Nach einem langen Abend oder einer Nacht mit Freunden, beginnt der nächste Tag mit brummendem Schädel. Du brauchst Kaffee oder Monster oder eine kalte Dusche, um überhaupt die Augen offen zu halten. An Arbeit ist gar nicht zu denken und deine Muskeln fühlen sich schwach an.
Das beschreibt ziemlich gut, wie man sich fühlt, wenn man ordentlich Alkohol gebechert hat. Aber was ist, wenn du unkonzentriert bist, nicht so richtig in Schwung kommst und keinen Bock hast, irgendwen zu sehen … aber gar nicht getrunken hast?
Dann leidest du vielleicht unter einem sozialen Kater.
Der Social Hangover hat seinen Namen echt verdient. Obwohl kein Nervengift in den Körper geschüttet wurde, fühlt es sich doch so an, als wäre was nicht richtig. Gehirn und Magen geben das Signal: Du bleibst schön zu Hause und machst heute mal gar nichts. Traurig sein, ein drehendes Gedankenkarrussel, sich unwohl in der eigenen Haut fühlen – wenn das länge dauert, steckt mehr dahinter. Aber vielleicht liegt gar keine größere Störung vor, für die es Therapie oder Medikamente braucht … sondern eben nur soziale Erschöpfung.
Ob sich ein sozialer Kater für dich wirklich genauso anfühlt wie ein Alkoholkater, weiß ich nicht. Denn für jeden fühlt sich diese soziale Erschöpfung anders an. Manch einer wird müde, manch anderer ist abwesend und manch einer wird reizbar oder sogar aggressiv.
Gemeinsam hat der soziale Kater bei allen Menschen, dass er das normale Leben unterbricht. Etwas ist anders – und dein Körper verlangt nach bestimmten Maßnahmen. In der Regel ist das beim sozialen Kater vor allem, dass du nicht unter Menschen gehst. Schon gar nicht auf Partys oder Familientreffen oder Konzerte.
Wer sich und seine Bedürfnisse schon kennt, der hat Glück – er versteht, dass die soziale Batterie leer ist und es nun eine Auszeit braucht. Leider gibt es aber auch noch viele Menschen, speziell introvertierte, hochsensible und neurodivergente Menschen, die nicht wissen, was los ist. Sie glauben, sie wären erkältet oder einfach überarbeitet oder müssten sich nur besser ernähren. Was auch alles eine Ursache sein könnte, aber auf Besserung ist kaum zu hoffen, wenn das Kernproblem der sozialen Erschöpfung nicht angegangen wird.
Was löst sozialen Kater aus?
Der soziale Kater ist eine Folge von … sozialen Interaktionen. Das dürfte jetzt nicht sonderlich überraschen. Aber, nicht alle sozialen Interaktionen sehen gleich aus oder haben den gleichen Effekt.
Hier kann man etliche Unterscheidungen aufmachen. Ist eine bestimmte Person anstrengend oder einfach alle? Kommst du mit zwei Kontakten klar, aber nicht mit dutzenden? Ist es vielleicht eine positive Erschöpfung oder eher nicht?
Ein einzelner Mensch kann dich wie ein Energievampir innerhalb weniger Minuten komplett aussaugen. Ein kurzes Gespräch und du hast anschließend keinen Bock mehr und willst dich wieder nach Hause oder in die Natur verkrümeln.
Genauso gut kann es sein, dass dich ein Mensch innerhalb weniger Minuten erschöpft, aber nicht, weil er dich aussaugt, sondern weil er so interessant ist. Ja, auch interessante Menschen und Gespräche können anstrengend sein. Das ist natürlich eine positive Anstrengung – weil du jemandem näher kommst oder dir jemand eine tolle neue Sichtweise auf die Welt zeigt.
Aber das heißt nicht, dass du anschließend nicht trotzdem wieder in den Auflademodus schalten musst. Das ist für extrovertierte Menschen oft völlig unverständlich – sie ziehen aus solchen Momenten sehr viel Energie. Ich gebe zu, wenn man sich mit dem Thema noch nie befasst hat, klingt es erst einmal komisch, dass schöne, interessante Menschen uns trotzdem Energie kosten.
Verständlicher ist eher, dass Menschengruppen oder Menschenmassen ein Problem sind. Das ist glaube ich die gängigste Form des sozialen Katers – die Erschöpfung nach Partys und Großveranstaltungen. Natürlich kommen da fast immer noch Schlafmangel, Alkohol oder sonstige Stressfaktoren hinzu. Deshalb ist es ja auch so schwer, soziale Erschöpfung klar zu benennen.
Sehr allgemein kann gesagt werden, dass viele Menschen mehr anstrengen als wenige. Dass laute, dominante Menschen mehr anstrengen als ruhige, zurückhaltende. Und dass vertraute Menschen weniger anstrengen als fremde.
Für all das gibt es Ausnahmen. Weil eben jeder Mensch anders tickt – das gilt auch für introvertierte und hochsensible Personen. Daher ist es auch so wichtig, seine persönlichen Auslöser für soziale Erschöpfung zu erforschen und zu benennen.
Wie kannst du vorsorgen?
Soziale Kontakte stressen mich – das ist eine der wichtigsten Erkenntnisse im Leben eines introvertierten Menschen. Ohne diese Erkenntnis wird es verdammt schwer, je aus der Erschöpfungsspirale herauszukommen.
Was Folgen hat. Wer nicht versteht, warum er manchmal einfach nicht mehr weiter kann, der verliert Energie, die woanders gebraucht wird. Karrierechancen können verwehrt bleiben, genau wie romantische Chancen oder auch Freundschaften. Wer permanent sozial erschöpft durch die Welt läuft, dem fehlt eben auch immer etwas.
Also ja, erst einmal müssen wir uns eingestehen, dass wir nicht genauso drauf sind wie extrovertierte Menschen. Beziehungsweise wie nicht-hochsensible Menschen oder wie neurotypische Menschen. Die Bandbreite an Personen, die stark von sozialer Erschöpfung betroffen sind oder sein können, ist echt groß. Was ironisch ist, da sich viele von uns mit diesem Problem allein fühlen.
Einen sozialer Kater kann man abschwächen, man kann ihm aber auch vorbeugen. Du gehst das Problem also von vorne und von hinten gleichzeitig an.
Vorbeugen kannst du, indem du herausfindest, welche sozialen Interaktionen dich besonders erschöpfen. Mein Lieblingstipp ist da seit jeher: Wenn du dich in großen Gruppen unwohl fühlst, bitte Freunde eher um Einzeltreffen. So bleibt man in Kontakt, behält seine Lieblingsmenschen in der Nähe, aber man muss sich nicht völlig verausgaben.
Genauso kann es sein, dass dir laute Umgebungen zuwider sind. Auch da gilt: Suche nach Alternativen. Wenn deine Familie immer lautstark Schlager durch das Haus ballert, wenn ihr euch seht, dann setz dich nach draußen mit einzelnen Personen. Oder mach auch einfach mal eine Pause. Der Klassiker ist die Badezimmer-Pause, bei der man einmal kurz runterkommt und sich dann wieder ins Getümmel stürzt.
Aber nicht immer kann man sich Alternativen suchen. Es gibt Veranstaltungen und Interaktionen, auf die du relativ wenig Einfluss hast. Dann ist Vorbereitung das A und O. Wenn du weißt, dass du Samstagabend weggehen wirst, dann nimm dir nicht für Freitagabend was vor. Und nutze am Samstag die Zeit vor der Veranstaltungen nur für dich. Man kann soziale Erschöpfung so nicht komplett verhindern – aber man kann sich selbst etwas mehr Widerstandsfähigkeit und Spielraum geben.
Das alles musste ich auch erst lernen. Dabei kam dann auch die Erkenntnis zustande, dass ich Erfahrungen in der Vergangenheit nicht genießen konnte, weil ich sozial erschöpft war. Wie gesagt: Wenn man die ganze Zeit nur versucht, sich zu konzentrieren und ein bisschen von einer geschlossenen Tür und Stille träumt, ist man nicht voll dabei.
Somit ist die Vorbereitung auf soziale Termine oder Phasen auch ein guter Weg, um tolle Erfahrungen besser genießen zu können. Eine Hochzeit, ein Konzert, eine Party, eine Reise – all das kannst du in vollen Zügen genießen, wenn du dich in den Tagen davor nicht verausgabst, sondern Ruhe zur Priorität machst.
Übrigens, nur, weil es sonst missverstanden wird: Ruhephasen bedeuten nicht, dass du nur im Bett liegst und nichts tust. Es geht darum, keinen sozialen Ansprüchen gerecht werden zu müssen. Somit kannst du auch einen Kernreaktor in der Garage (keine Empfehlung) bauen oder Sport treiben oder einen Bestseller schreiben – Ruhe zur Priorität zu machen, heißt nicht, faul zu sein.
Was tun gegen den Social Hangover?
Okay, ob du nun gut vorbereitet warst oder nicht – der soziale Kater lässt sich oft nicht verhindern. Mein absolut wichtigster Tipp an dieser Stelle ist: Hör auf, dich deshalb fertig zu machen. Wer sowieso schon nicht so richtig klar denken kann, der tut sich keinen Gefallen, wenn er sich dafür auch noch selbst runter macht.
Die Symptome eines sozialen Katers sind zahlreich und sie sind eben nicht „nur in deinem Kopf“. Wir haben es leider als Menschen echt weitläufig verlernt, die Signale unserer Körper zu deuten. Wenn wir nicht „rund laufen“, dann hat das immer einen Grund. Diesen Grund zu ignorieren, weil man sich für die Erschöpfung schämt … na das wird bestimmt nicht gutgehen, oder?
Jeder lädt seine soziale Batterie anders wieder auf. Somit ist die „Heilung“ des Social Hangovers auch nicht auf Rezept zu bekommen. Sport, wandern, Filme gucken, lesen, Zeit mit den Haustieren verbringen, zocken, die Weltherrschaft planen, ein langes Bad nehmen – irgendwas davon wird dir schon helfen. In der Regel wissen wir, was uns guttut. Aber wir leben nun mal in einer Zeit, in der nichts zu tun, als schamhaft gilt.
Und diese Einstellung bringt offensichtlich das Beste in uns Menschen hervor. Die ganze Gesellschaft ist doch voll von zufriedenen, ausgeglichenen Menschen, die sich freuen, morgens aufzustehen, nicht wahr? (Sarkasmus-Warnung)
Es wird immer Menschen geben, die dich blöd angucken oder gar volllabern, wenn du sagst, dass du Zeit nur für dich zur Priorität machst. Sie werden dich krank oder egoistisch oder verrückt nennen. Keine Ahnung, wie es dir geht, aber solche Kommentare habe ich noch nie von jemandem gehört, der glücklich und zufrieden wirkt. Meist sind diejenigen, die am lautesten gegen Alleinzeit und Ruhe wettern, auch diejenigen, die beides echt nötig hätten.
Ignoriere deinen sozialen Kater nicht. Lerne, auf die Signale deines Körpers zu hören und sei ehrlich zu dir selbst. Wenn du seit 20 Jahren oder 30 Jahren oder 40 Jahren jedes Mal völlig kaputt bist, nachdem du ein Veranstaltung besucht hast, bei der viele Menschen lange deine Aufmerksamkeit verlangen … dann wird sich das auch jetzt nicht mehr ändern. Am besten planst du also immer für den Tag nach so einer extrem sozialen Phase Zeit für dich ein.
Sonst wird dein Körper nämlich früher oder später nicht mehr nett darum bitten, dass du mal zur Ruhe kommst. Er wird sich die Ruhe einfach nehmen. In Form von Krankheiten oder Burnout. Natürlich kann ich an dieser Stelle nicht behaupten, dass immer mehr Menschen psychisch und körperlich am Ende sind, nur weil sie ihren sozialen Kater nicht auskurieren. Aber als Faktor sollte man soziale Erschöpfung auch echt nicht unterschätzen.
Kann man sozialen Kater komplett vermeiden?
Als ich das erste Mal ehrlich mit mir selbst war und anerkannt habe, dass ich mit sozialer Erschöpfung zu kämpfen habe, da wollte ich es erst einmal nicht wahrhaben. Sicherlich gibt es doch Mittel und Wege, um den sozialen Kater komplett zu verhindern.
Leider nein. Aber, es gibt einen Weg, um nicht nur situativ, sondern generell besser damit klarzukommen.
Zum einen solltest du natürlich andere Erschöpfungsfaktoren bedenken. Genug schlafen, sich halbwegs gesund ernähren, genug Bewegung im Alltag haben – all diese Zufriedenheitsunterstützer sind selbstverständlich relevant.
Was aber auch nicht zu unterschätzen ist, sind Prioritäten. Ein guter Weg, um soziale Erschöpfung nicht mehr als eine böse Sache zu sehen, ist mehr von den Dingen zu tun, die es wert sind. Wenn ich auf einem mega geilen Konzert war und nächsten Tag sozial verkatert bin, dann muss ich mich nicht ärgern. Das war es wert!
Verbringe ich Zeit mit Freunden oder anderen Liebsten, dann gibt mir das etwas. Ich genieße es. Also nimmt mir das erstens nicht so viel Energie und zweitens ist die Aufladephase, die danach einfach wieder folgen muss, kein Problem.
Leider kann ich hier nicht jedem sagen, er soll einfach nur noch tolle Dinge machen und die anderen sozialen Verpflichtungen aufgeben. Das wäre beeindruckend realitätsfern. Wer kleine Kinder versorgt, auf soziale Kontakte im Job angewiesen ist oder andere Verpflichtungen hat, der zeigt mir einen Vogel, wenn ich sage, dass das alles nicht so wichtig ist. Berechtigterweise.
Aber ich beobachte auch bei vielen Menschen einen Lebenseinstellung, bei der sie gar nicht mehr am Status Quo rütteln. Das Leben, das sie gerade leben, wird immer so bleiben. Immer voller Stress, voller unnötiger sozialer Kontakte – also wird auch immer sozialer Kater dazugehören. Für manche ist er eine tägliche Sache.
Das kann auch nicht die Lösung sein. Wir müssen schon daran glauben, dass wir an Stellschrauben drehen können, die uns wieder etwas mehr Kontrolle und Zufriedenheit bringen. Wer nicht schon jahrelang Selbstbetrachtung macht oder von Natur aus super darin ist, auf seine natürlichen Bedürfnisse zu hören … der kann garantiert einige soziale Interaktionen streichen oder reduzieren. Man muss sich eben nur trauen.
Und ja, manchmal führt das sogar dazu, dass der Social Hangover Teil der Vergangenheit ist. Das gilt vor allem für Menschen, die sich auf dem Spektrum zwischen introvertiert und extrovertiert mittig einordnen würden. Wenn sie nur ein bisschen mehr Rücksicht auf sich nehmen, können sie oft alle übrig gebliebenen Kontakte richtig genießen. Und aus einem sozialen Kater, der zwei oder drei Tage braucht, um auskuriert zu werden, wird nur ein ruhiger Morgen danach, bei dem man mal langsamer in den Tag startet.
Videoversion des Artikels: