um das herauszufinden, sollten wir erst einmal sehen, welche Arten beziehungsweise Ursachen es für Ruhe gibt. Denn ruhig und still sind nicht immer dieselbe Sache. Nicht jede Zurückhaltung ist bewusst, nicht jedes Zögern ein Problem.
Ruhige Menschen und Introversion
Einer der Hauptgründe – und der offensichtlichste bezüglich dieses Blogs – ist Introversion. Denn introvertierte Menschen erleben eine Überstimulation durch soziale Interaktion. Je länger sie unter Menschen sind, besonders wenn es sich um eine Gruppe und/oder Fremde handelt, umso mehr Energie verlieren sie.
Dadurch ziehen sich Introvertierte häufiger zurück. Das kann ein physischer Rückzug sein, also das Verlassen einer Party oder eines Gesprächs, es kann aber auch bedeuten, dass sie sich nur aus einer stressigen Situation „herausnehmen“, indem sie nicht mehr kommentieren, aktiv an einer Aktivität teilnehmen oder überhaupt etwas sagen.
Neben dieser situativen Ruhe eines Introvertierten, gibt es aber auch genügend Introvertierte, die grundsätzlich lieber eine zurückhaltende Haltung einnehmen. Das liegt daran, dass viele introvertierte Menschen über Dinge intensiv nachdenken und sich mit Themen tiefgründig befassen wollen, bevor sie sich dazu äußern. Es ist ihnen kein Bedürfnis, alles zu kommentieren. Lieber sprechen sie ein Thema ausreichend durch, informieren sich oder suchen eine qualitativ hochwertige Unterhaltung mit Einzelpersonen. Sie gelten dann häufig als still oder wortkarg, während sich in ihren Köpfen jedoch einiges abspielt.
Ruhig durch Erfahrungen und psychische Probleme
Die Grenzen zwischen Introversion und psychischen Problemen und Krankheiten ist sehr schwer zu bestimmen. Das heißt nicht, dass Introvertiertheit eine Krankheit oder ein Problem wäre. Aber es gibt nun mal Begleiterscheinungen und Gemeinsamkeiten zu Zuständen, die problematisch sind.
Denn ruhige Menschen sind häufig deshalb ruhig, weil sie sich unwohl fühlen. Soziale Ängste können dazu führen, dass Menschen nichts sagen, weil sie sich vor der Reaktion ihres Gegenübers fürchten oder Ablehnung erwarten. Sozialphobien gehen noch einen Schritt weiter und lösen eine schwere körperliche Reaktion bei den Betroffenen aus, manchmal noch lange vor einer Interaktion.
In sozialen Situationen kann es zu Schweißausbrüchen oder depressiven Phasen und Gedanken kommen. Dadurch verhalten sich die Betroffenen eher ruhig, um nicht in Situationen zu kommen, in denen sie jemanden „provozieren“ könnten oder sie die Kontrolle verlieren.
Wenn der Rückzug oder die Schüchternheit so stark werden, dass man das Leben nicht mehr genießen kann, liegt keine Introversion vor – beziehungsweise ist die Introversion nicht die Ursache der Probleme. Es gibt zahlreiche Anlaufstellen online, um sich weiter zu informieren, hier sind drei davon:
Bundesministerium für Bildung Forschung zum Thema Psychotherapie bei sozialer Phobie
Therapie.de über Soziale Phobie
Website der Deutschen Depressionshilfe
In eine ähnliche Richtung geht auch das Ruhigsein durch Erfahrungen. Wer als Kind von den Eltern gezwungen wurde, sich still und unauffällig zu verhalten, kann das mit ins Erwachsenenalter tragen. Sprüche wie „Nun sei doch mal still“ oder „Das interessiert mich nicht“ können sich einbrennen und das Verhalten von Personen dauerhaft beeinflussen. Diese Menschen sind also nicht ruhig, weil sie nichts zu sagen hätten, sondern weil ihnen eingebläut wurde, es wäre nicht wichtig, was sie zu sagen haben.
Ruhe als Ideal
Letztlich gibt es noch die Menschen, die Ruhe als Ideal sehen. Das soll heißen, dass sie die Fähigkeit zu Schweigen und zur Reflexion als erstrebenswert ansehen. Im Buddhismus gelten Meditation und Achtsamkeit beispielsweise als heilsam und erfüllend.
Ruhige Menschen in Beziehungen
Menschen sind also ruhig, weil sie bestimmte Eigenarten besitzen, mit Dämonen zu kämpfen haben oder Schweigen als Teil der Selbstverwirklichung betrachten. Egal woher die Ruhe kommt, es gibt keinen Grund, sie deshalb nicht zu lieben oder wertzuschätzen. Trotzdem werden ruhige Menschen in Beziehungen aller Art häufig kritisiert oder gar abgelehnt.
Freundschaften
Ruhige Menschen können von Freunden dafür abgelehnt werden, dass sie so selten etwas sagen. Es ist schwierig, genau zu bestimmen, woher das kommt. Es gibt die „Freunde“, die nur an sich denken und genervt sind, wenn sich jemand nicht so verhält, wie sie es erwarten. Es gibt aber auch diejenigen, die sich vom Schweigen ihres Freundes verletzt fühlen. Sie nehmen Zurückhaltung persönlich.
Manchmal geht es auch gar nicht um die Quantität der Worte, sondern um andere Formen von Aktivität. Wenn stille Menschen nicht auf Partys gehen wollen, große Gruppen meiden oder lieber ein Buch lesen statt rauszugehen, dann sind sie ebenfalls „zu ruhig“ und schwimmen (scheinbar) gegen den Strom.
Zum Glück gibt es aber auch genügend Freundschaften, die hervorragend funktionieren. Zwischen mehreren ruhigen Personen, aber auch zwischen introvertierten und extrovertierten Menschen. Statt sich für die Verschiedenheiten zu schämen, werden sie als wichtiger Teil der Dynamik betrachtet.
Partner
Nahezu alles, was zum Thema Freundschaft gesagt wurde, kann auch auf romantische Beziehungen angewandt werden. Dabei geht es um Zurückweisung, Unsicherheiten und Vorwürfe. Auch hier gibt es keinen Grund, alle über einen Kamm zu scheren. Doch hochkommunikative Partner finden es oft schwierig mit der Wortkargheit ihres Partners umzugehen. Das heißt auch, dass das Ausmaß der Gefühle gelegentlich unterschätzt wird, weil stille Menschen ihre Liebe seltener in Worten ausdrücken.
Kollegen
Im Arbeitsumfeld werden Ruhige hinsichtlich ihrer Beziehungen zu Kollegen auf die Probe gestellt. Richtig eingesetzt, sind zurückhaltende Mitarbeiter unglaublich wertvoll. Steckt man Introvertierte jedoch in Meetings, in denen sie nicht zu Wort kommen, werden sie oft als entbehrlich oder zumindest nicht effektiv eingestuft. Somit sehen sie sich damit konfrontiert, zu reden, wenn sie nichts zu sagen haben oder zu schweigen, obwohl sie etwas zu sagen haben.
Ein Lichtblick für alle Intros und Eigenbrötler: Auch ruhige Menschen sind erfolgreich. Meist spielen sie sich nur nicht so auf.
Warum werden ruhige Menschen unterschätzt?
Wer sich allerdings nicht aufspielt, der wird auch schnell unterschätzt. In westlichen Gesellschaften wird mittlerweile erwartet, dass wir uns besser verkaufen, als wir eigentlich sind. Es geht nicht zwangsläufig darum, was wir können, es geht darum, was wir darstellen.
Extroversion (auch: Extraversion) ist das Ideal. Auf Menschen zugehen, sozial sein, im Mittelpunkt stehen, gesehen werden. In der Schule werden Gruppenarbeiten immer wichtiger, in den Zeugnissen steht selbst bei den besten Schülern: „Muss sich mehr am Unterricht beteiligen“.
Und es stimmt, ruhige Menschen sollten sich häufiger am Unterricht beteiligen. Denn viele von uns haben gute Gedanken und wichtige Dinge zu sagen. Doch es geht zu häufig um eine bestimmte Antwort und zu selten darum, komplexe Gedanken zu entwickeln.
Das ist im Berufsleben nicht anders. Es muss schnell und effektiv laufen. Kreativität ist in den meisten Jobs zweitrangig. Und selbst dort, wo sich Mitarbeiter und Angestellte kreativ einbringen sollen, sprechen die Extrovertierten und Selbstdarsteller zuerst.
Ruhige Menschen kommen also seltener zu Wort. Nicht nur das, ihnen wird vermittelt, dass sie ohne eine große Klappe weniger wert sind – was leider häufig dazu führt, dass sie ihre Ideen und Gedanken für wertlos halten.
Extrovertiert zu sein, gilt außerdem als attraktiv. Viele Freunde zu haben, erzeugt den Eindruck, man müsse intelligent, witzig oder gut sein. Jeder kennt die Menschen, die der Mittelpunkt der Party sind. Oder die Spaßmacher der Klasse. Mit ihnen kann man etwas erleben und sie leiten häufig Gespräche und Aktivitäten, die wir positiv bewerten.
Aber Achtung: Das ist auch völlig legitim. Die Verteidigung und Hervorhebung ruhiger Menschen, muss nicht bedeuten, andere herunterzumachen. Was hier kritisiert wird, ist die Gesellschaft, die Personen feiert, die keine echten Qualitäten neben der Selbstdarstellung haben, während andere, die sich schlechter ausdrücken, automatisch in die hintere Reihe gesetzt werden.
Denn das führt zu einem Qualitätsverlust. In jeglicher Hinsicht. Introvertierte und stille Menschen investieren (fast alle) mehr Zeit in komplexe Gedanken und kreative Ideen. Doch wenn sie zwischen zwei Extrovertierten stehen, wird niemand die tollen Dinge hören, die sie zu sagen haben.
Am Ende wird den Ruhigen nichts zugetraut. Denn sie schaffen es einfach nicht, ihre Qualitäten zu zeigen und zu beweisen.
Die Stärken ruhiger Menschen
Dass es ein großer Fehler ist, introvertierte und stille Menschen nicht zu Wort kommen zu lassen und zu fördern, ist wohl bereits klargeworden. Doch warum eigentlich? Wie würden wir davon profitieren, wenn mehr Zeit ins Denken und weniger ins Reden und Aufspielen investiert wird?
Erst nachdenken, dann reden
Meinungsfreiheit erlaubt uns, fast alles zu sagen, was wir denken. Natürlich geht es jetzt nicht darum, dieses Recht abzuschaffen. Aber es wird nun mal von zu wenigen Menschen gewissenhaft eingesetzt.
Politik, Diskussionen, Familientreffen – alles wird von Emotionen geleitet, von Halbwahrheiten und Hörensagen. Die Welt ist so komplex geworden, dass wir sie gar nicht richtig begreifen können und anstatt sich das einzugestehen, lassen sich die meisten Menschen dazu verleiten, sich einfach keine Mühe mehr zu geben.
Wer jedoch mehr Zeit mit der Beobachtung verbringt, einen Gedanken durchspielt, bevor er ihn äußert und sich der Tragweite nahezu jeder Aussage bewusst ist, vermeidet diese Falle. Die Worte ruhiger Menschen haben häufig Hand und Fuß*.
*Nein, nicht alle sind klug, belesen oder frei von Fehlern,
das soll nicht behauptet werden.
Qualität vor Quantität
Introvertierte lieben Qualität. Denn mit „viel“ – Worten, Menschen, Eindrücken – sind sie schnell überfordert. Außerdem mögen sie es nicht, wenn sie von etlichen Dingen beeinflusst werden, denn so lässt sich ein Moment oder eine Aktivität nicht genießen.
Ähnlich wie der Hang zu überlegten Aussagen, ist der Qualität vor Quantität Ansatz einer, der ruhige Menschen von der Masse absetzt. Denn im Kapitalismus steht Quantität an erster Stelle und in diesem Sinne werden wir erzogen und leben wir. Die negativen Folgen für unsere Psyche, die Umwelt und die gesamte Menschheit sollen an diesem Punkt nicht aufgezählt werden, sonst wird das hier ein Roman.
Der ganz spezielle Humor
Ruhige Menschen sind witzig. Nicht alle, um Himmels Willen, aber der Humor von stillen Personen ist sehr speziell. Denn er basiert sehr häufig auf Observierung und Zusammenhängen, die nicht jeder erkennt. Sich für Dinge Zeit zu nehmen, bedeutet, sie besser zu verstehen und somit auch die ulkigen und ungewöhnlichen Seiten zu erkennen.
Die Witze sind teilweise so durchdacht, dass sie gar nicht verstanden werden. Laughtracks sagen uns mittlerweile, was witzig ist. Serien wie Big Bang Theory sind lange erfolgreich, obwohl der Humor nicht besser wurde, sondern eher schlechter. Da ist es doch erfrischend, wenn ein Witz erst über drei Ecken entsteht. Der Preis, den ruhige Menschen dafür zahlen, ist, dass sie gelegentlich komische Blicke ernten oder sie als einzige über ihre Witze lachen.
Die Stärken ruhiger Menschen sind damit selbstverständlich noch nicht erschöpft. Sie arbeiten gewissenhaft, interessieren sich für die Sorgen anderer und sind die besseren Zuhörer. Doch auch ohne jeden einzelnen Vorteil aufzuzählen, sollte jetzt klar sein, dass ruhige Menschen mehr verdienen, als doofe Sprüche darüber, warum sie denn so still seien, ob mit ihnen etwas nicht stimme oder ob sie arrogant sind.
Wer den Hochgenuss der Ruhe und der Einsamkeit gefunden, der hat das Gück erfunden.
Klaus Ryz Berlin
Abu Bakr, Freund des Propheten Muhammed ﷺ sagte: „Einsamkeit ist besser als die Gesellschaft schlechter Menschen.“
Man muss nicht zu allem eine Meinung haben -bzw.diese anbringen .Ich weiß genau welchen Schaden ich vorher schon anrichte wenn ich etwas sage (manches mal mit Absicht)wenn jemand arrogant ist!