Loyale Menschen erkennen: Selten und unglaublich wertvoll

In Heldengeschichten gilt sie als ultimativer Beweis von Freundschaft und Treue – die Loyalität. Jemandem in guten und in schlechten Zeiten beizustehen, zeigt Charakter. Doch die wenigsten von uns leben in einer fiktiven Heldengeschichte. Trotzdem gilt Loyalität als erreichbar und wird idealisiert.

Gleichzeitig ist sie äußerst selten. Seit Jahren beweisen Studien, dass Menschen weniger und weniger Freunde haben, auf die sie sich verlassen können. Quiet Quitting ist wiederum ein Phänomen, das mangelnde Loyalität zu einem Unternehmen zeigt. Arbeit nach Vorschrift, Freundschaft irgendwie nebenbei und Beziehungen ohne langfristige Pläne – wie passt das mit Loyalität zusammen?

Tut es nicht und das ist auch okay. Denn einer Person, einer Gruppe, einer Philosophie oder einem Arbeitgeber gegenüber loyal zu sein, ist keine Pflicht. Und es ist nahezu unmöglich, ständig loyal zu sein. Denn wer jedem gegenüber Verlässlichkeit und Rückhalt zeigen will, der ist schnell überfordert. Also: Wie sind loyale Menschen, wo findet man sie und wie wichtig sind sie wirklich?

Gibt es überhaupt sowas wie loyale Menschen?

Die meisten Menschen setzen Loyalität mit Treue und Vertrauen gleich. Viele Personen begleiten uns im Leben, wenn alles rund läuft. Doch kommt es zu Problemen, wird der soziale Kreis sofort kleiner. Je schwieriger die Situation wird, umso mehr zeigt sich, wie viel Loyalität die Menschen im eigenen Umfeld haben.

Wie so oft kann sich aber auch jeder seine eigene Vorstellung basteln. Für einige Menschen heißt Loyalität, gemeinsam in den Kampf zu ziehen und gegebenenfalls gemeinsam zu sterben – zumindest in Heldensagen, Filmen oder Spielrunden. Für andere ist Loyalität nur über lange Zeit zu finden. Wenn eine Freundschaft lange und auch bei Streitigkeiten hält, ist Loyalität auf beiden Seiten gegeben.

Das wohl wichtigste Merkmal von Loyalität ist, dass sie aus freien Stücken und einer inneren Motivation heraus entsteht. Man kann jemandem treu sein, weil man dafür Geld, Zuneigung oder sonstige Leistungen erhält – aber dann ist die Treue nicht die Folge eines Prinzips oder einer inneren Verbundenheit. Denn wenn die Gegenleistung verschwindet, verschwindet auch der Zusammenhalt.

Somit muss klar sein: Deine Definition von Loyalität bestimmt, ob es sie wirklich gibt. Für einige ist sie ein unerreichbares Ideal, das nur theoretisch existiert. Für andere ist sie genau das, was sie anderen geben und auch von anderen erwarten.

So erkennt man loyale Menschen

Einen loyalen Freund zu haben, heißt, sich auf Jahre hinweg auf ihn verlassen zu können. In den schlimmsten Zeiten steht er dir bei. In den schönsten Phasen deines Lebens freut er sich mit dir. Loyale Mitarbeiter sind meist motivierter und verzichten auf finanzielle Anreize, weil sie sich mit der Firma identifizieren. Und loyale Partner sind in romantischen Beziehungen der ultimative Rückhalt und können den Bund fürs Leben bedeuten.

Das Problem ist, dass loyales Verhalten erst richtig zum Vorschein kommt, wenn Loyalität auf die Probe gestellt wird. Und idealerweise passiert das gar nicht so häufig – Lebenskrisen wollen wir ja eigentlich eher vermeiden. Deshalb glauben so viele von uns, loyale Menschen zu kennen, doch dann werden wir böse überrascht, wenn es zur Feuerprobe kommt.

Loyalität erkennt man unter anderem daran, dass eine Person ihre persönlichen Befindlichkeiten hintenanstellt, um jemandem beizustehen. Situative Probleme – Streit, Unruhe, Lustlosigkeit – dürfen nicht über dem Erhalt der guten Beziehung stehen. Wenn jemand nach der Arbeit gestresst ist, hält er seinen Partner im Arm, wenn dieser eine Krise durchmacht. Hat man sich gerade erst mit einem Freund gezofft, der nun von einem Fremden in der Bar blöd angequatscht wird, dann steht man dem Freund trotz des Streits bei. Die Grenzen dessen, was wir tolerieren und mitmachen, verschieben sich, wenn wir einem Menschen gegenüber loyal sein wollen.

Weitere Merkmale von Loyalität

Loyale Menschen können auch einfach im Kontrast zu anderen Personen beschrieben werden. Suchen wir nach gegenteiligen Beschreibungen landen wir bei Illoyalität, Untreue und Abtrünnigkeit. Das Problem bei illoyalen Menschen ist, dass sie ihre mangelnde Zugehörigkeit beziehungsweise Beständigkeit bereits bewiesen haben müssen, um diesen Stempel zu erhalten.

Denn wir gehen nicht durch das Leben und zeigen auf Leute, um zu sagen „loyal“ oder „nicht loyal“. Das liegt einerseits daran, dass wir nicht von allen Personen Loyalität erwarten. Andererseits – wie gesagt – wird Loyalität eben auch erst in extremeren Situationen deutlich. Im Alltag sehen Freundschaften, romantische Beziehungen und Arbeitsverhältnisse meist einfach eng oder vertrauensbasiert aus. Wir erwarten nicht jederzeit, dass uns jemand in den Rücken fällt oder unser Vertrauen missbraucht.

Somit ist ein Merkmal von Loyalität, dass sie widerstandsfähig sein muss. Jeder kann sich loyal geben, wenn alles super ist. Nur wenige Menschen halten zu uns, wenn es hart auf hart kommt.

Ein loyaler Mensch sein

Natürlich geht es in einem Text wie diesem hauptsächlich darum, die Loyalität bei anderen Menschen zu erkennen und zu verstehen. Doch hoffentlich denkst du auch darüber nach, wie loyal du selbst bist. Viele von uns beschreiben sich gerne mit diesem Begriff, aber denken seltener darüber nach, wie sehr sie ihn wirklich verdienen.

Mit hoher Wahrscheinlichkeit bist du schon loyal und illoyal gewesen. Einem Partner oder besten Freund gegenüber beweist du bestimmt öfter, dass du zu ihm halten wirst. Aber es kann auch gut sein, dass du schon Freunde oder Beziehungen zurückgelassen hast, in denen mehr von dir erwartet wurde.

Potentielle Gründe dafür, dass du nicht loyal bist oder warst:

• Jemand hat dein Vertrauen missbraucht.
• Du hast unterschätzt, wie wichtig du einem Menschen bist.
• Jemand hat etwas getan, was du nicht verzeihen kannst.
• Du hattest mit einer Krise zu kämpfen und musstest an dich selbst denken.

Wichtig ist, ehrlich mit sich zu sein. Immer wieder schwingen Menschen große Reden darüber, wie es keinen Zusammenhalt mehr gibt oder wie sie von allen zurückgelassen werden – doch man selbst ist eigentlich nie völlig unschuldig, wenn es um dieses Thema geht. Manchmal sind die Gründe dafür absolut legitim. Wenn ein Freund sich politisch extremisiert und somit dich oder deine Liebsten verbal angreift, dann kann das Ende deiner Loyalität erreicht sein. Aber es kann auch gut sein, dass dich mal jemand als wichtigen Menschen gesehen hat, den du aber eher als flüchtige Bekanntschaft verstanden hast. Dann hast du vielleicht mangelnde Loyalität gezeigt und weißt es gar nicht.

Die Grenzen der Loyalität in ehrlichen Beziehungen

Der wohl interessanteste Unterschied in den Definitionen von Loyalität kommt auf, wenn es um Ehrlichkeit geht. Einige Menschen verstehen unter Loyalität immer nur die blinde Loyalität. Für sie sollte Treue überhaupt nicht an Einstellungen, persönliche Umstände oder Moral gekoppelt sein. Bei blinder Loyalität geht es darum, immer und zu jeder Zeit zu einem Menschen zu stehen – völlig egal, was er tut oder sagt.

Das wirft natürlich das Problem auf, dass man die eigenen Überzeugungen teilweise aufgeben muss. Hat man einen Freund, der in der Bar Leute vollpöbelt und berechtigterweise Stress dafür bekommt, steht eine Entscheidung an: Muss man zu ihm halten oder nicht? Das lässt sich nicht so einfach beantworten. Meine persönliche Meinung ist: Als guter Freund wendet man so viel Schaden ab wie möglich. Doch es gibt eine interessantere Frage für dieses Szenario: Was geschieht danach?

Bei blinder Loyalität wird sich gemeinsam in den Streit oder die Prügelei gestürzt und danach klopft man sich auf die Schulter und gut ist. In ehrlichen Freundschaften oder sonstigen Beziehungen geht das nicht. Denn dann heißt Loyalität eben nicht, alles einfach hinzunehmen und mitzumachen. Stattdessen müsste in diesem Beispiel ein ernstes Gespräch geführt und ein besseres Verhalten in der Zukunft eingefordert werden.

Wer Loyalität als etwas Aktives und Gestaltbares versteht, der muss sie pflegen. Dazu gehören die gemeinsame Weiterentwicklung und die Ehrlichkeit zueinander. Loyalität ohne Integrität ist eigentlich nur blinde Ergebenheit.

Falschheit erkennen

Ehrliche und loyale Menschen lauern an jeder Ecke – aber sie warten nicht unbedingt auf dich. Das ist eine verdammt wichtige Erkenntnis. Loyale Menschen kennenzulernen, geht leider nicht auf Knopfdruck. Zuverlässigkeit und Aufrichtigkeit müssen erst erfahren werden, sonst sind sie nur leere Versprechungen.

Echte und falsche Loyalität unterscheiden

Wir können Loyalität von niemandem einfordern. In dem Moment, in dem jemand nicht aus eigenem Antrieb heraus treu und integer ist, verliert der Begriff Loyalität seinen Wert.

Und genau darin liegt der Schlüssel zum Erkennen von Falschheit, Unehrlichkeit und Illoyalität: Ist die Treue einer Person an eine Gegenleistung gebunden? Natürlich sind Beziehungen immer ein emotionales Geben und Nehmen. Somit dürfen durchaus Erwartungen an Loyalität geknüpft sein. Aber eben keine materiellen oder sozialen Vorteile. Wenn du dich fragst, ob du es mit einem ehrlichen und loyalen Menschen zu tun hast, dann überlege genau, wann diese Person dich nicht mehr anrufen oder treffen wollen würde.

Wäre das nur der Fall, wenn du großen Mist baust oder dich grundlegend veränderst? Oder kann es sein, dass du schon nicht mehr mit Treue rechnen kannst, wenn du nur ein wenig in deinem Leben veränderst? Introvertierte Menschen kennen das Problem: Sobald sie nicht mehr versuchen, super sozial zu sein, bleiben einige Freunde einfach weg. Die Bedingungen für die Beziehung sind also Faktoren wie eine bestimmte gemeinsame Zeit (jede Woche!), an typischen Orten (in Clubs und Bars!) und mit vorgegebenen sozialen Aktivitäten (neue Leute treffen!). Somit liegt keine Loyalität vor.

Blinde Loyalität kann wertlos sein

Ironischerweise kann zu viel Loyalität ebenfalls ein Hinweis dafür sein, dass sie nicht echt ist. Jetzt kommt es natürlich auf deine persönliche Definition an. Solltest du unter loyalem Verhalten aber auch Ehrlichkeit verstehen, dann überlege dir, ob jemand um jeden Preis loyal ist und woher das kommt.

Falsche Menschen tarnen sich oftmals sehr gut. Gerade dann, wenn du mal falsch liegst oder Fehler machst, kommen sie näher an dich heran. Wahrscheinlich, weil du ihnen etwas bieten kannst. Status, Geld, Einfluss, körperliche Nähe – wenn du wertvoll genug erscheinst, wird es immer Menschen geben, die dir alles sagen, was du hören willst. Also Vorsicht vor denen, die dich niemals kritisieren würden, selbst dann, wenn du falsch liegst. Nicht nur diejenigen, die sofort weglaufen, sind illoyal. Wahre, dauerhafte Verbundenheit ist ein Prozess – wenn dir jemand blind Treue schwört, egal, was du jemals tun wirst, dann bist du entweder ein Comic Buch Held oder du bist auf jemanden gestoßen, der Loyalität als Waffe benutzt, um zu bekommen, was er will.

Fazit: Loyalität ist selten und schwierig

Es fühlt sich gut, warm und sicher an, jemanden im Leben zu haben, der uns beisteht. Rückhalt und Zuverlässigkeit sind wichtige Faktoren für persönliche Zufriedenheit. Aber die moderne Welt macht es auch schwer, loyal zu sein und loyale Personen zu finden. Viele von uns sind gestresst, überfordert und ein wenig zynisch – somit investieren wir weniger Zeit in Beziehungen, die eigentlich von Loyalität geprägt sein sollten (mehr dazu: Introvertierte Weltveränderer).

Trotzdem ist es wichtig, sich mit diesem Thema zu beschäftigen. So können wir an uns selbst arbeiten, indem wir beispielsweise häufiger bei Freunden nachfragen, wie es ihnen geht. Mindestens genauso wichtig ist es, bei bestehenden Beziehungen genau hinzuschauen, wie beständig sie wirklich sind. Lockere Bekanntschaften müssen nicht aufgegeben werden, nur weil es an Loyalität mangelt. Aber es ist immer sinnvoller, die „echten“ Beziehungen zu priorisieren und weiter zu schauen, wo wir wahren Rückhalt finden können.