Softwarelokalisierung: Was Introvertierte wissen sollten

Gastbeitrag von Tom Elstermann .

Es war der Sommer des Jahres 2016. Ich hatte gerade frisch mein Abitur gemacht und wollte keine Zeit verstreichen lassen, um mit dem nächsten Bildungsabschnitt, dem Studium, zu beginnen. Da mich mein Vater schon früh mit Computern (und Computerspielen) in Kontakt brachte, fiel mir die Auswahl des Studiengebiets recht leicht: Informatik sollte es sein. Also bewarb ich mich an der Hochschule Anhalt für den Studiengang Angewandte Informatik – Digitale Medien und Spieleentwicklung.

Nach meinen Interessen hätte diese Wahl eigentlich besser nicht sein können, eigentlich. Denn nach der Hälfte des ersten Semesters kam ich zum Schluss, dass ich hier nicht glücklich werden würde. Diskrete Mathematik und Programmablaufplan? So hatte ich mir den Studiengang überhaupt nicht vorgestellt! Also nahm ich einen zweiten Anlauf und stieß nach Rücksprache mit der Hochschule mitten im Semester zur Studierendengruppe der Softwarelokalisierenden dazu.

Ich will in diesem Artikel diesen linguistischen Zweig der Informatik zu größerer Bekanntheit verhelfen und dadurch mehr (introvertierten) Leuten die Existenz dieses Karriereprofils bewusstmachen.

softwarelokalisierung

Softwarelokalisierung … ist das Geografie für Computer?

Eins vorab: Falls Du zum großen Teil der Menschen gehörst, die noch nie etwas davon gehört haben: kein Problem! Mir ging es genauso, als ich im Winter 2016 in den Studiengang Fachkommunikation – Softwarelokalisierung einstieg. Allerdings trägt diese Tätigkeit eine durchdringendere Rolle für Verbraucherinnen und Verbraucher, als auf den ersten Blick ersichtlich.

Stelle Dir vor, Du wärest der Kopf eines Videospielunternehmens. Über Marktrecherche findest Du heraus, dass in Zielland X potenziell ein deutlich höherer Absatz Deines Produktes zu erwarten ist. Das Problem: In diesem Land wird eine andere Sprache gesprochen und die kulturellen Gegebenheiten (z. B. Farbbedeutungen) sind ebenfalls komplett anders. Genau an dieser Stelle kommen Softwarelokalisierende ins Spiel: Sie helfen Dir sowohl dabei Dein Videospiel in die Sprache des Ziellandes X zu übersetzen als auch kulturellen Fettnäpfchen geschickt auszuweichen.

Dazu bedienen sich die Beschäftigten in der Softwarelokalisierung spezieller Software, den sogenannten computer assisted translation tools (CAT-Tools). Prinzipiell können wir von einem Lokalisierungsbedarf fürC fast sämtliche Konsumgüter sprechen, weshalb Lokalisierende die „stillen Helden und Heldinnen“ bei Deinem Genuss ausländischer Produkte sind.

Was erwartet Dich inhaltlich im Studium?

Entsprechend des grob umrissenen Tätigkeitsbereiches im vorangegangenen Abschnitt, wirst Du Dich im Studium mit zwei Lernschwerpunkten beschäftigen. Zum einen wäre da das Übersetzen – in diesem Fall in der Sprachkombination Deutsch-Englisch und Englisch-Deutsch. Neben dem linguistischen Hintergrundwissen bekommst Du hierbei wichtige Fähigkeiten im Rahmen der Bearbeitung von Aufträgen an die Hand, wie eine gründliche Textanalyse oder Kommunikation von Deinen notwendigerweise gemachten inhaltlichen Abweichungen in der Übersetzung – im Vergleich zum Originaltext – an die Kundschaft.

Zum anderen bringen Dir die Dozierenden den Umgang mit gängigen Dateiformaten (XML, JSON, HTML) im Zusammenhang mit bereits erwähnten CAT-Tools bei, wozu gleichzeitig die Bedienung von Terminologieverwaltungsprogrammen zählt. Damit beim Übersetzen die Beachtung der kulturellen Spezifika des Ziellandes nicht zu kurz kommt, enthält das Studium des Weiteren immer wieder Ausflüge in die Kulturlehre und wissenschaftliche Betrachtungen des interkulturellen Austausches.

Klein aber kulturell vielfältig

Unsere Studierendengruppe bestand aus etwa 15 Personen. Auch wenn diese Anzahl für viele eher befremdlich ist, so fiel mir die Integration in die Gemeinschaft dadurch leichter – im Klassenverband mit 25 und mehr Leuten gestaltete sich dies als fast aussichtsloses Unterfangen. Der herrschende Multikulturalismus verhinderte außerdem Grüppchenbildung, da wir uns alle neu waren. Beispielsweise kamen meine Mitstreitenden neben Deutschland aus China, Argentinien, Marokko und Indonesien. Gleichermaßen hatten Vorurteile ebenso wenig Platz wie Altersdiskriminierung.

Wenn ich vor einem Problem stand oder Hilfe benötigte und die Dozierenden gerade keine Zeit hatten, erfuhr ich in der Regel durch meine Kommilitoninnen und Kommilitonen Unterstützung. Andersherum übernahm ich ebenfalls bei Bedarf die Rolle einer helfenden Kraft. Dieser Zusammenhalt hat das gesamte Studium über angehalten und uns als Gemeinschaft stark gemacht.

Können Introvertierte hier auch vorbehaltslos einsteigen?

Prinzipiell steht jedem und jeder mit erforderlicher Hochschulreife und Grundkenntnissen im Umgang mit Computern der Karriereweg in die Softwarelokalisierung offen. Letzteres meint Deine Fähigkeiten, elementare Funktionen in Textverarbeitungsprogrammen zu bedienen und sicher auf dem Desktop zu navigieren. Abgesehen davon ist es für die Langzeitmotivation im Studium fördernd, wenn Du ein deutliches Interesse an Sprache und speziell an der Übersetzungstätigkeit mitbringst. Hilfreich kann ebenfalls der Wille sein, den eigenen kulturellen Horizont zu erweitern. Besitzt Du daneben ein scharfes Auge für Details und ein Faible für Rechtschreibung und Grammatik, bringst Du ideale Voraussetzungen für die Tätigkeit als Softwarelokalisierender mit.

Ich kann mir vorstellen, dass vor allem Introvertierte ihre Heimat in diesem Feld finden. Es braucht ein gründliches Durchdenken des Ausgangstextes und der Art und Weise, wie sich die Botschaft am besten in die Sprache des Ziellandes übertragen lässt – etwas, das in sich gekehrte Personen in einem hohen Maße beherrschen. Die größte Herausforderung dürfte die Eigeninitiative bei der Auftragsbeschaffung bergen, weil es eine gehörige Portion Überwindung erfordert. Warum ich gerade diesen Fakt als hohe Hürde sehe, wird in meinen Ausführungen zu den Jobaussichten klarer.

Leseempfehlung der Redaktion: Jobs ohne Menschenkontakt.

Welche Perspektiven bietet mir der Studiengang beruflich?

Wenn Du bis hierhin gelesen hast und Du unverändert das Studium der Softwarelokalisierung in Betracht ziehst, schließen sich die Zukunftsfähigkeit und zusammenhängend damit die Karrierechancen als letztes Unterthema an. Schon im Studium selbst zeigen Dir sowohl ehemalige Absolventinnen und Absolventen als auch Gremien der Übersetzungsindustrie in Präsentationsterminen potenzielle Wege in diesem Feld auf. Aus ihren Äußerungen geht für mich hervor, dass sich viele ins Berufsleben einsteigende Softwarelokalisierende in der Freiberuflichkeit wiederfinden.

Festanstellungen bei sprachdienstleistenden Firmen oder Übersetzungsbüros bzw. -agenturen bilden eher die Seltenheit. Falls Du in der Arbeit mit Autorenwerkzeugen wie Framemaker aufgehst und Dich speziell die Textsorte der Produktdokumentationen anspricht, könnte für Dich alternativ eine Stelle in der technischen Redaktion, üblicherweise in Großkonzernen, eine gute Perspektive bereithalten. Hierfür bedarf es allerdings im Anschluss an das Studium noch eines etwa einjährigen Kurses mit abschließender Zertifizierung.

jobidee für introvertierte menschen

Was heißt das jetzt summa summarum?

Ein Studium der Softwarelokalisierung ermöglicht Dir eine einzigartige Verbindung von Informatik und Sprache, die Computerinteressierten mit deutlicher Neigung zu linguistischen Fragestellungen eine passende Themenkombination eröffnet. Durch die intensive Beschäftigung mit Sprache lässt sich Dein Hobby zum Beruf machen. Ebenso bildet es eine solide Grundlage, um später in eine hauptberufliche Übersetzungstätigkeit oder Laufbahn in der technischen Redaktion einzutreten.

Beachte jedoch das durchaus eintretende Szenario der Selbstständigkeit: Eigenorganisation und damit verbundenes selbständiges „Heranschaffen“ von Kundschaft sollte Dir nicht nur bewusst, sondern ebenso sympathisch sein. Denn: Selbstständigkeit ist nicht für jede oder jeden etwas und passende Stellen bei sprachdienstleistenden Unternehmen sind rar! Gleichermaßen wichtig ist der Fakt, dass Softwarelokalisierung ein Nischendasein fristet, weshalb die Jobsuche aufgrund von fehlenden Betitelungen erschwert wird – Du wirst höchstwahrscheinlich keine Anzeige mit dem Wort „Softwarelokalisierung“ auffinden.

Abschließend muss ich die zu machenden Abstriche im (Einstiegs-)Gehalt erwähnen. Verglichen mit anderen, geläufigeren Berufsfelder in der Informatik, wie z. B. Programmierung, Systemadministration oder IT-Sicherheit bleibt der monetäre Verdienst merklich dahinter zurück.

Fazit

Egal, welche Haltung Du nach dem Lesen meines Beitrags zur Softwarelokalisierung einnimmst: Dies ist meine subjektive Meinung, ein erster Orientierungspunkt für Dich und keinesfalls das letzte Wort. Begib Dich selbst in digitalen oder analogen Quellen auf die Suche nach Informationen und vereinbare gegebenenfalls ein Beratungsgespräch mit einer Hochschule oder Universität, die ein Studium der Softwarelokalisierung anbietet. Nur so wirst Du Dir ein umfassendes Bild erschaffen und eine fundierte Entscheidung treffen können. Ich wünsche Dir viel Erfolg dabei und hoffe, dass dieser Artikel Aufklärungsarbeit geleistet hat.

Hast Du Fragen an Tom? Dann hier entlang: Xing!

1 Kommentar

  1. Hallo Tom Elstermann,
    wirklich ein exzellenter Informationsbeitrag zu diesem Studiengang „Angewandte Informatik – Digitale Medien und Spieleentwicklung“ mit hervorragenden Schreibstil! Respect to you!
    Grüße Speziello

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