Für introvertierte Reisende kann die Suche nach der Unterkunft schwierig werden. Besonders Hostels sind eine Herausforderung. Doch darüber wird selten gesprochen, denn Hostels sind günstig, toll, um neue Leute kennenzulernen, und kulturelle Schmelztiegel. So klingt jede Reisewebsite und so klingen 90% der Reiseblogger.
Manchmal lassen sich Introvertierte von diesem Bild überlisten und meinen, dass ihnen das gefallen muss. In Wahrheit bereuen die meisten von uns ihre Entscheidung noch vor der ersten Nacht im Hostel.
Persönliche Erfahrung: Für 1 bis 2 Nächte kann ich es aushalten. Danach fallen Laune und Energie schneller als die IMDB-Bewertungen von Game of Thrones Staffel 8.
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Wenn ich darüber mit einigen extrovertierten Bekannten oder Freunden spreche, dann höre ich meist: Hab dich mal nicht so. So schlimm ist es gar nicht. Du musst nur auf die Menschen zugehen. Trag halt Kopfhörer.
Ich würde mich freuen, wenn wir aufhören könnten, so zu tun, als wären Privatsphäre und Ruhe böse Dinge, die nur langweilige und arrogante Menschen mögen. Thanks for coming to my TedTalk.
Hostels sind Horror für Introvertierte
Gruppenzimmer im Hostel
Ein Introvertierter betritt das Gruppenzimmer eines Hostels…
…und atmet erst einmal tief durch. Es riecht nach fremden Menschen. Überall liegen Rucksäcke und Klamotten herum. Er sucht sich ein freies Bett aus und versucht den Gedanken zu verdrängen, dass auf dieser Matratze schon hunderte andere Menschen geschlafen haben.
Nun versucht er, seine Zimmergenossen abzuschätzen, ohne ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Sind sie nett? Sehen sie aus, als würden sie schnarchen? Sind Gruppen dabei, die sich laut unterhalten werden?
Jemand stellt Augenkontakt her. Der Introvertierte versucht es mit einem Halb-Lächeln abzutun, doch der Zimmergenosse ist ein netter Mensch und möchte sich vorstellen. Kein Problem. Der Introvertierte hasst keine Menschen, er möchte den anderen eine Chance geben. Doch der Zimmergenosse redet und redet. Der Introvertierte gibt ein paar kurze Antworten, doch er will eigentlich nur seine Tasche auspacken und duschen gehen.
Weitere Menschen strömen ins Zimmer. Es ist laut, der Geruch von Essen fliegt mit ihnen herein. Draußen hupen die Autos. Der Introvertierte schnappt seine Sachen und macht sich auf dem Weg zum Badezimmer. Er fragt sich, ob er seinen Zimmergenossen verletzt hat, als er ihn einfach abgewimmelt hat. Das wollte er nicht.
Badezimmer im Hostel
Ein Introvertierter betritt das Badezimmer eines Hostels…
…überall liegen Haare herum. Zahnpastereste kleben an den Spiegeln. Jemand lässt das Wasser laufen, obwohl er nicht duscht. Ein nasses Handtuch liegt in der Ecke. Die Seife ist alle.
Der Introvertierte ist froh, dass er an seine Badelatschen gedacht hat und trottet hinter einen Duschvorhang. Er kann die Leute vorbeigehen sehen und hören. Mit nervösem Blick auf den Duschvorhang zieht er sich aus. Kaum Platz für Kleidung. Er hängt sie über den Duschvorhang, der nicht sehr stabil aussieht.
Der Kampf mit der Temperatur beginnt. Warum funktionieren Duschen alle verschieden? Der Wasserdruck lässt zu wünschen übrig. Auf dem Boden sind Haare. Sie sickern langsam ins Gulli. Der Introvertierte wünscht sich zurück in sein eigenes Badezimmer. Das hat ein Schloss. Ein Königreich für ein Schloss.
Aufenthaltsräume im Hostel
Ein Introvertierter betritt den Aufenthaltsraum eines Hostels…
…und fragt sich, ob er vielleicht mal diese komische Lichternährung ausprobieren sollte, um solche Menschenansammlungen in Zukunft zu vermeiden. Doch Lichtnahrung ist Unsinn und letztlich müsste man ja doch ständig das Haus verlassen, also wohl doch hier essen …
Es ist laut, es klirrt Geschirr, irgendwer dreht die Musik lauter. Um am Introvertierten vorbeizukommen, schieben sie ihn mal mehr mal weniger sanft aus dem Weg, dann setzt er sich in einen durchgepupsten Sessel und hofft, dass es bald ruhiger wird. Er fragt sich, warum er nicht einfach in ein Hotel gegangen ist und ihm fällt wieder ein, dass die Welt Geld kostet und er gar keine Wahl hatte.
Tipps für Introvertierte im Hostel
Diese kleine Erzählung ist eine Horror-Geschichte für Menschen, die den Großteil ihres Tages für gewöhnlich ohne humane Lebensformen (oder nur mit wenigen) verbringen. Jede Begegnung kostet Energie. Jede neue Situation ist eine Herausforderung.
Doch für die meisten, die nicht unter extremer Introvertiertheit oder Angstzuständen leiden, gibt es kleine Möglichkeiten, um das Leben im Hostel angenehmer zu machen. Wer sich vorbereitet, der muss unter Horror-Hosteln nicht leiden.
1. Vorhang am Hostelbett
Geeignet ist der Vorhang am Hostelbett leider nur für Doppelstockbetten. Wer unten schläft kann eine Decke, ein Laken oder ein Handtuch unter die obere Matratze stopfen oder mit Klammern arbeiten, um sich so eine minimale Wand zu schaffen. Natürlich immer unter Rücksichtnahme auf den Obenlieger.
Die Gerüche und Geräusche bleiben. Manchmal wird man auch schief angeguckt. Macht euch nichts daraus. Schutzräume beim Schlafen sind nichts Schlimmes, ganz im Gegenteil, die meisten Tiere machen es so. Wände und Decken geben uns ein Sicherheitsgefühl. Niemand nimmt Schaden, also ist es eure Entscheidung und niemand kann euch diese wegnehmen.
2. Kopfhörer im Hostel
Oropax sind nicht nur etwas für Introvertierte. Um genug Schlaf zu bekommen – was für mich persönlich wichtig ist, um genug Energie zu haben und das Hostelleben zu meistern – sollte man die Geräusche minimieren. Leider gibt es Menschen, die schnarchen lauter als jeder Presslufthammer.
Es müssen aber nicht nur Oropax bei Nacht sein. Auch Noice Cancelling Headphones können helfen, wenn man lesen oder einfach entspannen möchte. Wer durch Reize stark beeinflusst wird, kann sich so eine Pause vom Trubel einräumen.
3. Ehrlich sein/Ausrede bereithalten
Wer in einem Zimmer mit sehr vielen fröhlichen und gesprächsbereiten Menschen übernachtet, der sollte relativ früh Bescheid sagen, dass er nicht reden möchte. Viele haben Angst, dass sie dann unhöflich wirken. Ich würde behaupten, dass es viel unhöflicher ist, Menschen nicht in Ruhe zu lassen, die erklärt haben, dass sie kein Interesse an einem Gespräch haben.
Möglichkeit 1: Ehrlich sein. Wenn ihr das Gefühl habt, mit einem netten Menschen oder gar einem anderen Introvertierten zu sprechen, dann seid ehrlich und sagt, dass ihr lieber etwas Ruhe haben wollt. Ton und Wortwahl sind hier entscheidend.
Möglichkeit 2: Überdrehte und extrovertierte Menschen reagieren leider nicht immer gut auf ehrliche Antworten. Dann muss wohl oder übel eine Lüge herhalten. Sagt, dass ihr euch nicht so gut fühlt, dass ihr etwas ausbrütet (Achtung vor Fanatasy Fans, die wollen dann eure Dracheneier sehen) oder dass ihr zu müde seid.
4. Stoßzeiten im Hostel
Wenn ihr im Urlaub seid und eure Zeit frei einteilen könnt, dann meidet die Stoßzeiten in Küche und Bad. Falls ihr euch nicht sicher seid, wann das ist, dann fragt doch mal an der Rezeption oder bei anderen, die schon länger im Hostel sind. Mit Fremden Zähne putzen ist dann immer noch komisch, aber immerhin rotzt euch niemand seine Spucke über die Schulter, weil es nicht genug Waschbecken gibt.
5. Rituale beibehalten
Überwältigend ist an Hostels vor allem, dass sie laut und ungeordnet sind. Wir begeben uns in eine neue und unberechenbare Situation. Diesem Extrem lässt sich entgegenwirken, indem man seine eigenen Rituale beibehält. Putzt ihr erst Zähne oder geht ihr erst duschen, wenn ihr zu Hause seid? Lest ihr gerne noch 10 Minuten vor dem Schlafengehen? Esst ihr Frühstück immer erst um 11?
Man sollte versuchen, jedes kleine bisschen Normalität mitzubringen, das man finden kann. Für einige klingt das langweilig und macht die Hostelerfahrung kaputt. Für Introvertierte macht es das Leben etwas leichter.
6. Nach einem anderen Zimmer fragen
Auch davor scheuen viele zurück. Die Zimmernachbarn essen ihr Fast Food im Bett und es stinkt das ganze Zimmer? Eine Gruppe Studenten besäuft sich? Jemand stellt seine Musik auch nachts nicht aus? Dann fragt nach einem neuen Zimmer.
Seid nett und erklärt, dass ihr lieber in ein ruhigeres Zimmer gehen möchtet. Ihr müsst eure Zimmergenossen nicht direkt benennen oder überhaupt konkret werden, wenn euch das nicht gefällt. Sagt einfach nur, dass ihr in einem Zimmer für Leute, die für Spaß im Hostel sind gelandet seid und vielleicht lieber in einem schlafen würdet, in dem die Leute sich ausruhen wollen. Manchmal ist es nicht möglich, dann bedankt euch trotzdem.
Ähnlich wie zuvor gilt: Ihr schadet niemandem, also warum solltet ihr euch dafür schämen, dass ihr andere Bedürfnisse habt?
7. Vorbereitung auf den Hostel-Aufenthalt
Um gar nicht erst in einem Party-Hostel zu landen, hilft es, die Bewertungen auf Google und Co. zu lesen. In größeren Städten oder Touristengegenden gibt es meist eine Auswahl an Hostels und in vielen Bewertungen stehen Dinge wie „viele Partygäste“ oder „schön ruhig gelegen“.
Hoffentlich konnten die Tipps für den Hostel Aufenthalt dem ein oder anderen helfen. In einer idealen Welt hätten wir alle genug Geld, um uns Einzelzimmer zu leisten. Bis wir alle Millionäre sind, tauschen wir einfach Ideen aus und halten das virtuelle Händchen unserer introvertierten Artgenossen.
Danke für diesen Text, der mir grad geholfen hat, mich im Hostel nicht wie ein zum sozialen Leben unfähiger Trottel zu fühlen. Ich weiß, dass ich introvertiert bin, hab aus preislichen Gründen das Hostel gewählt. Die Zimmerbewohner schnarchen zwar, sind aber nett. Hab mich anfangs schlecht gefühlt, als ich deren Einladung zum „Was trinken gehen“ abgelehnt hab. Aber es ist okay!
Das ist absolut okay! Nicht jeder ist ein Hostel-Mensch, manchmal gibt es aber keine Alternativen. Wir Intros müssen nun mal kreativ werden 🙂
(PS: Der Artikel gehört zu den ältesten des Blogs und ich war ganz überrascht, dass ihn noch jemand gefunden hat)
Liebe Grüße