Menschen reagieren ganz unterschiedlich, wenn sie jemanden kennenlernen, der schüchtern ist. Einige ignorieren Schüchterne, denn sie fallen ja nicht groß auf. Andere versuchen mit allen Mitteln, schüchterne Menschen aus der Reserve zu locken. Beide Varianten sind irgendwie nicht das Gelbe vom Ei.
Denn schüchterne Menschen sind genauso komplex wie alle anderen (nicht schüchternen) Menschen. Somit gibt es auch nicht die eine perfekte Reaktion auf sie – geschweige denn einen total korrekten Weg, mit ihnen umzugehen.
Glücklicherweise können aber einige Dos and Don’ts definiert werden. Wenn du also unsicher bist, wie der richtige Umgang mit Schüchternheit aussieht, dann ist dies der passende Beitrag. Weißt du noch gar nicht genau, ob jemand schüchtern ist, dann schaue vorher mal darauf, welche Anzeichen für Schüchternheit es gibt.
Unterscheide zwischen schüchtern und introvertiert
Bevor du mit einem schüchternen Menschen umgehen kannst, musst du erst einmal wissen, ob er überhaupt schüchtern ist. Dieser kleine Vorschub vor den tatsächlichen Tipps ist ziemlich wichtig. Denn wenn du versuchst, die Tipps für den Umgang mit schüchternen Menschen 1 zu 1 auf Introvertierte anzuwenden, wirst du scheitern oder sogar heftigen Gegenwind bekommen.
Ein Kernelement von Schüchternheit ist die Hemmung. Schüchterne Menschen wären gerne offener, sozialer und selbstbewusster – sie wissen nur entweder nicht wie oder haben das Gefühl, dass es ihnen trotz stetiger Versuche nicht gelingt. Somit kannst du im Umgang mit ihnen versuchen, ihnen ein gutes Gefühl zu geben, damit sie sich mehr öffnen oder lockerer werden.
Ein introvertierter Mensch (sofern er nicht ebenfalls schüchtern ist) will aber nicht, dass du ihn lockst. Schon gar nicht solltest du versuchen, eine introvertierte Person vor sich selbst zu retten. Introvertierte sind oftmals zurückhaltender, ruheliebender und defensiver als extrovertierte Menschen – und das ist völlig okay. Lass sie so machen, wie sie wollen. Solange du ihre Eigenarten respektierst, musst du sie nicht groß anders behandeln als andere Menschen.
Wie kann man schüchternen Menschen helfen?
Da zur Schüchternheit der Wunsch nach weniger Hemmung gehört, kannst du ruhig versuchen, schüchternen Menschen ein wenig zu helfen. Wenn du das richtig angehst, wird sich ein schüchterner Mensch in deiner Gegenwart wohler fühlen und sich somit wahrscheinlich auch eher öffnen – aber eine Garantie gibt es nie.
Tipps für den Umgang mit schüchternen Menschen:
- Lass dir Zeit
- Spiele Detektiv
- Hake vorsichtig nach
- Gib positives Feedback
- Lasse körperliche Freiräume
- Hinterfrage deine Weltsicht
- Passe deine Erwartungen an
Keine Sorge, alle Tipps werden nun noch einmal genauer erklärt. Denn „Hinterfrage deine Weltsicht“ ist schon eine nicht ganz so kleine Herausforderung und „Spiele Detektiv“ sagt dir vielleicht auch noch nicht so viel.
Lass dir Zeit
Viele Menschen scheitern schon am ersten Tipp. Sie gehen davon aus, dass sie genug Charisma besitzen, um jeden aus der Reserve zu locken. Dann gehen sie einer schüchternen Person direkt mal auf den Keks. Diese lächelt daraufhin falsch und tut so, als wäre alles in Ordnung – und am Ende des Tages hatte sie eine furchtbare Erfahrung, die sie zu mehr Rückzug bewegt.
Schüchterne Menschen haben keinen Schalter, den du einfach umlegen kannst. Sie sind gerade am Anfang nervös und unsicher. Je behutsamer du sie kennenlernst, umso größer sind deine Chancen, sie wirklich kennenzulernen. Wenn dir das zu viel Arbeit ist, ist das okay. Niemand zwingt dich dazu, dich mit einer schüchternen Person anzufreunden oder sie zu daten. Aber wenn du eine intensivere Beziehung haben und mehr über eine schüchterne Person lernen willst, dann nimm dir Zeit und zeige Geduld.
Spiele Detektiv
Die meisten Schüchternen versuchen mit allen Mitteln, Informationen und Besonderheiten zurückzuhalten, die sie ausmachen. Oftmals steckt hinter der Zurückhaltung eine Angst, dass das wahre „Ich“ nicht gut genug ist und abgelehnt wird. Also wird eine Maske aufgesetzt, wenn (fremde) Menschen in der Nähe sind.
Du wirst also genau hinsehen müssen, um mehr über einen schüchternen Mann oder eine schüchterne Frau zu erfahren. Achte darauf, welche Themen ein Lächeln oder eine Wortmeldung auslösen – offenbar besteht da Interesse. Höre außerdem zu, wenn der oder die Schüchterne etwas sagt. Viele scheue Menschen fühlen sich übersehen oder ungehört. Du hinterlässt also Eindruck und eine Chance auf Vertrauen, wenn du nicht über sie hinwegredest, sondern aufmerksam bist.
Hake vorsichtig nach
Wenn du gut zuhörst, weißt du auch, wo du bei einem Gespräch ansetzen kannst. Manche Schüchterne reden von alleine viel, sind dabei aber unsicher. Sie verhaspeln sich oder reden extrem schnell, bevor sie wieder still werden. Die meisten sagen wenig oder nichts. Eine Gesprächsführung liegt ihnen nicht wirklich.
Also musst und darfst du das übernehmen. Redest du allerdings über belanglose Dinge, die nur dich interessieren, fühlt sich die Person wahrscheinlich nicht wohl. Greifst du hingegen etwas auf, was sie bereits interessiert, steigen deine Chancen. Ein Band-T-Shirt, ein vorheriges Gespräch, ein gemeinsam erlebtes Ereignis – alles kann zu einem natürlichen Gesprächsfluss führen, wenn die schüchterne Person das Gefühl hat, wirklich eingebunden und gehört zu werden. So kannst du auch etwas nachhaken und ein paar persönlichere Details erfahren.
Gib positives Feedback
Wenn du nicht schüchtern bist und es auch nie warst, kommt es dir vielleicht komisch vor, wie viel manche Menschen über die Meinungen anderer nachdenken. Diese ständige Sorge vor Ablehnung scheint absurd – vor allem, weil du wahrscheinlich viele nette Menschen kennst, die schüchtern sind.
Du musst Schüchternheit auch nicht komplett verstehen. Wichtig ist aber, dass du weißt, dass schüchterne Menschen mit Ablehnung rechnen. Für ihre Meinungen, ihre Persönlichkeit, ihre Handlungen, ihr Aussehen … Es gibt viele vermeintliche und tatsächliche Ursachen. Positives Feedback kann dem entgegenwirken.
Auf keinen Fall solltest du leere oder überschwängliche Komplimente raushauen. Die meisten Schüchternen glauben dir das sowieso nicht. Stattdessen sind es die kleinen Anmerkungen, die große Wirkung haben. Ein Lob für einen cleveren Gedanken, ein herzhaftes Lachen für einen guten Witz, ein Dankeschön für einen tollen Tipp oder eine kurze Textnachricht dazu, dass du großen Spaß bei einem Treffen hattest, können wahre Wunder bewirken.
Lasse körperliche Freiräume
Es gibt das Vorurteil, dass Schüchternheit einfach Kopfsache wäre. Eine kleine Änderung des „Mindsets“ würde schon reichen und alles wird gut. Doch in Wahrheit hat Schüchternheit reale Auswirkungen auf den Körper. Schwitzen, schweres Atmen, nervöse Ticks oder sogar Fluchtreflexe sind möglich.
Lass einen schüchternen Menschen also am besten auf dich zukommen, wenn es um Körperkontakt geht. Oder frag einfach nach: „Hey, darf ich dich zur Begrüßung umarmen?“ oder „Darf ich deine Hand halten?“ sind völlig legitime Fragen. Dadurch überforderst du eine schüchterne Person nicht und gibst gleichzeitig das Signal, dass du sie respektierst.
(PS: Übrigens gilt das nicht nur für Schüchternheit. Auch hochsensible, neurodivergente und traumatisierte Menschen profitieren davon, wenn andere sich ihnen nicht überschwänglich oder unangekündigt nähern.)
Hinterfrage deine Weltsicht
Dieser Tipp bezieht sich noch einmal darauf, dass du vielleicht glaubst, eine schüchterne Person mit allen Mitteln aus der Reserve locken zu müssen. Da nimmst du an, dass sie das möchte – und dass sie möchte, dass du ihr dabei hilfst. Das ist ein wenig überheblich, solange du nicht wirklich darum gebeten wirst.
Den Umgang mit schüchternen Menschen zu lernen, darf nicht heißen, sie grundlegend ändern zu wollen. Das gilt für alle Personen, die deiner Meinung nach „komisch“ sind oder von der Norm abweichen, die du kennst. Solange niemandem geschadet wird, sind Sonderlinge, Außenseiter und Andersartige zu respektieren. Ich würde dir empfehlen, ihre Eigenarten besser kennenzulernen und somit deinen Horizont zu erweitern. Diese Neugier wird dir auch helfen, auf schüchterne Menschen interessanter zu wirken – und wie jemand, bei dem sie sich wohlfühlen können.
Passe deine Erwartungen an
Es gibt tatsächlich Situationen, in denen ein einst schüchterner Mensch plötzlich vor Selbstbewusstsein strotzt und zum sozialen Schmetterling wird. Aber wenn du mit dieser Erwartung an die Sache herangehst, wirst du wohl scheitern. Denn es gibt unzählige Graustufen zwischen den Extremen „total schüchtern“ und „krass extrovertiert“.
Wahrscheinlich ist also, dass du einen schüchternen Menschen mit der Zeit näher kennenlernen kannst und auch mehr und mehr Offenheit erlebst. Je wohler sich jemand mit dir fühlt, umso eher kann er oder sie aus sich herauskommen und ungehemmter sein. Aber dadurch ändert sich nicht alles an diesem Menschen und es kann gut sein, dass immer etwas Vorsicht zurückbleibt. Und das ist okay.
Von extremer Schüchternheit bis hin zu Phobie: Weshalb du manchmal keine Chance hast
Du kannst alles richtig machen, jeden Tipp lesen und die besten Intentionen haben – und trotzdem scheitern. Wenn jemand extrem schüchtern ist, geht das meist bereits in eine soziale Phobie über. Und du bist (denke ich mal) kein Therapeut, also hast du auch nicht die Mittel, um einen Menschen mit dieser Art von psychischer Belastung vollends zu verstehen.
Da du aber meist beim Kennenlernen einer zurückhaltenden Person nicht sofort weißt, ob sie schüchtern, introvertiert, ängstlich oder traumatisiert ist, versuchst du wahrscheinlich erst einmal, einen ganz „normalen“ Umgang zu pflegen. Bemerkst du die scheue oder gehemmte Art, kannst du dein Verhalten zwar anpassen, aber es gibt Menschen, zu denen wirst du nicht vordringen können. Es ist auch eine Form von Selbstschutz, es nicht zu lange zu versuchen.
Außerdem noch eine zusätzliche Warnung: Nicht alle schüchternen Menschen sind kleine Engel, die sich über deine Aufmerksamkeit und deine Gesprächsversuche freuen. Schüchterne Menschen können gemein, hinterhältig, rücksichtslos und unangenehm sein. Das ist zwar selten, da viele Schüchterne für gewöhnlich eher sanftere Typen sind, aber es ist nicht auszuschließen, dass du dir viel Mühe für einen Menschen gibst, der am Ende ziemlich … doof ist. Schalte den gesunden Menschenverstand also nicht aus, wenn du einen schüchternen Menschen näher kennenlernen willst.
Fazit: Mit Respekt als Grundlage ist das alles kein Problem
Du bist kein Ritter auf einem weißen Pferd und eine schüchterne Person ist keine Maid in Nöten. Solange du dir dessen stets bewusst bist, gehst du hoffentlich mit Respekt auf eine zurückhaltende Person zu. Eine wunderbare Grundlage, um dann behutsam ein wenig das Kennenlernen zu intensivieren.