Was ist Brainrot (Hirnfäule)?

Stell dir vor, jemand schenkt dir ein Auto, das mit allen möglichen Kraftstoffen fahren kann. Du kannst Kartoffeln in den Motor schmeißen oder Chicken Nuggets, sogar Topfpflanzen – egal in welchem Zustand.

Im Kleingedruckten deines Nutzerhandbuchs steht natürlich, dass das Auto dann nicht so schnell fährt. Manchmal fährt es auch spontan in die falsche Richtung. Mit diesen minderwertigen Kraftstoffen wird dein Auto sogar einfacher zu stehlen sein.

Wenn du allerdings Benzin einfüllst, dann fährt dein Auto lange und sicher. Wofür entscheidest du dich?

Bestimmt für das Benzin.

Auch dein Gehirn hat ideale Kraftstoffe und weniger ideale Kraftstoffe. Und die Chancen stehen sehr, sehr gut, dass du jeden Tag alles Mögliche in den Tank schüttest, aber sehr, sehr wenig Benzin. Und genau wie ein Wunder-Auto, das mit Kartoffeln und Toppflanzen fahren könnte, irgendwann zerfällt und vergammelt, vergammelt auch dein Gehirn. Das ist die die Idee hinter Brainrot, also einem gammligen Gehirn.

Was verursacht Brainrot?

Brainrot wird unter anderem als Beleidigung für jemanden genutzt, der einer Verschwörungserzählung verfallen ist. Manchmal ist es eher eine Selbstbeschreibung, weil man sich nicht von Social Media lösen kann. Es ist praktisch das Gegenstück zum „Touch grass“-Meme, das besagt, man müsse mal wieder vor die Tür gehen.

Ich benutze Brainrot heute, um zu zeigen, dass wir vielleicht nicht unbedingt dümmer werden, aber mehr Pech beim Denken und sogar beim Fühlen haben.

Wenn uns langsam grün-weiß-braune Schimmelpilzchen aus den Ohren kriechen würden, wäre es wohl leichter, über dieses Thema zu sprechen und es als Problem zu benennen.

Die Grundannahme für heute ist, dass Gehirne einen Idealzustand haben, in dem sie uns nicht nur am Leben erhalten, sondern auch mit einem Gefühl der Zufriedenheit segnen. Die folgenden Faktoren tragen ihren Teil dazu bei, dass wir nicht mal annähernd dorthin kommen, wo wir sein wollen.

brainrot tipps

Social Media

Das Lieblingsthema in Verbindung mit unseren unterforderten oder überforderten oder falsch geforderten Gehirnen ist Social Media. Wir nutzen Instagram, Reddit, YouTube, Facebook und Co. zu viel und es schadet uns.

Ja. Ich kenne nicht einen einzigen Menschen, der das Gegenteil behaupten würde. Wir haben vielleicht unterschiedliche Meinungen dazu, was schädlich ist und was nicht. Oder was zu viel ist und was nicht. Aber abgesehen von den CEOs hinter den Social Media Apps scheint keiner die Message zu verbreiten, dass viel Social Media Nutzung eine geile Sache ist.

Zahlen Social Media Nutzung Statistik (1): https://www.meltwater.com/de/blog/social-media-marketing-statistiken

Ich will natürlich nicht nur wiederholen, was wir alle schon wissen. Ein unterschätzter Faktor der Social Media Nutzung ist Folgender: Wir verzerren unser Weltbild. Wir glauben bald, dass alle hochgradig extreme Meinungen zum Gendersternchen, zu Star Wars und Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Autobahnen haben. In Wahrheit und im echten Leben haben viele Menschen eine gemäßigte Meinung. Klar sagt man auch im echten Leben mal was Dummes.

Aber wenn wir uns gegenüber stehen, werden wir seltener beleidigend. Wir erklären uns besser. Können Empathie wirken lassen. Das ist deutlich anspruchsvoller und gesünder, als 99% von dem, was auf Twitter oder in der Kommentarspalte von Instagram passiert.

Fehlende Verbundenheit und Empathie

Eng mit Social Media verbunden, ist die Tatsache, dass wir zwar digitale Kontakte zu Tausenden haben können, aber reale Kontakte seltener werden. An dieser Stelle möchte ich digitale Kontakte nicht verteufeln. Manch einer findet online eine Gemeinschaft, die es im direkten Umfeld einfach nicht gibt. Jeder tickt da anders.

Aber für die allermeisten Menschen ist es dramatisch schlecht für die Gesundheit, wenn sie keine persönlichen, engen Kontakte haben. Sie fühlen sich der Welt nicht mehr verbunden und sie leiden unter fehlender körperlicher und emotionaler Nähe.

Einsamkeit ist teilweise gefährlicher als Rauchen, Alkohol oder fehlender Sport. Einsame Menschen sind anfälliger für Krankheiten und sterben durchschnittlich früher. Sie haben auch ein erhöhtes Risiko an Depressionen und Demenz zu erkranken.

Weiterführende Information (2) https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/engagement-und-gesellschaft/strategie-gegen-einsamkeit/wissen-zu-einsamkeit-vertiefen-228600#:~:text=Ergebnisse%20des%20%22Einsamkeitsbarometers%202024%22%20zeigen,bei%20etwa%2011%20Prozent%20lagen

Weiterführende Information (3): https://www.theguardian.com/lifeandstyle/article/2024/jun/16/the-loneliness-trap-it-is-as-bad-as-smoking-15-cigarettes-a-day-so-will-it-shorten-my-lifespan

Ich glaube, viele Menschen spüren Einsamkeit, verstehen das aber nicht oder wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen. Denn sie sind eben nicht allein, sie kennen und treffen unfassbar viele Menschen, sind online mit der ganzen Welt verbunden.

Aber in Wahrheit gibt es kaum noch feste gesellschaftliche Konventionen, die uns miteinander verbinden. Die Welt ist kompliziert und wir kämpfen bei jedem noch so kleinen Thema so heftig, als würde es um das Ende der Welt gehen. Die 8. Folge von House of the Dragon Staffel 2 hat keine echten Auswirkungen auf dein Leben oder meines, aber trotzdem rufen einige das Ende von Kunst und Gesellschaft gleichermaßen aus. Weil wir eben lieber gut teilbare Einzeiler in die Welt brüllen, als Themen komplett zu durchdenken – oder auch einfach mal keine Meinung zu haben.

Frag mal deine Großeltern oder Eltern, was in ihren jungen Jahren so für Konflikte auftraten. Versteh mich nicht falsch: Früher war nicht alles besser. Aber es war eben greifbarer. Die überwiegende Mehrheit der Probleme war zu sehen und beschränkte sich auf das persönliche soziale Umfeld. Nur wenige landesweite, europaweite oder weltweite Themen hat man täglich gespürt und diskutiert. Allein die Tagesschau jeden Tag zu sehen, kann heute überfordern, wenn man zu allem auf dem Laufenden bleiben und eine Meinung haben will.

Empathisch zu sein, zuzuhören, Diskussionen ohne Beleidigungen führen, die Meinung auch mal ändern, lernen, mal nichts sagen – auch all das gehört zu einem gesunden Verstand dazu. Aber das wird seltener. Und dieser Zustand reproduziert sich eben selbst: Je häufiger wir streiten, auf taube Ohren stoßen oder uns komplett abschotten, umso weniger sind wir bereit, Zeit und Mühe zu investieren.

Ich nehme mich da nicht raus. Auch mir passiert das. Speziell dass ich denke, dass die extremen Meinungen, die ich online sehe, ein akkurates Abbild der Menschheit wären. Und dann passiert es mir auch, dass ich schneller wütend werde, nicht richtig zuhöre, frustriert bin.

Social Media verführt uns zu schnellen Urteilen und lässig dahin getippten Meinungen. Die überwältigende Komplexität moderner Probleme verführt uns zu Frustration und oberflächlichen Schlussfolgerungen. Der unfassbar sinnlose Stress, den wir heutzutage spüren, verführt dazu, lieber abzuschalten, um unsere Gehirne nur nicht noch mehr zu überfordern.

Stress

Man kann es nicht oft genug betonen: Stress sollte eine vorrübergehende Reaktion sein. Etwas ist aufregend, wir müssen aufmerksam sein, unsere Gehirne und Körper sind bereit. Das ist zum Überleben wichtig, aber es ist eben auch ein Extremzustand.

Dumm nur, dass viele Menschen das Gefühl haben, permanent unter Stress zu stehen.

Stress wird oft als diese künstliche Sache gesehen, die wir uns selbst auferlegen. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Ja, natürlich gibt es Methoden und Techniken, um die Welt so zu betrachten, dass wir weniger Belastung spüren. Aber: Am Ende des Tages ist Stress eine körperliche Reaktion, die in vielerlei Hinsicht außerhalb unserer Kontrolle liegt.

Stress verändert unser Gehirn eben nicht nur zeitweise. Forschungen zeigen: Wer zu viel Stress erlebt, der formt sein Gehirn um.

Weiterführende Information (4) https://www.health.harvard.edu/staying-healthy/understanding-the-stress-response

Dauerstress kann den Hippocampus schrumpfen lassen – der Teil unseres Gehirns, der unter anderem für das Lernen verantwortlich ist. Die Amygdala, die unter anderem Stresshormone steuert, wird hingegen eher aktiver und reagiert somit empfindlicher und heftiger. Das Gehirn baut sich um, wenn es nicht mehr aus dem Stresszustand herauskommt.

Da wirkt das Gleichnis vom Gehirngammel auf einmal doch gar nicht mehr so abwegig, oder? Zumal Stress eben bei all den in diesem Video besprochenen Faktoren seine Finger im Spiel hat. Bist du gestresst, weil du zu wenig Zeit für die wichtigen Dinge hast? Oder hast du so wenig Zeit für die wichtigen Dinge, weil du gestresst bist? Das lässt sich nicht wirklich trennen – schon gar nicht, wenn du gerade unter Stress leidest.

Stress ist heute der böse, böse Gegner, der Menschen in den Burn-Out treibt, weniger empathisch sein lässt und manchmal sogar noch sehr viel drastischere Konsequenzen hat. Doch Stress an sich ist weder gut noch böse. Er ist eine sinnvolle, lebenserhaltende Reaktion unseres Körper – mit ganz wenigen Ausnahmen. Also müssten wir eigentlich lernen, die Warnsignale zu erkennen und effektiv Anpassungen in unserer Umwelt vorzunehmen, um unseren Gehirnen nicht zu schaden. Das gelingt aktuell so gut wie niemandem. Unter anderem auch deshalb, weil wir unsere Körper weniger stressresistent machen, indem wir uns schlecht ernähren und zu wenig oder falsch bewegen.

brainrot meme deutsch

Ernährung und Bewegung

Zu viel Zucker? Schlecht. Zu weniger Zucker? Für viele auch schlecht. Zu viel Salz? Schlecht. Zu wenig Salz? Auch schlecht. Sonne? Brauchen wir. Zu viel Sonne? Gefährlich.

Das könnte ich jetzt noch gute acht Stunden weiter so durchziehen. Nicht nur, dass das wohl nicht wirklich interessant für dich wäre. Wichtiger ist eigentlich noch, dass dann sehr berechtigt sofort die Kritik käme: Sowas wie eine perfekte Ernährung gibt es eh nicht.

Stimmt – zumindest ist eine perfekte Ernährung für einen Normalbürger kaum umzusetzen. Aber es gibt ja einen gewaltigen Unterschied zwischen: Ich habe meine Ernährung nicht auf 100% optimiert, um meine Hirnleistung zu steigern und … egal, gib her die Tiefkühlpizza und dann lass es wie die Delfine machen und Plastik fressen.

Wenn wir darüber sprechen, warum wir nicht mehr aus unseren Gehirnen und Leben herausholen, dann ist Ernährung ein richtig großer Faktor. Einer, auf den die allermeisten von uns riesigen Einfluss haben. Herausnehmen möchte ich an dieser Stelle die Menschen, die ein extrem enges Budget haben, unter einer chronischen Krankheit leiden oder noch das essen, was Mama und Papa vorsetzen.

Ist die Message nun also: Reißt euch zusammen und knabbert an einer Karotte? Leider nein. Denn in Wahrheit werden wir nahezu 24 Stunden am Tag mit Versuchungen und widersprüchlichen Signalen konfrontiert. Sich gesund zu ernähren – was auch immer das heißen mag – heißt jeden Tag die Kraft zu haben, Werbung, Marketing und Manipulation zu widerstehen.

Nur mal so: Dass du geil auf die Kombi Zucker und Fett bist, ist keine persönliche Schwäche von dir. Das ist ein Überlebensinstinkt. Zucker und Fett sind wichtig, um schwere Zeiten zu überstehen – nur hat unseren Gehirnen niemand schnell genug beibringen können, dass schwere Zeiten ausbleiben. Wir jagen unser Futter nicht und müssen nicht auf Reifeprozesse warten.

Dein Gehirn gibt dir das Signal, dass fettiges, süßes Essen gut für dich ist – und dann leidet es darunter, dass du genau das isst und trinkst. Fair klingt das nicht.

Aber es ist eben ein großer Faktor, wenn es darum geht, warum wir uns schlapp fühlen. Nicht so gut konzentrieren können. Reizbarer sind und das Gefühl haben, mehr zu vergessen, als wir neu lernen können.

Viele Brainrot-Artikel und Videos und Besprechungen befassen sich vor allem damit, was Social Media oder die Medien allgemein mit uns machen. Aber wie können wir das besprechen, ohne zu erwähnen, dass es schwerer und schwerer wird, diesen Dingen zu widerstehen, wenn wir uns selbst schwächen? Vom Alkohol fange ich an dieser Stelle gar nicht erst an, okay?

Mehr dazu (5): https://www.mpg.de/20023125/0320-neur-suessigkeiten-veraendern-unser-gehirn-153735-x

Da kommt ja noch was hinzu: die fehlende körperliche Fitness. Wenn du nur eine Sache mitnehmen kannst dann, dass jede noch so kleine zusätzliche Bewegung im Alltag wahre Wunder auf dein Gemüt wirken kann.

Ich betone immer wieder, wie kleine Spaziergänge lebensverändert wirken können. Möglicherweise bin ich da voreingenommen? Reine Spekulation. Kann niemand beweisen.

Aber all die Dinge, die du vielleicht mit einem nicht optimal arbeitenden Gehirn verbindest – Brain Fog zum Beispiel oder vielleicht mangelnde Stressresistenz – können ein klein wenig besser werden, wenn du deinem Körper genug Bewegung bietest.

Das fühlt sich an wie eine zu große Versprechung in einem Video, in dem alles bisher verdammt schlimm klingt. Ich will nur kurz und einfach wiederholen, was du schon aus den Medien, von den Ärzten, deinen Freunden, deiner Familie, irgendeinem Influencer auf TikTok, deinem Nachbarn und solltest du einen haben auch deinem Hund hörst: Wir bewegen uns zu wenig.

Das hat – genau wie Ernährung – auf den ganzen Körper Einfluss. Und somit auch auf das Gehirn.

Mehr dazu (6): https://www.aerzteblatt.de/archiv/209444/Sport-als-Praevention-Fakten-und-Zahlen-fuer-das-individuelle-Mass-an-Bewegung

Fehlendes lebenslanges Lernen

Wir befinden uns meiner Meinung nach in der Mitte eines Problems, das immer so ein wenig hinter SOCIAL MEDIA IST SCHLECHT und DIE GESELLSCHAFTLICHEN KONFLIKTE ZERSTÖREN UNS verblast. Das fehlende lebenslange Lernen ist jetzt schon ein Problem, aber es wird noch viel, viel schlimmer werden. Wir sind kaum noch bereit, Zeit und Mühe ins Lernen zu investieren. Warum auch? Wir haben das Internet jederzeit griffbereit. Ich muss mir keine Adressen merken, die sind bei Google Maps zu finden. Einfache Grundrechenarten? Trotz der wiederholten Behauptungen meiner Mathe-Lehrerin haben wir eben doch immer einen Taschenrechner dabei.

Fairerweise muss man sagen, dass wir das Internet eben auch nutzen können, um unseren Gehirnen etwas Gutes zu tun. Einige Videospiele trainieren motorische Fähigkeiten und kreatives Denken. Wir können über jedes beliebige Thema zu jeder Zeit einen hervorragenden Vortrag hören. Einige Menschen lernen dank des Internets, was es heißt, introvertiert zu sein. Alles tolle Dinge.

Aber wir sind eben auch sehr gut darin, Abkürzungen zu nehmen. Digitale Hilfsmittel sind praktisch rot leuchtende, blinkende Verführungen, um etwas Hirnkraft zu sparen. Da spielt wieder der vorher angesprochene Stress mit rein: Wenn das Leben schon auf uns einprasselt wie Hagel in einem Gewitter, ist es da nicht normal, dass wir unseren Hirnen eine Pause gönnen wollen?

Gehirne sind plastisch. Sie können sich also verändern, man kann sie trainieren. Selbst im hohen Alter noch. Aber wenn wir dafür keine Zeit und Energie finden, dann verkümmern sie eher. Wie groß dieser Effekt wirklich ist, hängt von unzähligen Faktoren ab. Unserem Alter zum Beispiel. Aber auch davon, wie gesund wir sind oder wie stark wir daran glauben, Kontrolle über unser Leben zu haben.

Dass man viele Informationen zur Verfügung hat und verarbeitet, ist nur ein Teil des Lernens. Man muss seine Thesen auch hinterfragen. Fähigkeiten pflegen oder neu entwickeln. Nicht sofort die Lösung googeln, sondern erst einmal selbst an einem Problem arbeiten. Praktische Dinge lernen wie neue Bewegungsabläufe, handwerkliches Geschick oder auch Social Skills.

Ich behaupte einfach mal, dass viele von uns für ein zufriedenes oder gar glückliches Leben sehr viel Aufmerksamkeit in unsere Gesundheit stecken müssen. Speziell in die Gehirn-Gesundheit. Aber irgendwie führen wir darüber kaum öffentliche Debatten. Das soll mal jeder mit sich selbst ausmachen.

Na gut. Scheint aber nicht so gut zu funktionieren, oder? Vielleicht auch, weil dieses Video nicht mal Platz hatte für die Themen Alkohol, chronische Erkrankungen, den Einfluss von Trauma auf das Gehirn oder Umweltgifte.

hirnfäule

Lösungen: Wie kannst du dich vor Brainrot schützen?

Dieses Kapitel bestand mal aus unzähligen Unterpunkten. Da waren Empfehlungen für Bewegung dabei, dann noch reizfreie Zeit, Ernährungstipps, bla, bla, bla. Aber in diesem Gedankenspiel darüber, warum wir uns so schwer konzentrieren und zufrieden fühlen können, werde ich nun ironischerweise alles extrem hart herunterbrechen.

Die einzige Message soll an dieser Stelle sein, dass es in Wahrheit unfassbar einfach sein kann, sein Gehirn zu pflegen. Ja, trotz all der vorher erwähnten Probleme, ist es am Ende leicht.

Denn: Du schlägst ja nicht mit einem Hammer auf deinen Kopf. Niemand kommt zu dir nach Hause und spritzt dir ein Nervengift. Brainrot geschieht nicht plötzlich, sondern durch hunderte, wenn nicht tausende tägliche Mikroeindrücke und -entscheidungen.

Also sind auch kleine Veränderungen viel wert. Es geht darum, Verhaltensweisen zu stapeln. Mehr Wasser trinken, hebt nicht den Effekt von 2 Stunden TiKTok am Tag auf. Ein Buch zu lesen, ist nicht genug, um Schlafmangeleffekte zu bekämpfen. Ein Spaziergang ist nicht genug, um mit dem Zustand der zerrissenen Gesellschaft klarzukommen.

Aber: Jeden Tag genug Wasser zu trinken, ein paar Kapitel eines Buches zu lesen und einen Spaziergang zu machen, all das wappnet dich für die Verführungen und Probleme der Welt. Für viele Menschen ist das umsetzbar. Genau wie etwas mehr Grünzeug in der Ernährung, kein Social Media im Schlafzimmer oder auch etwas mehr Zeit mit einem geliebten Menschen zu verbringen.

Ich hatte früher auch eine Alles-oder-nichts-Einstellung. Entweder, ich schaffe es bis morgen früh, alles in meinem Leben perfekt zu optimieren … oder ich lasse es bleiben und mach so weiter wie bisher.

Er ist auch fies, dieser Motivationsschub, der uns einredet, morgen kann schon alles besser sein. Der fühlt sich halt auch so mega gut an. Aber er verfliegt. Immer. Selbst diejenigen, die ihr Leben krass verändert haben, werden dir sagen, dass es eben nicht über Nacht ging.

Denn deine Konzentrationsprobleme, Reizbarkeit und Stressanfälligkeit sind ja auch nicht über Nacht entstanden. Sie sind die Folge von gestapelten Problemen, die einzeln winzig klein wirken und gemeinsam viel Schaden anrichten.

Ich kann dir nicht genau sagen, welchen Verhaltensweisen dir ein bisschen Kraft rauben oder das Denken und Fühlen erschweren. Das ist zum einen nicht das Ziel dieses Artikels. Zum anderen schaffe ich es aber schon bei mir selbst nicht immer, den Finger in die Wunde zu legen – oder die Wunde überhaupt zu finden.

Somit wäre es vermessen, hier allgemeingültige Tipps zu geben und Versprechungen zu machen. Wenn die finale Sekunde des Videos verrinnt, hoffe ich einfach, dass dir viele neue Gedanken durch den Kopf schwirren – und ich hoffe, dass einige davon dich dazu befähigen, positive Veränderungen vorzunehmen.

gehirngammel brainrot

Warum Brainrot unsere Gesellschaft zerstört

Woran zerbricht unsere Gesellschaft gerade?

Die Liste der vermeintlichen Ursachen ist lang. Am ehesten wird auf die extremsten Menschen der Gesellschaft mit dem Finger gezeigt. Logischerweise. Berechtigterweise.

Doch die wird es immer geben und es gab sie auch schon immer. Extreme Meinungen und Ansichten sind Teil jeder Gesellschaft. Das wird sich nicht verhindern lassen.

Es gibt genug Menschen, die von sich sagen, sie gehören zur Mitte der Gesellschaft, während sie – mindestens online – einigen Personen im besten Fall weniger Rechte wünschen, und im schlimmsten Fall Leid und sogar den Tod.

Menschen, die sich als gemäßigt und vernünftig bezeichnen, bedrohen andere Menschen wegen ihrer Meinung zu einem Film, einer Serie oder einem Videospiel.

Menschen, die sich für aufgeklärt und weltoffen halten, springen auf einen Cancel-Zug auf, bei dem dutzende YouTuber wieder und wieder und wieder auf jemanden herabrotzen – alles zur reinen Unterhaltung und Selbstüberhöhung. Ach nein, sorry, weil man Fehlverhalten ja kritisieren muss, möglichst 8 Mal pro Woche und nur solange es Reichweite gibt, natürlich.

Es ist immer schwer, sich Fehler und Fehlverhalten einzugestehen. Aber heutzutage, in der vermeintlich aufgeklärtesten Zeit der Menschheitsgeschichte, ist es vielleicht schwerer denn je. Der absolute Durchschnittsbürger, Max Mustermann, wird hineingesogen in eine Welt der tiefen Gräben und extremen Meinungen. Und sein Gehirn ist nicht darauf vorbereitet, sich dagegen zu wehren.

Kannst du dich an deine Kindheit erinnern und an einen Moment, in dem du eine Regel gebrochen hast? Vielleicht hast du genascht, obwohl es schon spät war. Oder hast ein böses Wort gesagt. Möglicherweise hast du eine Lüge erzählt und wurdest erwischt.

Die Strafe waren Scham und Schuld. Ja, wahrscheinlich auch Hausarrest oder Fernsehverbot. Aber die eigentliche Strafe war das Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben.

Im Regelfall sind die anknüpfenden Bestrafungen so gestaltet, dass du in diesem Gefühl verweilen musst. Keine Ablenkungen durch Freunde, Fernsehen oder Spaß. Du hast eine Regel gebrochen, das sollst du nicht wieder tun, dafür musst du erst einmal verstehen, dass Handlungen Konsequenzen haben.

Und genau das gibt es nicht mehr.

Ein vergammelndes Gehirn wird sich keine Zeit für Schuld oder Scham nehmen. Es wird sich ablenken. Und es wird den kürzesten Weg zu Erleichterung nehmen. In der modernen Gesellschaft heißt das unter Umständen, dass du noch einen draufsetzen wirst. Du kannst nicht zugeben, dass dein erstes extremes Gefühl der Wut auf jemanden oder auf eine Gruppe nicht rational war. Du suchst dir andere, die deine Meinung teilen. Guckst nach Gründen, warum du Recht hast. Ignorierst alle, die dich korrigieren wollen.

Die „moderne Welt“ will nicht, dass du in einem Gefühl sitzt und es von vorne bis hinten spürst. Sie will auch nicht, dass du ein Problem komplett durchdenkst. Die moderne Welt bombardiert dich mit Eindrücken, Meinungen, Streit und in Überschriften zusammengefassten Gefühlen. Und du bist nicht darauf vorbereitet. Denn ein überfordertes Gehirn kann sich schlecht wehren. Und ein Gehirn, das sich schlecht wehren kann, ist schnell überfordert.

Natürlich ist dies nicht die einzige Reaktion auf Brainrot. Es gibt auch Menschen, die nicht extremer oder aggressiver werden, sondern eher aufgeben. Sie verfallen in eine Lethargie, in der sie sich einfach für nichts mehr wirklich interessieren. Aber das ist die Minderheit. Viel mehr Menschen – wie gesagt, viele von ihnen felsenfest davon überzeugt, nicht betroffen zu sein – werden gestresster, streitlustiger und vor allem: weniger vernünftig.

Leider ist die Antwort nicht, einfach weniger auf Social Media rumzuhängen. Denn längst hat sich vieles davon auf die Straßen und auch an die Küchentische dieser Welt bewegt. Wir sehen einander nicht mehr als komplexe Persönlichkeiten voller Erfahrungen, Hoffnungen und Ängste. Wir sehen diejenigen mit der anderen Meinung, die uns stören. Die alles noch schlimmer machen.

Auf persönlicher Ebene ist Brainrot tragisch. Wir fühlen unsere Gefühlen nicht mehr ganz so intensiv. Verlieren den Kontakt zu uns selbst und manchmal auch zu unserem sozialen Umfeld. Verpassen es, unser Leben wirklich so zu gestalten, dass wir am Ende mit einem Lächeln zurückschauen können.

Auf gesellschaftlicher Ebene ist Brainrot gefährlich. Abgelenkte, betäubte und gestresste Menschen werden weniger empathisch. Sie kommunizieren schlechter. Hören nur, was ihre Meinung schon bestätigt, ignorieren alles, was ihr Weltbild erschüttern könnte.

Es wäre absurd zu behaupten, dass alle Probleme nur auf suboptimal arbeitende Gehirne zurückzuführen wären. Aber mir fällt auch keine große Baustelle der Gesellschaft ein, bei der Gesundheit, speziell die Gesundheit unserer Gehirne, keine Rolle spielen würde. Unser Gehirn macht uns zu dem, was wir sind. Es arbeitet rund um die Uhr, ist immer dabei.

Man sieht das ja nicht nur an den vielbesprochenen Problemen unserer Gesellschaft, sondern auch an den vielen Lösungsansätzen.

Minimalismus soll die Eindrücke des Alltags verringern und mehr Kontrolle zurückgeben. Meditation ist die ultimative Auszeit von Reizen. Gesunde Ernährung und Sport bringen Körperfunktionen ins Lot. Morgenroutinen sollen die Startvoraussetzungen für den Tag verbessern.

Wir wissen alle mehr oder weniger, dass etwas nicht stimmt. Aber anstatt den Finger in die Wunde zu legen und zuzugeben, dass wir nicht annähernd unser Potenzial ausschöpfen und fundamental etwas an unserem Lebensstil ändern müssen, kleben wir oft nur ein Pflaster über die Wunde. Weil es uns ja auch überall so versprochen wird.

Du muss nicht alle Reize hinterfragen, die täglich auf die einprasseln – du musst nur durch das neue Influencer-Kochbuch deine Ernährung umstellen!

Du musst nicht mit Menschen sprechen, die ein anderes Weltbild haben als du – du musst nur einen Wochenendkurs für Crypto-Reichtum machen!

Du musst nicht lernen, deinem Gehirn Auszeiten zu gönnen – du musst nur ein neues Streaming-Abo abschließen!

Wir bekommen schnelle, einfache Lösungen für das wohl komplexeste Problem der Menschheit. Denn mir fällt nichts ein, was wichtiger oder komplizierter wäre als Gehirngesundheit. Sie bestimmt unsere Zufriedenheit und unser Miteinander.

Vielleicht ist das eine zu harte Erkenntnis für ein Konzept, das viele eher als Meme benutzen. Gammlige Gehirne. lol. Rofl. Cringe.

Auf der anderen Seite muss auch die Frage erlaubt sein, warum scheinbar nie darüber gesprochen wird, wie schlecht es unseren Gehirnen geht – zumindest im Vergleich zu dem enormen Potenzial, das wir haben. Wo wären wir als Gesellschaft, wenn Gehirngesundheit auf der Prioritätenliste ganz oben stehen würde? Wenn Kinder in der Schule lernen würden, dass ihre Gefühle und Gedanken klarer sind, wenn sich auf sich acht geben?

Oder wollen wir diese Diskussionen nicht führen, weil wir Angst davor haben, dass wir persönlich das größte Opfer des Brainrots sind?

Möglicherweise haben wir Angst davor diese Diskussionen zu führen, weil die Konsequenzen so weitreichend sind  – und wir erst einmal zugegeben müssten, dass nicht nur die anderen das Problem sind, sondern auch wir selbst.

Videoversion dieses Artikel:

1 Kommentar

  1. Liebe Leser,

    diesen aussagekräftigen Artikel „Was ist Brainrot?“ nehme ich heute zum Anlass, um das Wirken und Handeln von Autorin Jennifer Häuser mit einer persönlichen Wertschätzung zu huldigen.

    Ehe ich mit der Wertschätzung beginnen werde, will ich erst mal innehalten, wie man es am Gipfel eines Berges tut, und auf die Entwicklung von Wanderlust Introvert in Social-Media zurückblicken.

    Jetzt schreite ich zur Tat und gebe mich der Wertschätzung im Schreiben völlig hin.

    Kamera im Handeln der Wertschätzung läuft. Action!

    Das Handeln im Schreiben von Autorin Jennifer Häuser ist ein echter, unverfälschter Ausdruck ihrer Persönlichkeit.
    In effectu schafft sie es mit ihrer Willensstärke, Energie, Disziplin, Mut und ihrem Fachwissen in den Artikeln und in ihrem Buch auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam zu machen.
    Frau Häuser versteht es gekonnt in den Kontexten ihre Selbsterfahrung einfließen zu lassen und verwendet einen authentischen Schreibstil mit einer gewissen Unverblümtheit im Abgang.
    Die Autorin stellt mit ihrem Wirken bei Wanderlust Introvert deutlich unter Beweis, dass es möglich ist gehaltvolle Informationsquellen in Social-Media zu hinterlassen.

    Zum Abschluss ziehe ich nun ein schlagkräftiges Fazit:

    Wanderlust Introvert mit seiner Urheberin ist eine Bereicherung für die Social-Media-World!

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein